Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kinder sollen trotz Rotznase in die Kita
Ein einfacher Schnupfen ist laut Sozialminister Lucha kein Ausschlusskriterium
STUTTGART/RAVENSBURG - Darf ein Kind trotz laufender Nase in die Kita? Diese Frage treibt Eltern, Erzieher und Kinderärzte im Land nun schon seit Wochen um. Im Auftrag von Kultus- und Sozialministerium hat das Landesgesundheitsamt nun eine Richtlinie entwickelt. Diese soll am Freitag veröffentlicht werden – am Donnerstag befand sie sich dem Vernehmen nach noch in der Abstimmung. Einen Ausblick hat Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) der „Schwäbischen Zeitung“am Donnerstag in Ravensburg gegeben: Eine Rotznase allein sei kein Ausschlusskriterium.
Mediziner, die im kinderärztlichen Bereich tätig sind, hatten die vergangenen Wochen so volle Praxen wie sonst im Herbst und Winter. Die Eltern standen Schlange, um sich bescheinigen zu lassen, dass ihr Kind nur eine Rotznase und keine CoronaInfektion hat, berichtet etwa Ärztin Julia Bantleon, die in Bad Boll tätig ist. „Es gibt aber viele Ärzte, die davor zurückschrecken, eine Unbedenklichkeit zu bescheinigen“, sagt sie. Wie unterschiedlich das Vorgehen der Ärzte ist, habe sich kürzlich auch bei einem Treffen von Kinderärzten im Kreis Göppingen gezeigt.
„Es ist einfach schwierig“, sagt auch Roland Fressle, Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinderund Jugendärzte. „Sie können ja nicht einfach bescheinigen, wenn ein Kind Schnupfen hat, dass es nicht Corona hat.“Auf der anderen Seite dürften Kinder nicht einfach von Kita und Schule ausgeschlossen werden, wenn sie Schnupfen und Husten hätten. „Dann sind die Einrichtungen im Herbst leer“, so Fressle. „Es gibt auch Kinder, die es zu Hausenicht so schön haben. Die Kinder haben ein Recht auf Bildung.“
Etliche Kitas verlangen aber bislang Bestätigungen vom Kinderärzt, zum Teil deshalb, weil das zuständige Gesundheitsamt dies empfiehlt. „Husten und Schnupfen haben Kinder vor allem in den kommenden Herbst- und Wintermonaten eigentlich immer“, sagt Medizinerin Bantleon, selbst Mutter zweier Kinder. „Die Leidtragenden sind dann die Kinder und die Mütter. Manche Mütter berichten mir davon, dass sie schon jetzt keine Kinderkrankheitstage mehr haben.“Doch wer betreut das Kind, wenn es wegen einer Rotznase nicht in die Kita darf? „Es gibt eine große Verunsicherung“, sagt Bantleon – bei Eltern und Ärzten gleichermaßen.
„Manche Kitas haben das pragmatisch gelöst, andere sehr restriktiv, was für manche Eltern ein großes
Problem war“, bestätigt Michael Mittelstaedt, Vorsitzender des Landeselternbeirats. „Die Situation war wahnsinnig unbefriedigend.“Er lobt die zuständigen Ministerien. Diese hätten die Klagen gehört und vergangene Woche zum hochkarätig besetzten „Schnupfen-Gipfel“eingeladen. Auf dieser Basis hat das Landesgesundheitsamt nun eine Richtlinie erarbeitet, wie mit Krankheitssymptomen umzugehen ist.
Minister Lucha gibt einen Ausblick zum Inhalt. „Gerade bei kleinen Kindern kommen tropfende Nasen immer mal wieder vor“, sagt er. „Wir wissen, dass Kinder vielfach geringere Viruslastenträger sind. Wir wollen einfach eine klare Orientierung bieten und haben uns deshalb verständigt, dass das alleinige Auftreten einer tropfenden Nase ohne sonstige Begleitsymptome kein Ausschlussgrund ist.“Kommen andere Hinweise auf einen Infekt hinzu, sehe das aber anders aus. „Wenn darüber hinaus Symptome auftreten wie Fieber über 38 Grad, trockener Husten, Verlust
von Geschmacks- und Geruchssinn oder starke Halsschmerzen, dann fordern wir die Eltern auf, den Arzt zu konsultieren.“Dieser müsse dann entscheiden, ob das Kind getestet werden solle und ob es in Quarantäne müsse.
„Immer gilt: Kein krankes Kind soll in die Schule oder in die Tagesstätte“, mahnt Lucha und setzt hier auf die Einschätzung der Eltern. Hat das Kind eine Schniefnase, sollten auch weitere Faktoren hinterfragt werden: Gibt es in der Gegend gerade viele Neuinfektionen? Mit wem hatte das Kind Kontakt? Und Lucha betont: „Klar ist auch, dass das pädagogische Personal zu jedem Zeitpunkt die Eltern auch auffordern kann, ihr Kind abzuholen.“
Die kirchlichen und kommunalen Kita-Träger warten nun gespannt auf die Richtlinien vom Landesgesundheitsamt. Denn: „Die bisherigen Formulierungen waren nicht eindeutig, was vor Ort ein etwas ,ausgefranztes’ Handeln zur Folge hatte“, erklärt eine Sprecherin des Städtetags. Der
Verband hatte deshalb dringend Klarheit gefordert, „um den Einrichtungen und Trägern vor Ort rechtssicheres Handeln zu ermöglichen“.
„Wir hoffen natürlich, dass wir einen klaren, pragmatischen Leitfaden an die Hand bekommen“, sagt eine Sprecherin des Gemeindetags. „Es sollte in der Tat nicht so sein, dass Kinder wegen einer Schniefnase wochenlang die Kita nicht besuchen können und in der kalten Jahreszeit sogar wiederholt mehrere Wochen aussetzen müssen. Die ersten Ausführungen des Ministers klingen schon einmal vielversprechend, wir hoffen, dass dies dann so auch in der Richtlinie umgesetzt wird.“
Für manche Kita wird das eine große Umstellung bedeuten – so wie für den Kindergarten im oberen Filstal, der noch am Mittwoch den Kindern einen Brief an die Eltern mitgegeben hat. Aufgelistet sind darin alle Krankheitssymptome, die zu einem Ausschluss von der Betreuung führen. Darunter: „Symptome eines Atemwegsinfekts (z.B. Schnupfen)“.