Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kulturbüro kämpft mit vielen Unwägbarkeiten
Corona-Krise: Leiterin Sarah Baltes arbeitet an Alternativen – Abos sind ein besonderes Problem
Von Harald Ruppert
FRIEDRICHSHAFEN - Das Coronavirus beutelt das Kulturleben in Friedrichshafen. Erst wurde das Bodenseefestival abgesagt, dann das Kulturufer. Ob Ende September das Jazz & More-Festival stattfinden kann, ist noch offen. Wie es in der neuen Spielzeit im Herbst weitergehen wird, kann die neue Kulturbüroleiterin Sarah Baltes noch nicht sagen.
Vieles hängt in der Luft, unter anderem ein kleines Alternativprogramm für das Kulturufer. Sarah Baltes und ihr Team wollen vor allem Künstler aus der Region engagieren, für kleinere Open Air-Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem GZH. Wie dabei die Auflagen zum Schutz vor Corona eingehalten werden können, ist noch unklar. „Es muss ein abgetrennter Bereich sein, an einer Stelle mit wenig Laufpublikum“, sagt Baltes. „Und wir werden mehr Personal als üblich brauchen.“Das Personal soll dem Publikum helfen, Abstand voneinander zu halten. Es wird auch dafür sorgen müssen, dass sich am Rand des Open-Air-Geländes kein Pulk von Zaungästen bildet. Sonst wäre der Corona-Schutz wieder für die Katz.
Ob es die Open Air-Veranstaltungen in diesem Sommer überhaupt geben wird, ist aber unklar. Grund ist die aktuelle Corona-Verordnung. Egal ob eine Veranstaltung drinnen oder im Freien stattfindet, es sind maximal 100 Besucher erlaubt. Sarah Baltes hatte sich für Freiluftveranstaltungen einer höhere Schwelle erhofft. „Bei dieser Grenze müssen wir sehen, ob sich Open Air für uns überhaupt lohnt.“
Das größte Problem stellen aber die Kultur-Abos in der neuen Spielzeit 2020/2021 dar: „Wir haben in manchen Aboringen bis zu 900 Abonnenten“, sagt Baltes. 900 Menschen, die fast den ganzen Hugo-Eckener-Saal im GZH füllen und teils schon seit Jahrzehnten feste Sitzplätze haben. Im Augenblick kann niemand sagen, wie viele Sitzplätze eigentlich verkauft werden können. Derzeit gilt zwar die Schwelle von 100 Besuchern – aber wird sie auch noch gültig sein, wenn im Herbst die Spielzeit beginnt? Oder werden dann wieder viel mehr Personen erlaubt sein? Ist bis dahin umgekehrt ein zweiter Lockdown eingetreten und es geht gar nichts mehr? Sarah Baltes hofft, dass die Zeit weitere Lockerungen bringt und hat den Abonnenten einen Brief geschrieben, dass sich die Abo-Vergabe in diesem Jahr etwas verzögern wird.
Auch mit Blick auf die bereits engagierten Künstler muss Zeit gewonnen werden. Das Kulturbüro hat ihnen keineswegs pauschal abgesagt. Es versucht zu retten, was zu retten ist. Aber das Kulturprogramm besteht zu 90 Prozent aus Gastspielen und es ist sehr international: „Ensembles werden von sich aus absagen, weil sie nicht proben können oder weil sie keine Reiseerlaubnis bekommen“, sagt Sarah Baltes. Für große Ensembles, etwa für Orchester und Tanzcompagnien, sei der Corona-Schutz
einfach nicht einzuhalten. „Das gilt von der Anreise über die Situation in den Garderoben bis zu den Auftrittsbedingungen auf den Bühnen selbst“, sagt Baltes. Wie sollen Tanz und Theater ohne Körperkontakt stattfinden? Offene Fragen, auf die Antworten gesucht werden. Aber Baltes ist klar: „Vieles geht mit Corona einfach nicht.“Ob der gewohnte Umgang der Abos eingehalten werden kann - vier Veranstaltungen pro Ring - scheint da zweifelhaft.
Allerdings gibt es alternative Szenarien. Eines davon ist eine Verschiebung von Engagements auf spätere Spielzeiten. Gerade bei großen Orchestern sei das aber nicht möglich, weil Auftritte im Rahmen großer Tourneen geplant werden. Eine andere Option ist die Absage, schon aus Kostengründen: „Wenn ein Orchester eine hohe fünfstellige Summe kostet, aber keine 100 Leute in den Saal dürfen, ist das nicht mehr darstellbar“, sagt Sarah Baltes. Die Absage sei aber das letzte Mittel. Vorher wird über kleinere Besetzungen und ein anderes Programm verhandelt. Denkbar ist auch, das Programm zu kürzen, es dafür mehrfach aufzuführen und den Saal zwischendurch zu reinigen. „Wir wollen, dass unsere Kultursaison stattfindet“, stellt Sarah Baltes klar. „Wir haben von der Stadtverwaltung das Signal, dass möglichst viel stattfinden soll. Dass wir weniger Einnahmen haben werden, aber trotzdem Kosten, ist bekannt.“Sie sieht auch eine Pflicht, dem strauchelnden Kulturleben wieder auf die Beine zu helfen: „Als öffentlicher Träger und Veranstalter können wir am ehesten vorangehen und zeigen, dass es eine Perspektive gibt.“Dabei ist Sarah Baltes klar, dass Corona das Kulturleben langfristig verändern wird. „Ich rechne damit, dass das Programm auch in den Folgejahren nicht mehr so laufen kann wie vorher“, sagt sie. Welche Programmangebote wird es nach Corona schlichtweg nicht mehr geben, weil Künstler und ganze Ensembles wirtschaftlich nicht überlebt haben? Und auch der Stadt stellt sich die wirtschaftliche Frage: Die Finanzierung der Kultur in Friedrichshafen hängt an der Zeppelinstiftung. Weil die Stiftungsbetriebe von Corona aber hart getroffen werden, rechnet Baltes über mehrere Jahre hinweg mit Einschnitten im Budget des Kulturbüros. „Ich glaube aber, ich bin durchaus in der Lage, ein Programm zu machen, das interessant und abwechslungsreich ist.“
Am 14. Juni will Sarah Baltes wieder die ersten Besucher in die Veranstaltungen lassen. Alan Wozniak und Ulrich Murtfeld geben dann im GZH ein Konzert vor Publikum, das auch im Internet gestreamt wird. Es werden vor allem die kleineren Veranstaltungen sein, mit denen das Kulturleben wieder anläuft – etwa Kammerkonzerte, Lesungen oder Kindertheater. Veranstaltungen, die im Kiesel ausverkauft wären, könnte man ins geräumige GZH verlegen, überlegt Sarah Baltes. Und natürlich wird weiter an der Idee kleinerer Open-Air-Veranstaltungen gearbeitet. Das hält sie für attraktiver als Liveveranstaltungen im Autokino. Vor allem mitten im Sommer.