Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Frust und Ärger bei Eltern von Kindergartenkindern
In offenen Briefen an die Stadt werden mehr Flexibilität und Kreativität in der Kinderbetreuung gefordert
Von Brigitte Geiselhart
FRIEDRICHSHAFEN - Benjamin und Eva Baumgärtner sind sauer. Tobias und Franziska Haller auch. Und mit ihnen vermutlich viele andere Eltern, die derzeit völlig im Ungewissen darüber sind, wie die Betreuungssituation ihrer Kinder in den Häfler Kitas in den kommenden Wochen aussehen wird. Mit offenen Briefen haben sich beide Klufterner Elternpaare jetzt an die Stadt gewandt, um Antworten auf viele ungeklärte Fragen zu bekommen.
„Wir sind nun in der dreizehnten Woche, in der unser Sohn den Kindergarten Kluftern nicht besuchen kann“, schreiben Benjamin und Eva Baumgärtner. Trotz aller elterlichen Bemühungen habe man den Verlust fast aller sozialen Kontakte und der Förderung im Kindergarten nicht kompensieren können.
Der von der Landesregierung geprägte Begriff des „reduzierten Regelbetriebs“sei letztlich ein unsäglicher Euphemismus angesichts der Tatsache, dass das rollierende System eines ein- bis zweitägigen Kindergartenbesuchs pro Woche für Nicht-Notbetreuungskinder vermutlich nächste Woche schon wieder eingestellt werde.
Ähnlich argumentieren Tobias und Franziska Haller. Auch ihr dreijähriger Sohn sei ein begeisterter Kindergartengänger. „Die Zeit ohne andere Kinder, auch außerhalb das Kindergartens, war in seinem Verhalten deutlich zu erkennen“, sagen sie. Man habe zwar von offizieller Seite gehört, dass die Kindergärten Ende Juni / Anfang Juli wieder regulär öffnen dürften, fühle sich aber mit dieser Info dennoch alleingelassen. „Es scheint, dass andere Themen schneller bearbeitet werden“, betonen
ANZEIGE Tobias und Franziska Haller in ihrem Schreiben. „Für uns ist es auch nicht nachzuvollziehen, dass derzeit keine Bewerbungsgespräche in den Kindergärten stattfinden. Personalmangel besteht nicht nur aufgrund von Corona“, sagen sie.
„Viele Regelungen gehen an der Realität der Familien vorbei“, sagt das Ehepaar Baumgärtner. Sobald einem Elternteil vom Arbeitgeber die Möglichkeit zum Homeoffice eingeräumt werde, bestehe kein Anspruch auf Notbetreuung. „Gleichzeitig von zu Hause aus in Vollzeit zu arbeiten und nebenher Kleinkinder zu betreuen, ist aber völlig illusorisch und allenfalls im Notfall kurzzeitig möglich“, sagen Benjamin und Eva Baumgärtner. „Dieser Ausnahmezustand wird nun als neue Normalität betrachtet.“
Man habe kein Verständnis dafür, dass in fast allen Bereichen des Lebens die Normalität zurückkehre, aber in Bezug auf die Kindertagesstätten keine Aktivität zu erkennen sei, so ein weiterer Kernsatz ihres offenen Briefes. Man befürchte, dass zum nächsten Monatsbeginn keine Normalisierung der Betreuungszeiten, sondern lediglich ein Wechsel der Begründung von corona-bedingter Schließung zu personalbedingter Schließung umgesetzt werde. Man sehe die Stadt Friedrichshafen als Träger in der Verantwortung und appelliere, in Kindertagesstätten bei Lösungsansätzen die gleiche Flexibilität und Kreativität wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu zeigen. „Denken sie an ihre jüngsten Bürger, die leider keine laut tönende Lobby haben“, schreiben sich Benjamin und Eva Baumgärtner ihren Frust von der Seele.
„Uns ist bewusst, dass die derzeitige Situation für alle Beteiligten sehr belastend ist“, betont die städtische Pressestelle in ihrer Antwort auf die Elternschreiben. Das betreffe vor allem die Kinder und die Eltern, aber auch die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten, die eine herausragende Arbeit leisteten. Fakt sei aber, dass sich die Anzahl der Kinder in der Notbetreuung fast täglich ändere und deshalb eine permanente Korrektur der Einteilungen und des Personaleinsatzes erfordere. Aufgrund
der erhöhten Anzahl der Kinder in Notbetreuung müsse das rollierende System im Kindergarten Kluftern wie auch teilweise in anderen Häfer Kindertagesstätten ab Montag, 15. Juni eingestellt werden. Des Weiteren könne Personal aus Risikogruppen nicht im Kinderdienst eingesetzt werden. Die derzeit nicht besetzten Stellen im Kindergarten Kluftern sollen aber so schnell wie möglich besetzt werden, das Einstellungsverfahren laufe bereits.
„Ob der Betrieb der Kindertagesstätten Ende Juni wieder komplett geöffnet werden kann, hängt von einer entsprechenden Verordnung der Landesregierung ab“, betont die Stadt. „Wir selbst würden es im Sinne der Kinder und Eltern sehr begrüßen, wenn es baldmöglichst und nicht erst Ende Juni sein wird.“Bisher liege nur eine entsprechende Pressemeldung des Kultusministeriums vom 26. Mai vor. Weitere Infos seien von Seiten des Landes gegenüber den Kommunen bisher nicht erfolgt. Es sei sowohl der Stadt als auch den kirchlichen und freien Trägern der Kindergärten bisher nicht möglich gewesen, den Eltern weitergehende Informationen zukommen zu lassen.
In einem Brief an Kultusministerin Susanne Eisenmann habe Oberbürgermeister Andreas Brand appelliert, den vollständigen Regelbetrieb der Kindertagesstätten noch vor dem 30. Juni wieder aufzunehmen, wie aus der Stellungnahme der Stadt weiter hervorgeht. „Wir sitzen im selben Boot mit den Eltern“, betont auch Klufterns Ortsvorsteher Michael Nachbaur. „Es ist nicht so, dass wir nicht wollten. So lange vom Land keine definitiven Regelungen kommen, können wir auch nichts umsetzen“, sagt er.