Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wabco stärkt ZF-Nutzfahrzeuggeschäft
Trotz Krise: Viel Zustimmung für Übernahme – Betriebsrat: „Wir kämpfen um jeden Job“
Von Martin Hennings
FRIEDRICHSHAFEN - „Wabco-Deal sichert Arbeitsplätze am ZF-Standort Friedrichshafen“: So oder so ähnlich sollte die Überschrift dieses Artikels eigentlich lauten. Doch seit Donnerstagnachmittag haben solche Aussagen einen schalen Beigeschmack. Denn nur einen Tag vor dem Vollzug der 6,2 Milliarden Euro schweren Übernahme des belgischamerikanischen Bremsenspezialisten hat ZF den Abbau von bis zu 15 000 Arbeitsplätzen weltweit angekündigt. Nicht nur ZFler werden das Geschäft deshalb kritischer beäugen als noch vor einem halben Jahr.
ZF ist vor allem ein Autozulieferer, der Produktionsstandort Friedrichshafen aber stark vom Nutzfahrzeuggeschäft geprägt. 4400 der 9500 Mitarbeiter vor Ort arbeiten in der dafür zuständigen Division T. Ihr Chef, der neue Divisionsleiter Andreas Moser, ist sich sicher: „Die Akquisition von Wabco stärkt das Nutzfahrzeuggeschäft von ZF umfassend.“Es erhalte im ZF-Konzern „ein noch stärkeres Gewicht als bisher“.
Das sieht auch Achim Dietrich, Vorsitzender des Betriebsrats, so: „Vorstand und Aufsichtsrat bekennen sich mit dem Geschäft klar zum Nutzfahrzeug.“Durch die Übernahme bekomme ZF noch mehr Aufmerksamkeit
im Markt und bei den Kunden. Achim Dietrich: „Die Wabco-Übernahme sichert Arbeitsplätze in Friedrichshafen.“Der Konzern sei vor allem im Lkw-Bereich bislang auf wenige Kunden fokussiert. „Weil wir künftig das komplette System im Lastwagen beherrschen, haben wir die Chance, weitere Kunden zu gewinnen.“
Davon geht auch Andreas Moser aus: „Mit der Akquisition werden wir unser Produktprogramm vor allem im Bereich Lkw-Sattelauflieger und Flottenmanagement erweitern, so dass wir hier neue Kunden gewinnen werden.“Zurückhaltender äußert sich der Divisionsleiter beim Thema Arbeitsplätze. „Inwieweit sich die Akquisition auf die Arbeitsplatzsituation in Friedrichshafen auswirkt, hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der weiteren Entwicklung des Nutzfahrzeugmarkts in Folge der Corona-Pandemie. Hier wäre es verfrüht, heute Prognosen abzugeben.“
Wabco wird laut ZF zunächst als eigenständige, zehnte Division des Konzerns geführt. Neuer Leiter: Fredrik Staedtler, der Vorgänger von Andreas Moser als Chef der Nutzfahrzeugdivision. Ihren Sitz wird die neue Division im schweizerischen Bern haben, dem bisherigen Firmensitz von Wabco. Ziel sei es, das Nutzfahrzeuggeschäft
von ZF „perspektivisch in einer Einheit zusammenzuführen“, teilt der Konzern auf Anfrage mit. „Eine Zusammenlegung gleich am Anfang wäre nicht sinnvoll, da wir Wabco als Unternehmen erst in seinen Tiefen verstehen müssen.“
Auch Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand begrüßt als Vertreter des Mehrheitsgesellschafters Zeppelin-Stiftung die Übernahme von Wabco. Sie sichere „die Zukunftsfähigkeit der Nutzfahrzeugsparte von ZF durch zusätzliche Technologien wie zum Beispiel die Bremsentechnologie und die Erweiterung des Produktportfolios zu einem umfassenden Systemportfolio“. Die Wabco-Übernahme sei für den Standort Friedrichshafen „so wichtig wie es 2015 die TRW-Übernahme für die Pkw-Sparte und den ZF-Gesamtkonzern war“, sagt Brand.
Das Geschäft helfe, „den Produktionsstandort Friedrichshafen noch sicherer und zukunftsfähiger zu machen“. Damit habe „die Übernahme auch bedeutende industriepolitische Relevanz“für Friedrichshafen, so der Oberbürgermeister.
Betriebsratschef Achim Dietrich freut sich nach eigenen Angaben, dass „mit den Kolleginnen und Kollegen von Wabco eine gut organisierte und selbstbewusste Belegschaft
ANZEIGE zur ZF-Familie kommt. Als Betriebsräte werden wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass gute Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze zum Erfolgsfaktor für eine gelungene Übernahme werden.“Sein WabcoKollege Jens Schäfer sagt: „Der Zusammenschluss aus zwei Unternehmen bringt noch keinen Mehrwert. Es wird also darauf ankommen, dass sich die Beschäftigten für das neu gebildete Unternehmen begeistern und gut zusammenarbeiten.“
Beide Betriebsräte werden nach Auskunft der Arbeitnehmervertretung zunächst bestehen bleiben. Nach der nächsten Wahl im Frühjahr 2022 wird es dann einen gemeinsamen Gesamtbetriebsrat geben. Genug zu tun bekommen dürften die Gewerkschafter aber schon vorher, nicht zuletzt wegen der Stellenstreichungspläne, die am Donnerstag bekannt wurden. „Mit der Corona-Krise hat sich die Lage unvorhersehbar verschärft“, sagt Achim Dietrich. „Sie darf aber nicht dazu führen, dass es zu einem personellen Kahlschlag kommt. Wir werden um jeden Job kämpfen.“Jetzt werde sich zeigen, was die ZF-Kultur wert ist. „Wir fordern ein, dass das Unternehmen alles dafür tut, um Standorte und Arbeitsplätze zu sichern. Gemeinsam und solidarisch müssen wir diese Krise überwinden.“