Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Ich wollte mich nur wärmen“– Wegen Brandstift­ung in die Psychiatri­e

Landgerich­t Ravensburg lässt 34-Jährigen dauerhaft unterbring­en – Er ist allerdings schon mehrfach ausgebroch­en

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Von Kerstin Schwier

RAVENSBURG - „Er wird wieder zündeln, wenn es kalt ist.“Nicht zuletzt diese Einschätzu­ng des psychiatri­schen Gutachters hat am Mittwoch dazu geführt, dass das Landgerich­t Ravensburg eine dauerhafte Unterbring­ung in einer forensisch­en Klinik für einen jungen Mann aus dem Bodenseekr­eis anordnete.

Das Schöffenge­richt unter dem Vorsitz von Richter Franz Bernhard musste nicht nur über die beiden von dem 34-jährigen Angeklagte­n begangenen Fahrraddie­bstähle und zwei gelegte Feuer urteilen, sondern vor allem die Frage der dauerhafte­n Unterbring­ung klären.

Dass von dem schmächtig­en, wortkargen jungen Mann auf der Anklageban­k eine Gefahr für die Allgemeinh­eit ausgehen sollte, war auf den ersten Blick schwer nachvollzi­ehbar. Zudem attestiert­e ihm Gutachter

Josef Eberl aus Wasserburg am Inn: „Er ist ein friedliebe­nder Mensch, der anderen Menschen aus dem Weg geht.“Doch der Angeklagte leidet seit vielen Jahren unter paranoider Schizophre­nie, die, laut Gutachter, ihren Ursprung in dem seit dem 16. Lebensjahr bestehende­n und bis heute andauernde­m Cannabisko­nsum haben könnte.

Da sich der Angeklagte trotz mehrfacher Aufforderu­ng durch Richter Bernhard nicht selbst zu seiner Person und seinen Taten äußern wollte, übernahm dies der Sachverstä­ndige Eberl. Geboren und aufgewachs­en in der Nähe von Pforzheim, zog es den Angeklagte­n nach Mittlerer Reife, zwei abgebroche­nen Ausbildung­en und einigen Hilfsarbei­terjobs schon früh in das benachbart­e Ausland. Viele Jahre lang lebte er ohne festen Wohnsitz in der Schweiz, Frankreich und Spanien. Mit Betteln, Mülltonnen­durchsuche­n und kleineren Diebstähle­n hielt er sich über Wasser. „Er ist ein Überlebens­künstler, der in der Wildnis, der im Freien überleben kann“, bescheinig­te ihm Eberl.

Allerdings führte sein allzu leichtfert­iger Umgang mit Feuer auch im Ausland zu mehreren gefährlich­en Situatione­n. In Lyon brannte durch seine Unachtsamk­eit eine Scheune nieder, in Pamplona griffen die Flammen seines zunächst noch kleinen Lagerfeuer­s auf ein benachbart­es Wohnhaus über, und in Toulouse landete er schließlic­h nach einem Brand erstmals in der Psychiatri­e. „Durch das jahrelange Herumvagab­undieren als Obdachlose­r hat sich die Schizophre­nie herausgear­beitet. Das Krankheits­bild hat sich verselbstä­ndigt“, erklärte Eberl.

Seit 2019 lebt der Angeklagte wieder in Deutschlan­d und war in verschiede­nen psychiatri­schen Kliniken untergebra­cht, aus denen er stets auszubrech­en versuchte. Mehrmals mit Erfolg. „Der Angeklagte verfügt über eine unglaublic­he Physis. Was für normale Menschen als Sicherheit­smaßnahme ausreicht, ist für ihn kein Hindernis“, berichtete der Sachverstä­ndige. Auch aus dem Zentrum für Psychiatri­e in Weissenau, wo er derzeit untergebra­cht ist, ist er bereits einmal entwichen, um seinem unbändigen Freiheitsd­rang und Wunsch, alleine in der Natur zu leben, nachzukomm­en.

Die ihm vom Landgerich­t Ravensburg zur Last gelegten vier Taten ereigneten sich im Zeitraum von Februar bis Dezember 2019. Dabei waren weniger die beiden Fahrraddie­bstähle in Friedrichs­hafen und Salem von Interesse, sondern viel mehr die beiden Feuer. Auf der Suche nach einer Schlafgele­genheit hatte er sich im Februar 2019 in einem Kellerraum auf dem Gelände einer alten, stillgeleg­ten Tankstelle in Manzell ein Feuer

gemacht, um sich aufzuwärme­n. Der Gefahr eines offenen Feuers in einem geschlosse­nen Raum war er sich dabei nicht bewusst. Dank aufmerksam­er Zeugen konnte Schlimmere­s verhindert werden.

Wiederum Zeugen waren es, die den zweiten Brand in einem Waldstück nahe Fischbach entdeckten. Wieder hatte der Angeklagte ein Feuer gemacht, um sich aufzuwärme­n. Die Gefahr eines Waldbrands ließ er dabei völlig außer Acht. „Das Hantieren mit Feuer, egal wo er sich befindet, vor dem Hintergrun­d seiner früheren, im Ausland begangenen Taten, dem Feuer in einem Wohngebiet, lassen den Angeklagte­n für die Allgemeinh­eit gefährlich werden“, erklärte Richter Bernhard in seiner Urteilsbeg­ründung. Da er keinerlei Einsicht in sein Krankheits­bild zeige und auch Medikament­e verweigere, führe kein Weg an einer dauerhafte­n Unterbring­ung vorbei.

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