Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Corona stürzt Rotes Kreuz in die Krise
Rund 92 000 Euro Einnahmeverluste pro Monat - Hilfe von Stadt und Kreis gefordert
Von Harald Ruppert
FRIEDRICHSHAFEN - Der DRK Kreisverband Bodenseekreis ist durch die Corona-Pandemie in finanzielle Schieflage geraten. Also mitten in einer Situation, in der man sich die Krise eines Akteurs, der im Gesundheitsschutz eine wichtige Rolle spielt, nicht leisten möchte.
„Wir versorgen mit unseren Angeboten im Bodenseekreis monatlich etwa 5000 Personen. Davon können wir derzeit nur rund ein Drittel bedienen“, sagt DRK-Kreisgeschäftsführer Jörg Kuon. Dadurch fehlen seit März in jedem Monat 92 700 Euro in der Kasse. Und weil das DRK der Gemeinnützigkeit unterliegt, also nicht auf die Erwirtschaftung von Gewinnen ausgerichtet ist, liegt wenig auf der hohen Kante. „Die Rücklagen sind bescheiden und schmelzen schneller als die Gletscher der Alpen“, sagt Kuon. Der Kontostand beträgt derzeit rund 200 000 Euro. Wenn die Coronabedingte Talfahrt so weitergeht, wird im November kein Geld mehr übrig sein, prognostiziert eine Grafik, die Kuon beim Pressegespräch anlässlich der DRK-Krise auflegt.
Im Zuge des Lockdowns musste im März eine breite Palette von DRKDiensten innerhalb weniger Tage auf Null gefahren werden. Die Kleiderläden
in Friedrichshafen, Überlingen und Uhldingen-Mühlhofen wurden geschlossen. Zahlreiche andere Angebote wurden eingestellt, weil die Menschen, die sie in Anspruch nehmen, aufgrund ihres hohen Alters zur Corona-Risikogruppe gehören – ebenso wie ein Teil der DRK-Mitarbeiter, die sich ehrenamtlich einbringen und bereits im Rentenalter sind. Konkret betroffen sind die vier Demenzbetreuungsgruppen, Gymnastikprogramme, häusliche Betreuungsdienste, die hauswirtschaftlichen Hilfsangebote des „Servicezeit“-Dienstes, Erste-Hilfe-Kurse sowie Betreutes Reisen und Seniorenfahrten. „Einnahmen fallen weg, aber die Kosten bleiben, und durch Corona haben wir auch noch Mehrausgaben für Schutzkleidung für die Bevölkerung und die sozialen Dienste“, sagt Joachim Kruschwitz, Präsident des Kreisverbandes. Die Schutzkleidung schlug mit 27 000 Euro zu Buche. Die Rotary-Clubs Friedrichshafen und Überlingen sprangen glücklicherweise mit insgesamt 12 000 Euro in die Bresche.
Mit solchen Nothilfen ist es freilich nicht getan. Auch nicht mit den 30 000 Euro Soforthilfe, die das Land dem DRK gewährte. Angesicht seiner Einbußen kommt der Kreisverband damit nicht weit. „Wir müssen dringend handeln“, sagt Kuon. Um Personalkosten zu sparen, soll die am 1. April aufgenommene Kurzarbeit bis Ende September verlängert werden. Zudem sollen Mitarbeiter in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Betriebsbedingte Kündigungen will das DRK so vermeiden. Auch durch die Bündelung von Verwaltungsaufgaben mit dem DRK-Kreisverband Wangen will Kuon Kosten sparen. Bei Darlehen, Rechnungen und Mieten hat das DRK eine Stundung erreicht. „Aber was gestundet ist, muss irgendwann bezahlt werden“, sagt Koun.
Unterm Strich ist er zuversichtlich, dass das DRK durch diese Maßnahmen mit einem „blauen Auge“davonkommen werde. Trotzdem brauche das DRK mehr Geld. Kuon wird konkret: „Wir haben bei den Kommunen Friedrichshafen und Überlingen für dieses Corona-Jahr beantragt, dass die Mietkosten für die Kleiderläden komplett übernommen werden. Das sind für Friedrichshafen 22 0000 Euro, für Überlingen 11 000 Euro. Für die Folgejahre wünschen wir uns dann dauerhaft jeweils die Hälfte.“Mehr Geld sei auch für die Demenzberatungsstelle nötig: „Wir bekommen vom Landkreis 30 000 Euro. Um einigermaßen kostendeckend zu sein, bräuchten wir nochmal 20 000. Aber das ist eine politische Entscheidung. Die trifft der Kreistag.“
Es mache keinen Sinn, die realen Kosten an die Menschen weiterzugeben, die die DRK-Dienste in Anspruch nehmen – nicht, wenn sie bezahlbar bleiben sollen, betont KarlHeinz Jaekel, Leiter der Sozialarbeit im DRK Kreisverband. Jörg Koun sieht deshalb die Politik in der Pflicht, dem DRK die nötigen Finanzmittel zur Versorgung der Menschen zu gewähren. „Ist es wirklich eine Freiwilligkeitsleistung, wenn das DRK einen Kleiderladen betreibt? Oder ist es nicht eine Pflicht der Kommune gegenüber der Bevölkerung, dass es ihn gibt? Darüber sollte der Gesetzgeber mal nachdenken“, sagt Kuon und wird deutlich: „Über Millionen, wie zur Finanzierung des Flughafens, redet es sich leicht. Aber mit zehntausend Euro tun sich die Gremien furchtbar schwer.“
Auch andere DRK-Kreisverbände in Baden-Württemberg seien durch Corona in die Krise geraten, betont Marc Gross, Landesgeschäftsführer des DRK. „Hat eine Kommune das Interesse, die Kümmererfunktion zu erhalten, die das DRK wahrnimmt, oder nicht? Und sieht sie das Thema aus der Perspektive der Schwachen?“, fragt er. Geschwächt seien indes auch die Strukturen der freien Träger selbst, so Gross: „Wenn wir in eine zweite Corona-Welle hineingerieten, wären die Herausforderungen nicht mehr zu meistern.“