Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Eltern dankbar und „positiv überrascht“
Kinder-Notbetreuung: Viele alleinerziehende Mütter systemrelevanter Gruppe betroffen
Von Silja Meyer-Zurwelle
FRIEDRICHSHAFEN - Leerer Pausenhof, zugeklappte Tafel, hochgestellte Stühle: So sieht es seit dem 17. März in und um den Großteil der Schulen in Baden-Württemberg aus. Auch in Friedrichshafen wurden zu diesem Datum die Türen der Schulen und Kitas verschlossen, um der Verordnung des Landes, mit dieser Maßnahme eine weitere Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern, Folge zu leisten.
Doch auch Ärzte, Pflegepersonal und Labor-Angestellte haben Kinder. Und gerade diese Berufe sind in Zeiten von Corona besonders wichtig – auf Amtsdeutsch: systemrelevant. „Oh mein Gott, was mache ich jetzt?“, war die Frage, die Zana Luci, Oberärztin in der Gynäkologie in Ravensburg, nach eigenen Worten als erstes durch den Kopf schoss, als sie von den Schließungen hörte. Ihr Kind besucht nun, wie um die 20 weitere Kinder, die sogenannte Notbetreuung, die von der Stadt in Absprache mit den Schulen eingerichtet wurde.
„Ich habe, ehrlich gesagt, erst ein bisschen Sorge gehabt, meine Tochter in die Notbetreuung zu geben, weil ich nicht wusste, wie groß die Gruppen sein werden. Nun bin ich aber positiv überrascht, denn es ist wirklich genial organisiert“, lobt Zana Luci. Ihre Tochter werde in einer sehr kleinen Gruppe, nämlich mit nur zwei anderen Mädchen, in der Grundschule Fischbach betreut. „Ich kann sie bereits um 7 Uhr dort hinbringen und es ist immer jemand da. Nach meinem Dienst, um 18 Uhr, hole ich sie wieder ab“, berichtet die Oberärztin, die ihre Tochter allein großzieht. Auch ihr Kind sei ganz begeistert: „Sie freut sich, dass sie wenigstens Kontakt zu zwei anderen Kindern haben kann“, erläutert Zana Luci.
Steffen Rooschüz, Rektor an der Merianschule, hat die Organisation der Notbetreuung in Koordination mit allen Häfler Schulen übernommen. „Nachdem wir das Formular entwickelt hatten, in das sich Eltern, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, eintragen konnten, waren wir erst einmal überrascht, denn wir hatten mit mehr Anfragen gerechnet“, schildert er. Die Zahl der zu betreuenden Kinder sei nun aber „relativ überschaubar. Wir haben die Schüler auf drei Standorte verteilt. Neun gehen in die Schreienesch-Schule, neun in die Grundschule Ailingen und fünf zur Grundschule nach Fischbach.“
Vielleicht kämen in den nächsten Tagen noch ein paar Kinder dazu, meint Rooschüz. Auf dem Programm stehe dann vormittags der Unterricht, nachmittags werde zusammen gekocht und draußen gespielt. „Dafür haben wir eine Ausnahmegenehmigung, weil ja eigentlich nicht mehr als zwei Personen zusammen raus dürfen. Bei unseren Kleingruppen sind die Kinder aber ja sowieso tagtäglich zusammen, deshalb dürfen sie auch gemeinsam auf den Pausenhof“, erläutert der Schulleiter. Die Stimmung sei insgesamt gut, fügt er an.
Das bestätigen neben Ärztin Zana Luci auch andere Eltern – vor allem weitere alleinerziehende Mütter. „Mir ist ein riesengroßer Stein vom Herzen gefallen“, meint etwa Isabella Benno, die ihre beiden Kinder, einen sechsjährigen Sohn und eine dreijährige Tochter, ebenfalls allein betreut und einen Vollzeitjob in einem Labor für Krebsdiagnostik ausübt. „Als ich hörte, dass die Schule und die Kita schließen werden, wusste ich erstmal nicht, wo oben und unten ist“, sagt sie. Im zweiten Anlauf habe sie nach der ersten Woche jedoch die Zusage für die Notfallplätze bekommen. „Der Alltag hat sich vom Ablauf jetzt nicht geändert, das klappt sehr gut mit der Betreuung“, bescheinigt sie der Schule.
Auch Angelique Reiß, die beim Jugendamt in der Jugendgerichtshilfe des Bodenseekreises arbeitet, ist eine alleinerziehende Mutter. Deshalb sei es für sie, obwohl sie die Schließung geahnt habe, zunächst ebenfalls eine Herausforderung gewesen, die Betreuung zu organisieren, sagt sie. „ Mir war auch nicht direkt klar, ob ich zur systemrelevanten Berufsgruppe gehöre. Daher habe ich mich für die erste Woche selbst um eine Betreuung gekümmert. Seit Montag dieser Woche ist meine Tochter Mia-Sophie nun in der Notfallbetreuung“, erzählt sie. Und fügt an: „Es ist wirklich alles sehr gut organisiert und durchdacht.“
Manuel Schwarz und seine Frau sind beide im ärztlichen Dienst tätig. „Meine Frau in der Kinderarzt-Praxis und ich in der Klinik. Unsere beiden Söhne Moritz und Frederik nehmen aktuell an der Notbetreuung in der Grundschule Fischbach beziehungsweise der Kita am Klinikum teil“, berichtet der Arzt. Für das Paar seien die Schließungen auch nicht ganz überraschend gekommen. „Ich hatte dann aber bereits an diesem Tag die Info in der Klinik erhalten, dass es eine Notbetreuung geben wird. Trotzdem war es zunächst nicht ganz vorstellbar, wie das in der Praxis läuft“, sagt Schwarz.
Die beiden Jungs hätten sich mit der aktuellen Situation aber gut arrangiert. „Man hat das Gefühl, dass sie aktuell sogar relativ gerne in die
Notbetreuung gehen“, meint der Vater. Ihre Dienste und Sprechzeiten könnten er und seine Frau derzeit so organisieren, dass die Jungen nur vormittags in die Betreuung müssen und nachmittags zuhause sein können. Somit sei eine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit gut möglich.
Doch Manuel Schwarz mahnt auch an: „Leider ersetzt die Notbetreuung den eigentlichen Schulunterricht nicht. Hier ist es sehr schade, dass die Schulen in den letzten Jahren die Digitalisierung verschlafen haben. Sonst wäre nun Online-Unterricht ohne viel Aufwand möglich. Dadurch könnte der Unterricht fortgeführt werden.“Viele der Eltern aus den systemrelevanten Berufen haben gehofft, was Schulleiter Steffen Rooschüz bestätigt: „Die Notbetreuung wird es auch in den Osterferien geben“, sagt er. Manuel Schwarz’ Wunsch wäre auch eine Betreuungsmöglichkeit an Wochenenden und Feiertagen. „In den nächsten Tagen ist mit steigenden Patientenzahlen zu rechnen und dann ist jede Hilfe notwendig“, macht der Arzt deutlich.
Froh sind die betroffenen Eltern jedenfalls alle über die Unterstützung durch die Lehrer. „Mein Dank gilt den Betreuern und Lehrkräften, die diese Notfallbetreuung gewährleisten. Ohne diese Personen wäre meine Arbeit auch nicht in diesem Umfang möglich“, bringt es Angelique Reiß auf den Punkt.