Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Obstbauern hüllen ihre Blüten in Eis
Dicker Mantel schützt vor Frostschäden
Von Andy Heinrich
OBERDORF - Bizarre Verhüllungskunst: Beregnungsanlagen versehen derzeit in Oberdorf Obstbäume inklusive austreibende Blüten mit einem Eispanzer. Wegen knackiger Minustemperaturen in der Nacht schützen die Bauern auf diese Weise ihre Pflanzen vor Frostschäden, um einen Ernteausfall zu verhindern.
Wer zuletzt früh morgens auf dem „Promillweg“zwischen Oberdorf und Langenargen unterwegs ist, dem zeigt sich ein Landschaftsbild von atemberaubender Schönheit. Tausende Obstbäume sind in einen schimmernden Eispanzer gekleidet, der Blüten, Blätter und Äste vor tödlichen Erfrierungen schützt. Wie Christian Dillmann, Oberdorfer Landwirt und Vorsitzender des Wasserverbandes für Feldberegnung, berichtet, haben sich die Bauern am Montag wegen der klirrenden Kälte nachts und des frischen Nordostwindes dazu entschlossen, die sogenannte Frostschutzberegnung auf etwa 250 Hektar Anbaufläche einzusetzen: „Bedingt durch den milden Winter verzeichnen wir einen frühen Austrieb, der auf Frost sehr empfindlich wirkt.“
Durch das gezielte und dosierte Besprühen mit sehr feinen Wassertröpfchen bildet sich Christian Dillmann zufolge eine schützende Eishülle, die Kristallisationswärme oder auch Erstarrungswärme freisetzt, welche die Bäume und vor allem die Blüten vor Frostschäden bewahrt: „Im Eismantel selbst sinkt die Temperatur nie unter den Gefrierpunkt.“
Der Aufwand ist enorm, wie Obstbauer Martin Schöllhorn betont. Seit 1954 gibt es in Oberdorf ein unterirdisches Leitungsnetz, das jährlich ausgebaut wird, um die Wasserversorgung der Plantagen, übrigens auch im Sommer während langanhaltender Trockenperioden, zu gewährleisten. „Dazu sind an genau definierten und von behördlicher Seite genehmigten Stellen leistungsfähige Pumpen installiert worden, die aus Brunnen, der Argen oder auch aus dem Mühlbach das benötigte Wasser in das Netz einspeisen. Die Sprinkler der Beregnungsanlagen besprühen die Plantagen in Abständen von etwa 20 Metern“, erklärt Martin Schöllhorn. Die Beregnungsanlage selbst werde teilweise über Sensoren und Temperaturmessgeräte gesteuert und überwacht, die Landwirte über ein Warnsystem entsprechend via SMS alarmiert. „Dann entscheiden wir, wo und wann die Pumpen eingeschaltet werden, schließlich kann es binnen weniger Kilometer zu Temperaturschwankungen im Plus- und Minusbereich kommen. Die Anlage selbst wird nur dort aktiviert, wo es auch notwendig ist“, so Schöllhorn.
Trotz modernster Technik sei der Wasserverbrauch nicht zu unterschätzen. Pro Stunde und Hektar müssten, abhängig von Froststärke und Pflanzenalter, zwischen 20 000 und 50 000 Liter Wasser eingesetzt werden, um die Obstbäume zu schützen und damit einem verheerenden Ernteausfall wie zuletzt im Frühjahr 2017 entgegenzuwirken, rechnet Christian Dillmann vor.
Während die Frostperiode den Landwirten viel Arbeit und Energie abverlangt, freuen sich Spaziergänger über die eindrucksvollen Bilder. Elfriede Röhlich dreht eine Morgenrunde mit ihrem Hund und sagt: „Ich bin regelrecht fasziniert von diesem Anblick. Es ist erstaunlich, dass man der Natur so helfen kann.“