Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Mit Kreativität gegen die Krise
Neue Schau im Kunsthaus Bregenz spürt dem Lebensgefühl in Zeiten von Corona nach
Von Antje Merke
BREGENZ - Es gibt Momente, da vergisst man das Virus. Ein paar Sekunden unbeschwerter Achtlosigkeit, in der das Gehirn mal nicht auf Unbehagen oder Abstand geschaltet ist. Seit der Corona-Krise ist alles anders: Am Anfang war man geschockt, dass sich das neue Virus so schnell verbreitet, jetzt zuckt man zusammen, wenn man es vergisst. Das Kunsthaus Bregenz (KUB) hat für seine Sonderausstellung sechs internationale Künstlerinnen und Künstler sowie ein Künstlerkollektiv eingeladen, die sich mit dem beklemmenden Lebensgefühl in Zeiten von Corona auseinandergesetzt haben. Mit der neuen Schau „Unvergessliche Zeit“will das Haus der Pandemie und all ihren Begleiterscheinungen wie Isolation, Quarantäne und Maskenpflicht ein Denkmal setzen.
Wie vielfältig diese Phase erlebt wurde, kann das Publikum bereits im Erdgeschoss erahnen: Einerseits wachsen dort die zarten Aquarelle der Pariserin Annette Messager die rohe Betonwand des Kunsthauses hinauf. Die makabren Szenen zeigen gespaltene Totenschädel und Skelette mit und ohne Maske. Manchmal küssen sie sich sogar oder bilden ein Herz. Angst und Bedrohung sind da in bald jedem Blatt spürbar, aber gleichzeitig auch Lebenswille und Liebe. Die Künstlerin hatte vergangenen Herbst selbst eine Schädeloperation, und die Pandemie verstärkte noch die Konfrontation mit Tod und Vergänglichkeit.
Mit schrägem Humor und Kreativität reagiert andererseits das von William Kentridge aus Südafrika initiierte „The Center for the Less Good Idea“(„Das Zentrum für die weniger gute Idee“) auf die Krise. Die im KUB erstmals als Film gezeigten „29 Long Minutes“gehen auf eine Spontanaktion zurück. Weil eine Veranstaltungsreihe des Kollektivs wegen Corona abgesagt werden musste, erstellten die eingeladenen Künstler kurzerhand digitale Beiträge. Die einminütigen fantasievollen Videoclips stecken voller Performance und Tanz. Auch Altmeister Kentdrige hat sich mit seinen Kohlezeichnungen eingeschlichen. Manchmal untersucht er auch mit absurden Aktionen sein Atelier. Von Pessimismus aber keine Spur.
Andere wie Ania Soliman aus Paris dokumentieren in ihren Werken vor allem die Beschränkungen. Die gebürtige Polin reagiert seit März in einem gezeichneten Online-Tagebuch, das sie Tag für Tag auf Instagram teilte, auf die neue Normalität. Im KUB sind die quadratischen Papierzeichnungen in Schwarz-Rot im Original mit Posts in zahlreichen Vitrinen zu sehen. Sie nehmen eine ganze Etage in Beschlag. Sehr Persönliches mischt sich mit politischen Ereignissen. Die Selbstbespiegelung in der Isolation wird allerdings irgendwann redundant und beginnt zu nerven.
Da ist das Video des Libanesen Rabih Mroué schon unterhaltsamer. Ein Körper wird in allen möglichen Lebenslagen in rasend schneller Bildfolge in weißen Umrissen auf schwarzem Grund gezeigt. Ein eingefügter Text mit Sätzen wie „Tage vergehen und ich bin immer noch in der gleichen Sch…“lassen erahnen, dass es sich um ein Selbstporträt in Zeiten des Lockdown handelt.
Was es bedeutet, durch die Pandemie gebremst zu werden, zeigt die britische Turner-Preisträgerin Helen Cammock. In ihrem Filmessay nimmt sie die Zuschauer mit auf einen Streifzug durch englische Landschaften, Hinterhöfe und das eigene Umfeld. Doch der Müßigang erweist sich als trügerisch. Es schleichen sich in der aus Gedanken und Gesängen gestrickten Erzählung Fragen über Gerechtigkeit, Ausbeutung, soziale Lebensumstände ein. Sie könnten im Zuge der Corona-Pandemie mit steigenden Arbeitslosenzahlen aktueller werden denn je.
Die Kroatin Marianna Simnett wiederum interessiert sich für Grenzüberschreitungen und dafür, was es bedeutet auszubrechen. In „Tito’s Dog“wird aus der hübschen blonden Frau ein Schäferhund. Parallel dazu erzählt Simnett eine Geschichte über das Überleben und den Selbstmord von Tieren. Das ist skurril und faszinierend zugleich.
Einen reizvollen Kontrast dazu bilden die Malereien von Markus Schinwald aus Wien, der im obersten
Stockwerk eine ältere Serie gemeinsam mit neuen Arbeiten präsentiert. Beklemmend sind vor allem seine überarbeiteten Biedermeier-Porträts, die zwischen 2001 und 2019 entstanden sind. Sie ahnen eine Welt mit Masken und Prothesen, Einsamkeit und Orientierungslosigkeit bereits voraus. Allerdings möchte sich der Künstler nicht als Prophet der Corona-Zeit missverstanden wissen. Während die Masken bei ihm als visualisierte Neurosen gelten und damit den Maskierten vor seinen Mitmenschen schützen soll, ist es in der Pandemie umgekehrt. Hier sollen die Masken ja die Mitmenschen vor dem möglicherweise infizierten Maskenträger schützen. So ändern sich die Zeiten.
Die Stärke dieser Ausstellung ist sicherlich die Authentizität der künstlerischen Kommentare zur Corona-Krise. Und als Museum der Gegenwartskunst ist das KUB auch der richtige Ort, um auf eine Situation wie diese aktuell zu reagieren. „Unvergessliche Zeit“ist jedoch nicht mehr als eine Momentaufnahme von wenigen Wochen. Inzwischen hat sich vieles schon wieder verändert – die Blickweise als auch die Probleme.
Öffnungszeiten: Do.-So. 10-18 Uhr, ab 1. Juli Di.-So 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. Aufgrund der aktuellen Lage sind nur gebuchte Führungen möglich. Weitere Infos unter: