Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Der Abzug spielt Wladimir Putin in die Hände“
Truppenabzug aus Deutschland – Unions-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sieht eine Chance für Europa
RAVENSBURG - Fast 12 000 Soldaten will US-Präsident Donald Trump aus Deutschland abziehen. Die Empörung ist darüber groß. Der Abzug ist dennoch eine Chance für Europa und ein Geschenk für Wladimir Putin, sagt Roderich Kiesewetter, CDUBundestagsabgeordneter und Verteidigungsexperte der Union. Trump wolle vor allem von innenpolitischen Problemen ablenken, sagt er im Gespräch mit Florian Bührer.
Herr Kiesewetter, was steckt hinter dem Truppenabzug?
Innenpolitisch steht Donald Trump das Wasser bis zum Hals. Darauf reagiert er, wie ein Präsident seines Charakters unter Druck meistens reagiert: Er versucht, über außenpolitische Maßnahmen den innenpolitischen Druck zu mindern. Indem er Deutschland, den wichtigsten sicherheitspolitischen Partner der USA, so dermaßen unter Druck setzt, verspricht er sich eine abschreckende Wirkung gegenüber anderen Partnern, die das Zwei-Prozent-Ziel der Nato nicht einhalten.
Neu ist diese Kritik der USA an den Nato-Ländern und speziell an Deutschland doch nicht?
Bereits sein Vorgänger Barack Obama hat Deutschland aufgefordert, mehr in die Verteidigung zu investieren. Das hat die Bundesregierung in den letzten Jahren auch gemacht, aber noch nicht genug. Unsere Verbesserungen reichen den USA nicht. Obama hat seine Kritik immer diplomatisch umschrieben und höflich formuliert, Trump lässt nun seinen Ankündigungen einfach Taten folgen. Für mich ist das keine Überraschung. Der Abzug der Truppen ist eine Strafaktion gegenüber Deutschland, die nachvollziehbar, aber nicht sinnvoll ist. Trump hat immer wieder betont, er ziehe die Truppen ab, weil Berlin das ZweiProzent-Ziel der Nato nicht erreicht habe.
Die USA verlegen ihr regionales Europa-Hauptquartier von Stuttgart nach Belgien. Dabei erfüllt das Land mit einem Verteidigungsbudget von knapp einem Prozent des BIPs ebenfalls das Ziel nicht. Was ist der Grund für den Umzug?
Ich erkenne vor allem logistische Gründe. Das sogenannte US European Command (Eucom) soll nach Mons ziehen und dort mit dem militärischen Nato-Hauptquartier in Europa eng verbunden werden. So können vor allem Reisekosten gespart werden. An sich halte ich den Truppenabzug nicht für sonderlich negativ. Was mir Sorgen bereitet ist, dass Trump Truppen nicht in den Osten Europas verlegt hat, sondern in den Westen. Mit dem Abzug spielt er Wladimir Putin in die Hände. Eine einseitige Verringerung der amerikanischen Streitkräfte ohne Gegenleistung Russlands kann unseren Verbündeten in Osteuropa schaden, den Zusammenhalt in der Nato schwächen und Moskau in die Hände spielen. Von Russland wird es keine Gegenleistung geben.
Halten Sie es für klug, dass Trump nach den Konsulatschließungen einen weiteren internationalen Konflikt entfacht?
Außenpolitisch ist das alles andere als klug. Trump schwächt die globale Stellung der USA gerade massiv. Die Abhängigkeit der USA von China ist gerade mit Blick auf die internationale Verschuldung enorm. Trump geht es einzig um die maximale Mobilisierung seiner Anhänger, die für ein isolationistisches und national orientiertes Amerika stehen.
Wer kann seine Pläne stoppen?
Sie müssen noch durch den Senat und den Kongress. Die könnten Trump einen Strich durch die Rechnung machen. Der Abzug wird auch innerhalb der USA kritisch gesehen. Bei den Demokraten hat sich bereits Widerstand formiert. Ich befürchte aber, wir müssen uns darauf einstellen, dass es so kommt, wie Trump es angeordnet hat. Das einzig Verlässliche
an Trump ist, dass er umsetzt, was er sagt. So verrückt es auch immer ist. Aber sein Herausforderer Joe Biden hat bereits angekündigt, er werde den Truppenabzug auf den Prüfstand stellen, sollte er im Herbst die Präsidentschaftswahl gewinnen.
Dafür müsste er aber gewählt werden. Seine Umfragewerte stehen gut. Kann Biden darauf hoffen?
Es wird darauf ankommen, ob Biden die vernünftigen Kräfte unter den Demokraten an die Wahlurnen bringen kann. Trump mobilisiert seine Leute rücksichtslos und ich befürchte, er wird damit Erfolg haben. Wir Deutsche sollten nicht romantisch sein, sondern die Lage sehr nüchtern und sachlich analysieren und vom schlimmsten Fall ausgehen. Das wäre die Wiederwahl Trumps. Wenn es anders kommen sollte, haben wir alle berechtigte Hoffnung, dass Biden die Entscheidung revidieren wird.
In der Bundesrepublik sind Enttäuschung und Kritik groß. Wie sehr belastet es die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA?
Die USA sind eine stabile Demokratie und generell sehr deutschfreundlich. Grundsätzlich ändert der Abzug nichts an der engen Freundschaft und Partnerschaft zwischen den Ländern. Aufgrund des nuklearen Schutzschirms sind die USA als verlässlicher Partner durch niemanden zu ersetzen. Weder durch eine Partnerschaft mit Russland, noch durch eine Anbiederung an China. Wir sollten uns bewusst sein, dass wir keinen Sicherheitspartner mehr haben, sollten die Beziehungen zu den USA zerbrechen. Die Bereitschaft der europäischen Länder, in Sicherheit zu investieren, ist sehr begrenzt. Der Abzug ist ein Weckruf an uns Europäer: Wir müssen unsere Sicherheit selbst in die Hand nehmen.
Was werden die Folgen sein?
Sicherheitspolitische Auswirkungen wird der Abzug nicht haben. Wir müssen ihn als Chance begreifen, weil wir ansonsten im europäischen Klein-Klein ertrinken. Wir müssen nun in unsere Sicherheit investieren Das EU-Parlament und die Kommission müssen in der Verteidigungspolitik mehr Kompetenzen bekommen. Die Sicherheit Europas lässt sich national nicht mehr organisieren. Unsere hohen Ausgaben im sozialen Bereich werden wir uns nur weiter leisten können, wenn auch politische Sicherheit herrscht. Dafür brauchen wir eine starke Nato und starke europäische Verbündete.