Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Zeit der leeren Kirchen endet
Mit Schutzmaßnahmen gegen Corona sind wieder Gottesdienste erlaubt
Von Harald Ruppert
FRIEDRICHSHAFEN - Das Gottesdienstverbot ist ausgesetzt. Gläubige können wieder in die Kirchen. Auch in Friedrichshafen werden am Wochenende wieder die ersten Gottesdienste gefeiert.
Der katholische Dekan Bernd Herbinger ist erleichtert. „Jugendfußballmannschaften können wegen Corona nicht trainieren. Ich sehe es als großes Privileg, dass wir uns mit mehr als fünf Personen in Räumen versammeln können, um Gottesdienste zu feiern.“Eine Rückkehr zur Normalität ist das aber noch nicht. Für Glaubensgemeinschaften egal welcher Konfession gelten strenge Regeln. Die Kirchenbesucher müssen einen Mundschutz tragen und sie müssen, sofern sie keine Familiengemeinschaft bilden, in den Bänken zwei Meter Abstand zueinander halten – und zwar in alle Richtungen.
„Das macht aus einer großen Kirche schnell eine kleine“, sagt Herbinger. St. Petrus Canisius habe etwa 750 Sitzplätze. Mit den neuen Abstandsregeln schrumpfen sie auf rund hundert zusammen. Trotzdem glaubt Herbinger, dass St. Canisius und auch St. Columban mit seinen fast 600 Sitzplätzen auch unter den neuen Bedingungen für eine normale Gottesdienstgemeinde ausreichen.
Allerdings sind die Zeiten nicht normal. Die aktiven Kirchenmitglieder waren durch Corona zu einer überlangen und unfreiwilligen Fastenzeit gezwungen. „Wenn Corona wirklich vorbei wäre, dann würde ich jetzt mit vollen Kirchen rechnen“, sagt Herbinger. Aber Corona ist nicht vorbei. „Wir sind gezwungen, mit angezogener Handbremse zu fahren. Wenn die Risikogruppen zu Hause bleiben, glaube ich nicht, dass die Zahlen explodieren“, so Herbinger.
Seinem evangelischen Kollegen, Codekan Gottfried Claß, liegt das Wort „Risikogruppe“schwer im Magen. „Nachträglich habe ich Bedenken, dass die Altenheime von der Seelsorge komplett abgeriegelt wurden. Vielleicht hätte man stärker drängen sollen, dass Seelsorger mit Schutzkleidung in die Heime gelassen werden, damit die Bewohner nicht ganz allein gelassen sind.“Daran ändert sich auch nichts, wenn in den Kirchen jetzt wieder Gottesdienste stattfinden. „Im St. AndreasHaus, im Maybachstift und auch im Krankenhaus können wir sie nach wie vor nicht feiern“, sagt Claß.
Und noch etwas rüttelt an seinem Selbstverständnis: dass es in den Gottesdiensten keinen Gemeindegesang geben wird. Begründet wird das mit einer erhöhten Ansteckungsgefahr. „Beim Singen werden die Viren regelrecht herausgeschleudert“, sagt auch Dekan Bernd Herbinger. Für Gottfried Claß berührt die Frage des Gesangs das Erleben des Gottesdienstes aber essenziell. Damit ist er nicht allein „Die evangelische Landeskirche hat eine eigene Untersuchung beim Robert-Koch-Institut in Auftrag gegeben“, sagt Claß. Sie soll klären, wie gefährlich der Gemeindegesang wirklich ist. Trotzdem muss nicht ganz auf Gesang verzichtet werden. Ein Sänger oder eine Sängerin
vorne in der Kirche ist erlaubt.
Gesangbücher werden trotzdem gebraucht, sowohl zum Mitlesen der Liedtexte als auch der Texte der Psalmen. Allerdings werden die Kirchgänger beider Konfessionen gebeten, eigene Gesangbücher mitzubringen. Die sonst ausliegenden werden wegen etwaiger Ansteckungsgefahren nicht ausgegeben. In den katholischen Kirchen bleiben auch die Weihwasserbecken leer.
Die Dauer der Gottesdienste wird eingedampft. „30 bis 35 Minuten Dauer sind die Obergrenze für die Gottesdienste“, sagt Gottfried Claß. Auch das wird mit der Ansteckungsgefahr begründet. „Je länger sich eine Gruppe von Menschen in einem Raum befindet, der nicht gelüftet werden kann, desto höher ist sie“, sagt Gottfried Claß. Zwar seien die Luftverhältnisse in einer hohen Gewölbekirche wie der Schlosskirche ganz andere als in einem flachen Gebäude, aber da mache die Regelung keine Unterscheidung. „Deshalb werden die Predigten generell kürzer ausfallen und die Liturgie in Teilen gekürzt.“
Damit Gottesdienste stattfinden dürfen, sind mindestens zwei Ordner notwendig. Damit sind aber nicht die Angestellten von Sicherheitsdiensten gemeint, sondern in der Regel Mitglieder des Kirchengemeinderats. Wenn jemand keinen Platz mehr findet, sollten sie Auskunft über alternative Angebote geben können. Vor allem aber ist es ihre Aufgabe, den geregelten Zugang zur Kirche zu organisieren. Denn mit der gewohnten freien Platzwahl ist es wegen Corona
erst einmal vorbei. Die Besucher bekommen am Eingang eine Karte mit der Nummer eines Platzes, an den sie sich zu begeben haben.
Unterschiedlich behandeln katholische und evangelische Kirche die Frage des Abendmahls. In den Gottesdiensten der evangelischen Kirchen wird bis auf Weiteres kein Abendmahl mit der Gemeinde gefeiert. In den katholischen Kirchengemeinden gibt es dagegen kein einheitliches Vorgehen. So wird in der Seelsorgeeinheit Ailingen, Ettenkirch und Oberteuringen auf die Austeilung der Kommunion verzichtet.
Trotzdem ist das Abendmahl natürlich ein ganz zentraler Bestandteil des katholischen Gottesdiensts, und der katholische Bischof Fürst hat es auch ausdrücklich genehmigt. „Die Kommunion muss aber auch unter den vor Ort herrschenden Umständen umgesetzt werden können“, erklärt Dekan Herbinger die flexible Handhabung in dieser Frage. Bei beengten Raumverhältnissen werde man tendenziell auf das Abendmahl verzichten, so Herbinger. In den großzügigen katholischen Kirchen der Innenstadt soll das Abendmahl aber ausgeteilt werden. „Wir lassen die Leute dazu nicht durch die Kirche laufen. Sondern wir kommen zwischen die Bänke und legen die Oblate vor die Gläubigen auf eine Serviette auf die Bank.“Die Kommunion vollzieht dann nicht jeder für sich, sondern alle zusammen. Herbinger kann dieser Gleichzeitigkeit einiges abgewinnen: „Das ist wie in der christlichen Urgemeinde.“