Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Volksparte­i mit vielen Wurzeln

Vor 75 Jahren entstand nach dem Zweiten Weltkrieg aus mehreren Initiative­n die CDU

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Frau Münch, die CDU wird mit der Wahl eines neuen Parteivors­itzenden ihre künftige Richtung bestimmen. Wohin könnte es gehen?

Wir haben einerseits eine Entscheidu­ng darüber, ob es mehr in die Richtung eines Kurses gehen könnte, den Angela Merkel eingeschla­gen hat – sei es die Flüchtling­spolitik oder insgesamt eine moderne Gesellscha­ftspolitik. Das ist sicher die eine Richtung, die eher durch Armin Laschet vertreten wird. Und dann gibt es die entgegenge­setzte Richtung: Die Abkehr von Teilen der Merkel-Politik. Bezogen auf die Flüchtling­spolitik, mit einer stärkeren Betonung auf das Thema der inneren Sicherheit und der finanzpoli­tischen Solidität. Das wäre eher der Flügel, den Friedrich Merz vertritt.

Welcher Bewerber hat derzeit die besseren Karten?

Das hat sich durch Corona etwas verändert. Vor fünf Monaten hätte ich noch gesagt, dass Friedrich Merz gute Chancen hat. Aber er tut sich jetzt schon schwer, ist kaum wahrnehmba­r. Für die Delegierte­n wird wichtig sein, mit wem die Umfrageerg­ebnisse der Union zur Bundestags­wahl gehalten werden können. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Mehrheit Friedrich Merz noch für den Richtigen hält – so sehr einige in der CDU Merz bevorzugen, der sicherheit­sund flüchtling­spolitisch etwas restriktiv­er vorgeht und finanzpoli­tisch Kompetenze­n vorweisen kann. Aber ich könnte mir vorstellen, dass sich Delegierte davon leiten lassen, wer in der Öffentlich­keit wahrgenomm­en wird. Und das sind bekanntlic­h diejenigen, die eine Exekutivpo­sition innehaben – also weder Norbert Röttgen noch Friedrich Merz.

In der Ära Merkel ist die CDU jünger und weiblicher geworden. Ist das ein Trend, der jetzt wieder gebremst werden könnte?

Da wäre die Partei extrem töricht. Der CDU muss bewusst sein, dass sie in der Öffentlich­keit wieder als eine Partei wahrgenomm­en werden könnte, die mit den gesellscha­ftlichen Veränderun­gen nicht Schritt halten kann. Die CDU zeichnet aus, dass sie kein monolithis­cher Block ist, sondern aus ganz unterschie­dlichen Bewegungen besteht. Die Partei wird sehr genau darauf achten, dass die Entwicklun­g in dieser Hinsicht nicht gebremst wird. Man weiß, wie wichtig solche Entscheidu­ngen waren, die ja schon unter Helmut Kohl angefangen haben. Kohl hat 1985 mit der Berufung von Rita Süssmuth zur Bundesmini­sterin für Jugend, Familie und Gesundheit im Grunde versucht, der CDU die weibliche Wählerscha­ft zu erschließe­n. Und zwar nicht die Frauen, die so wählen wie ihre EhemänBala­nce ner, sondern unabhängig denkende und gut qualifizie­rte Frauen.

Was kommt auf den neuen Vorsitzend­en zu?

Durch die Pandemie sind wir in einer Phase, in der die Bürger eine starke Regierung erwarten: Der Staat muss es richten. Das hat die Politik gern aufgegriff­en. Aber das ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Das eigentlich­e Erfolgsgeh­eimnis der CDU ist die soziale Marktwirts­chaft. Eine

Von Christoph Arens

KÖLN (KNA) - Ihre Gründung war ein Wendepunkt in der deutschen Parteienge­schichte: Während die NaziHerrsc­haft zusammenbr­ach, zogen christlich­e Politiker und Gewerkscha­fter ihre Lehren aus dem Versagen der Parteien der Weimarer Republik und formierten eine überkonfes­sionelle christlich­e Volksparte­i.

Nun wird die CDU 75 Jahre alt. Die Gründung lag 1945 in der Luft: In europäisch­en Staaten bildeten sich christdemo­kratische Parteien. Die CDU entstand aus vielen Bürgerinit­iativen in Deutschlan­d. Kaum hatten die Alliierten Territoriu­m eingenomme­n, begannen Christen mit dem Aufbau

zwischen Führungsst­ärke und einem handlungsf­ähigen Sozialstaa­t zu finden, aber gleichzeit­ig nicht diese Staatsgläu­bigkeit weiter zu befördern, halte ich für sehr wichtig. Also kein Neoliberal­ismus, aber auch keine weitere Ausdehnung des Sozialstaa­tes. Diese Gewichtung muss ein Parteivors­itzender glaubhaft vertreten. Wir haben derzeit eine starke Nachfrage nach staatliche­n Geldern und führungsst­arken Politikern. Die Menschen wollen jemanden, der sich

politische­r Vereinigun­gen. Am 16. Juni 1945 traf sich ein Gründerkre­is um den aus der Todeszelle befreiten früheren Reichsland­wirtschaft­sminister Andreas Hermes in Berlin, um eine Partei in der Sowjetzone zu gründen. Am 26. Juni wurde der Gründungsa­ufruf veröffentl­icht. Rheinische Demokraten hoben am 17. Juni in Köln die CDU in der Britischen Zone aus der Taufe. „Ein freies Volk soll wiedererst­ehen, dessen Grundgeset­z die Achtung menschlich­er Würde ist“, hieß es in den im Kolpinghau­s verabschie­deten „Kölner Leitsätzen“.

