Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Räte tagen mit Abstand und „Maultäschle“
Am Montag macht sich die Kommunalpolitik in der A2 auf den Rückweg zur Normalität
Von Martin Hennings
FRIEDRICHSHAFEN - Das ganze Land will zurück zur Normalität. Dazu gehört auch, dass die Gemeinderäte wieder ihre Arbeit aufnehmen. Am Montag geht’s los – in der Messehalle A2 und mit gehörigem Abstand. Einige Grüne kritisieren die Informationspolitik der Stadt.
Die A2 hat schon viel gesehen. Am Montag Abend wird sie um eine Erfahrung reicher sein. Denn dann hat dort der Finanz- und Verwaltungsausschuss (FVA) des Gemeinderats getagt, jedes Mitglied an einem Einzeltisch, mit Mikrofon. Auch die Mitglieder der Verwaltung sitzen an Einzeltischen. Auf einer Leinwand sind Sitzungsunterlagen und Präsentationen zu sehen. Dort können auch Videoteilnehmer zugeschaltet werden. Zwei Räte haben mitgeteilt, dass sie gern per Videoschalte an den Sitzungen teilnehmen möchten. Nach der gültigen Rechtslage haben sie dann kein Stimmrecht. Die Landesregierung arbeitet an einer Neufassung der Bestimmungen hierzu. Für Zuschauer werden in der A2 fünf Stuhlreihen – jeweils mit Abstand – aufgebaut.
Zwei Sitzungsrunden sind wegen Corona ausgefallen, am 9. März hat der FVA zuletzt getagt. Nach Auskunft der Stadt wurden die sieben Fraktionsvorsitzenden „laufend von Oberbürgermeister Andreas Brand über aktuelle Themen und die aktuelle Lage informiert, sowohl in wöchentlichen Telefonkonferenzen als auch schriftlich“.
Die Räte stehen nach eigenem Bekunden größtenteils hinter diesem Vorgehen. So sagt Norbert Fröhlich (CDU): „Dass der Gemeinderat auch und gerade in der Krise arbeits- und konsensfähig ist, hat er mit seinem schriftlichen Umlaufbeschluss zur städtischen Corona-Soforthilfe bewiesen.“Allerdings sei die offene, demokratische Debatte nicht zu ersetzen. „Fehlt diese dauerhaft, entstünde tatsächlich ein demokratisches Defizit“, sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Achim Brotzer. Um möglichem Vertrauensverlust vorzubeugen und ein „demokratisches Vakuum in der Krise“zu vermeiden, hält er es für wichtig, dass „Wissenschaft und die von ihr beratene Bundesund Landespolitik bis hin zu Verwaltung und Gemeinderat vor Ort in der Lage sein müssen, nicht nur schnell und vollständig zu informieren, sondern auch Rechenschaft abzulegen und genau erklären zu können, was warum getan“werde.
Einige Mitglieder der grünen Fraktion fühlen sich schlecht eingebunden. „Eine bessere Informationspolitik wäre wünschenswert gewesen“, sagt Felix Bohnacker. Regine
Ankermann meint: „Ich finde mich nicht genügend eingeweiht in viele Entscheidungen. Mich hätte zum Beispiel interessiert, wie ein Krisenstab zustande kommt.“Sie hätte sich „auch eine Möglichkeit gewünscht, Fragen stellen zu können und Meinungen zu äußern“. Fraktionskollege Gerhard Leiprecht meint dagegen, dass nur unwesentliche Entscheidungen schriftlich gefällt worden seien. Den Rest habe man verschoben. Fraktionsvorsitzende Anna Hochmuth wünscht sich für die Zukunft, dass die gesetzlichen und technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um digital diskutieren und abstimmen zu können.
Nach Ansicht von SPD und Linker war durch Info-Mails des OB und der Fraktionsvorsitzenden „die notwendige Transparenz gewährleistet“. Es seien nur Projekte verfolgt worden, „die demokratisch legitimiert und schon ,in der Pipeline’ waren“. OB und Bürgermeister seien demokratisch gewählt und zu Entscheidungen legitimiert. Auch Dagmar Hoehne, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, sieht „kein politisches Vakuum, sondern eine andere Form des Austausches“. Man freue sich jetzt „auf eine persönliche Begegnung, eine Präsenzsitzung und die Herstellung der Öffentlichkeit – wenn auch mit ,Maultäschle’“.
Jürgen Holeksa, Fraktionsvorsitzender des Netzwerks für Friedrichshafen, stellt fest, dass überall im Land „Sitzungen verschoben, reduziert und gekürzt wurden und verstärkt Eilentscheidungen des Bürgermeisters, Offenlegung und Umlaufbeschlüsse zum Einsatz kamen. In Corona-Zeiten mag dies sachlich geboten und richtig sein, es schadet aber der Demokratie.“Diskussion und Transparenz käme so zu kurz. „Es wäre daher für uns mehr als wünschenswert, dass auf Grundlage einer weiterentwickelten Gemeindeordnung, die Geschäftsordnung des Gemeinderates künftig einen verbindlichen und praktikablen Rahmen setzt“, so Holeksa.
FDP-Fraktionschefin Gaby Lamparsky verneint, dass Corona zu einem demokratischen Vakuum geführt habe. „Dafür ist der Zeitraum zu kurz gewesen. Das Corona-Virus hat zu einer Vollbremsung für alle geführt, also auch für alle Parlamente.“Auch die Fraktion ÖDP/parteilos trägt die Unterbrechung des Sitzungsrhythmus’ mit. Das schriftliche Umlaufverfahren für Ratsbeschlüsse sei unter diesen Umständen tragbar, „aber als Dauerzustand wäre es den Entscheidungen nicht zuträglich, wenn keine direkten Diskussionen möglich sind. Wenn es noch länger gehen würde, dann hätte es sicher ein Vakuum gegeben.“