Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wer ist systemrelevant?
Systemrelevant“, der Begriff hat gute Chancen zum Wort des Jahres 2020! Als es im März mit dem Shutdown losging, erkannte man mehr als zuvor, dass manche Berufe systemrelevant sind, zum Beispiel Krankenschwestern und Pfleger; aber auch all jene, die dafür sorgen, dass wir etwas zu essen haben: die Verkäuferin im Supermarkt, der Erntehelfer in der Landwirtschaft, der Fahrer auf seinem LKW. Wer systemrelevant ist, hat die Wertschätzung der Gesellschaft. Allerdings bleibt bei den Betroffenen manchmal ein schales Gefühl zurück, wenn die Bezahlung nicht der in Worten ausgedrückten Relevanz entspricht. Im Laufe der letzten Wochen kamen dann immer mehr „systemrelevante“Berufe dazu: Wenn Erzieherinnen und Lehrkräfte auf einmal ausfallen, entdeckt man, welch wichtigen Dienst sie für die Gesellschaft erbringen. Und durch geschlossene Kitas und Schule haben nicht nur Mütter und Väter am eigenen Leib gespürt, dass ohne sie gar nichts geht. Beim Nachdenken darüber, wer für unsere Gesellschaft wichtig ist, wurde mir klar: Jede und jeder ist an seinem Platz wichtig. Wenn nur ein Rad im Getriebe fehlt, läuft das ganze System nicht mehr rund. Alle müssen ihren Beitrag zum „großen Ganzen“erbringen. Auch Bereiche, die manche vielleicht für unwesentlich halten – wie Religion und Kultur – sind notwendig: Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Gerade in schwierigen und unsicheren Zeiten braucht es spirituelle und künstlerische Angebote. Sie bauen auf und machen Mut. Eine zweite Sache wurde mir bewusst: Es ist gefährlich, Menschen zu sortieren: Wer ist relevant und wer nicht? Der Mensch darf nicht an seiner Nützlichkeit gemessen werden. Nach christlicher Auffassung hat jeder Mensch von Gott her Wert und Würde – egal was er gerade leisten kann oder nicht. Jeder gehört dazu und ist auf seine Weise „systemrelevant“.
Christa Hecht-Fluhr ist Dekanatsreferentin im katholischen
Dekanat Friedrichshafen und Fraktionsvorsitzende im Kreistag
des Bodenseekreises.