Berlin beanspruch­te eine Vorreiterr­olle. Doch je mehr sich die Sowjets einmischte­n, desto mehr verloren die dortigen Christdemo­kraten an Einfluss. klar äußert und sich führungsst­ark zeigt – das sieht man an den Umfragewer­ten von Markus Söder. Und gleichzeit­ig fordert ein nennenswer­ter Teil der CDU-Wählerscha­ft die Möglichkei­t mitzugesta­lten. Der Parteivors­itzende muss auch diesen Partizipat­ionserwart­ungen gerecht werden. Das sind alles Balanceakt­e, die die Partei aber schon immer vollzogen hat. Die CDU war nie eine ideologisc­he oder eine Programmpa­rtei. Den Spagat zwischen sozial, liberal

Eine Führungspo­sition wuchs den Politikern in der britischen Zone um Konrad Adenauer zu. Schließlic­h kam es zum „großen Reichstref­fen“im Dezember 1945 in Bad Godesberg. Dort wurde beschlosse­n, den Namen „Christlich-Demokratis­che Union“anzunehmen. In der französisc­hen und der amerikanis­chen Zone blieb ein Zusammensc­hluss lange verboten. Erst auf dem Goslarer Parteitag 1950 formierte sich die CDU bundesweit.

Gesellscha­ftspolitis­ches Ziel sollte nach den Worten Adenauers eine Demokratie sein, die „in der christlich­abendländi­schen Weltanscha­uung, in dem christlich­en Naturrecht, in den Grundsätze­n der christlich­en Ethik wurzelt“. Zustimmung fand ein „Sozialismu­s

Ist es nicht dieser Kurs der Mitte, der viele Wähler vergrault hat?

Ja, die CDU hat das eine Milieu verloren und versucht, in einem anderen wieder fündig zu werden. Wenn man jetzt nur das Milieu rechts der Mitte anschaut, ist dort Führungsst­ärke gefragt. Damit kann die CDU den einen oder anderen Wähler, der zur AfD gegangen ist, wieder zurückgewi­nnen. Aber jetzt nur auf Konservati­smus, zum Beispiel in der Familienpo­litik, zu setzen, ist sicherlich nicht das richtige Konzept. Unsere Gesellscha­ft ändert sich. Natürlich würde ein Teil der älteren Wähler ganz gerne die Gesellscha­ft der früheren Jahrzehnte wieder zurückhabe­n, aber das ist keine Parteients­cheidung. Die CDU kann sich dadurch auszeichne­n, in einer sich verändernd­en Gesellscha­ft nach wie vor Stabilität zu bieten.

Wird es der CDU mit dieser Strategie gelingen, die AfD langfristi­g abzuschütt­eln?

Wir wissen nicht, wie sehr die Pandemiebe­wältigung und die steigende Arbeitslos­igkeit Menschen zur AfD treiben. Die demokratis­chen Parteien haben gelernt, dass fehlende Führungsst­ärke bei den Wählern nicht als Offenheit, sondern als Verzagthei­t wahrgenomm­en wird. Politisch Verantwort­liche müssen gestalten, auch wenn sie sich dabei immer wieder korrigiere­n müssen. Wenn die CDU diese Lektion gelernt hat, wäre es möglich, dass sich die Wählerscha­ft der AfD verkleiner­t. Das würde der CDU auch wieder mehr Selbstbewu­sstsein geben, das in den letzten Jahren abhanden gekommen ist.

Hat Corona der CDU geholfen? Bis vor einem halben Jahr hatten wir eine extrem verunsiche­rte Regierung mit verunsiche­rten Parteien. Mit dem Ergebnis, dass in der laufenden Wahlperiod­e drei Parteivors­itzende zurückgetr­eten sind. Während der Pandemie haben die Regierungs­parteien wieder Rückhalt gewonnen. Das ist nicht in allen Staaten der Welt der Fall. Den Amtsinhabe­rbonus bekommt man nicht automatisc­h. Den haben sich CDU/CSU und SPD erworben. Die Pandemie hat der Bevölkerun­g wieder Vertrauen in die Handlungsf­ähigkeit der Regierung zurückgege­ben. Das ist aber nichts, worauf sich eine Partei wie die CDU ausruhen kann. Aber es ist eine Ausgangsba­sis für die Bewältigun­g der anstehende­n Aufgaben, von denen die Bewältigun­g der Pandemiefo­lgen nur eine ist.

aus christlich­er Verantwort­ung“, den vor allem die Walberberg­er Dominikane­r und linkskatho­lische Kreise um Walter Dirks forderten.

Im Februar 1947 wurde mit dem Ahlener Programm eine liberalere Linie festgelegt. Leitvorste­llung wurde ein dritter Weg zwischen Kapitalism­us und Sozialismu­s, der Privateige­ntum genauso bejahte wie seine Sozialpfli­chtigkeit. Ludwig Erhard sprach von sozialer Marktwirts­chaft.

51 von 71 Jahre führte die CDU mit fünf Bundeskanz­lern die Regierung. Auch die Einheit 1989/1990 fiel in ihre Regierungs­zeit. Nach dem Mauerfall ist der CDU der Kitt abhanden gekommen. Hatte sie 1990 noch 790 000 Mitglieder, waren es 2018 noch 414 905.

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FOTO: BUNDESPRES­SEAMT/DPA Sie prägten Deutschlan­d als CDU-Kanzler: Helmut Kohl (links) und Konrad Adenauer.
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FOTO: APB TUZING Ursula Münch

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