Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Stadt baut den Wald um
Andere Baumarten, mehr Naturschutz – Nur der Förster dafür ist noch nicht gefunden
Von Harald Ruppert
FRIEDRICHSHAFEN - Knapp 300 Hektar Waldfläche in und um Friedrichshafen sind im Besitz der Stadt. Die größten zusammenhängenden Gebiete davon befinden sich im Seewald, im Dornacher Wald an der Neuen Messe, im Riedlewald und im Buchschach-Waldzug zwischen dem Seemoser Horn und dem Klinikum. Unmittelbar hinter dem Klinikum wird augenfällig, dass der Wald unter Druck gerät – denn dort steht er nicht mehr. „Er ist 2019 komplett gefallen“, sagt Tillmann Stottele, Leiter der Abteilung für Landschaftsplanung und Umwelt bei der Stadt. „Dort wuchsen überwiegend Fichten, die vom Borkenkäfer befallen waren. Die geschädigten Bäume wurden rausgenommen, mit dem Ergebnis, dass der Wind Eingriff hatte. Die letzten Bäume hat deshalb der Sturm zerbröselt.“
Stürme, Hitze, Trockenheit, Schädlingsbefall: Wenn der Wald eine gute Zukunft haben soll, muss umgesteuert werden. Der Gemeinderat hat dafür im Oktober 2019 die Weichen gestellt. Bislang war das Forstamt Bodenseekreis für die Beförsterung des Stadtwalds zuständig. Aber die Stadt ist aus dem Vertrag ausgestiegen und beförstert ihren Wald seit Januar 2020 selbst – was in der Praxis aber daran krankt, dass die Stelle bislang nicht besetzt ist. Eine zweite Ausschreibungsrunde war notwendig, die bis Ende März dauern wird, weil die erste Ausschreibung erfolglos blieb. Die Hälfte der 20 Bewerber erfüllte zwar die fachlichen Qualifikationen, aber am ökologischen Profil, das die Stadt sich wünscht, fehlte es. Der künftige Förster soll mit dem Wald nicht in erster Linie durch Holzverkauf Einnahmen erwirtschaften. Er soll den Wald so umbauen, dass er im Klimawandel bestehen kann, dass der Naturschutz die erste Geige spielt und der Wald noch stärker der Naherholung der Bürger dient.
Bislang wird diese Naherholungsfunktion nicht unbedingt großgeschrieben. Rund zwei Drittel des Stadtwalds werden als Wirtschaftswald genutzt. Deshalb zieht sich etwa durch den Seewald ein Netz schnurgerader befahrbarer Wege, die den Wald in Planquadrate unterteilen. Die Wege sind übersichtlich, der Wald ordentlich: Es gibt kaum Unterwuchs, der Blick geht zwischen den hoch und gerade gewachsenen Stämmen in die Weite. Tillmann Stotteles Ideal ist ein anderes: Naturwald. „Der ist per se unordentlich, vielgestaltig und voller Überraschungen“, sagt er. Die Bedingungen für Naturwald zu schaffen, wird eine Hauptaufgabe des Försters sein. Es gilt, Wege anzulegen, die sich abwechslungsreich schlängeln. Teile des bestehenden Netzes sollen wiederum stillgelegt werden. Dort, wo die Wege enden, beginnen dann die sogenannten Baumrefugien. Sie werden in Gebieten eingerichtet, die von besonders schönem alten Baumbestand geprägt sind – sogenannten Baumindividuen, wie Stottele sie nennt, die ungehindert von der Forstwirtschaft oder sonstigen menschlichen Einflüssen sehr alt werden dürfen. Wie die Baumrefugien aussehen sollen, davon gibt das Manzeller Hölzle schon seit 15 Jahren einen Eindruck. „Dort haben wir Gehölze auf die Pfade gelegt, Balustraden gebaut, und nach zehn Jahren war das Gebiet auf natürliche Weise eingewachsen“, sagt Stottele. „Dass durch diese Zone kein Weg führt, ist für die Bevölkerung kein Verlust, weil sie von den Wegen in den intakten Wald hineinschauen kann.“So sollen bestimmte Waldzonen also stärker geschützt, der Wald aber zugleich für die Naherholung attraktiver werden.
Den Wald umzubauen, bedeutet auch, andere Baumarten zu kultivieren. Zwar spielte der Holzverkauf für die Industriestadt auch bislang nicht die größte Rolle, aber: „Weil der Holzverkauf die Aufwendungen für den Unterhalt des Waldes mit abdecken sollte, wurde der kostenaufwändige Waldumbau auf die lange Bank geschoben“, sagt Stottele. Zu 28 Prozent besteht der Stadtwald aus Fichten. Damit ist Fichte die häufigste Baumart, vor allem im Seewald. Wegen ihrer schnell wachsenden und geraden Stämme, die gut verwertbar sind, wurde sie kultiviert, obwohl die Böden in der Beckenlage des ehemaligen Bodensees für sie nicht gut geeignet sind. Stürme raffen die Flachwurzler ebenso dahin wie der Borkenkäfer. Aufforstungen mit geeigneten Laubbaumarten sollen an die Stelle der Fichten treten: Eiche, Buche, Hainbuche, Erle, Vogelkirsche oder Linde, zählt Tillmann Stottele beispielsweise auf. In zehn bis 20 Jahren soll dieser Waldumbau gemeistert sein. Dazu müssen keine künstlichen Kahlflächen geschlagen werden, denn die klimawandelbeständigeren Baumarten sollen dort gepflanzt werden, wo sich zeigt, dass Fichten sich nicht halten können. Durch das Eschentriebsterben wird auch der Eschenbestand – derzeit noch zehn Prozent des Waldes – dezimiert. An ihrer Stelle sollen vor allem Eichen nachgepflanzt werden.
„Staatliche Revierförster müssen normalerweise bis zu 1000 Hektar betreuen. Das geht bis zu 1500 Hektar“, sagt Tillmann Stottele. Verglichen damit nehmen sich die knapp 300 Hektar des Stadtwalds bescheiden aus. Trotzdem hat die Stadt dafür eine ganze Försterstelle ausgeschrieben, denn zusätzlich wird der Förster für 38 Hektar waldbestandene Ausgleichsflächen zuständig sein sowie für rund 35 Hektar baumbestandene Naturdenkmale, Biotope und waldartige Baumbestände. Alle dieses Flächen sind noch kleinflächiger verteilt als die Waldgebiete; das macht die Betreuung aufwändig. Zudem wird der Förster eng mit Schulen und
Kindergärten zusammenarbeiten, also auch als eine Art Waldpädagoge tätig sein. Tillmann Stottele bringt den innovativen Zug des neuen Stadtförster-Stelle auf den Punkt: „Einen solchen Arbeitgeber muss ein Förster erst einmal finden, der ihm so viel Entwicklungs- und Gestaltungspotenzial bietet.“
Im Stadtgebiet von Friedrichshafen gibt es vergleichsweise wenig Wald. Der durchschnittliche Waldanteil in Baden-Württemberg beträgt 40 Prozent. Auf den Gemarkungsflächen von Friedrichshafen sind es nur 20 Prozent. „Das ist der Siedlungsdichte geschuldet und der guten Voraussetzungen für den Obstbau“, sagt Stottele. Er möchte die Waldfläche in Zukunft „behutsam erweitern“, vor allem, da der Straßenbau den Wald zunächst dezimieren wird – an der Messe, durch den Neubau der B31. Durch Aufforstung sollen isolierte Waldparzellen auch miteinander verbunden werden. Zum Beispiel entlang entlang von Gewässern, die durch Wald und in die offene Landschaft fließen. Entlang der Gewässer gilt ein zehn Meter breiter Schutzstreifen, in dem keine Landwirtschaft getrieben werden darf. Hier können sich Bachgehölze entwickeln, die der Vernetzung von Waldparzellen dienen.
Zusätzlich zu Stadtwald kommen auf der Gemarkungsfläche der Stadt Friedrichshafen 446 Hektar Staatswald, 85 Hektar Kreiswald und 611 Hektar Kleinprivatwald. Diese 611 Hektar befinden sich in den Händen von mehr als 800 Eigentümern. Diese kleinen Privatwald-Parzellen möchte die Stadt aufkaufen, denn eine gewinnbringende Holzwirtschaft ist für die Besitzer in Zeiten zusammenbrechender Holzpreise ebenso wenig möglich wie eine wirksame Strategie zur Bekämpfung des Borkenkäfers. Dazu sind einfach zu viele Absprachen mit benachbarten Besitzern notwendig. Hinzu kommt, dass die Kleinwaldbesitzer die Kosten für die Schäden, die Stürme, Borkenkäfer und das Eschentriebsterben verursachen, alleine zu tragen hat. „Einen Hektar aufzuforsten, kostet rund 10 000 Euro. Rechnet man die Aufwuchspflege hinzu, ist man schnell bei 20 000 Euro“, sagt Stottele. Das sind Kosten, die sich für einen Einzelnen nicht lohnen. Für die Stadt Friedrichshafen aber schon. Für sie rechnet der Wald sich künftig dann, wenn er dem Gemeinwohl der Häflerinnen und Häfler dient.