Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mit 16 an die Wahlurne

50 Jahre nach der Senkung des Wahlalters auf 18 fordern SPD, Linke und Grüne eine weitere Änderung

- Von Ulrich Steinkohl

BERLIN (dpa) - 21, 18 und nun 16? Fünfzig Jahre nach der Senkung des Wahlalters für Bundestags­wahlen von 21 auf 18 Jahre dringen viele Parteien auf eine weitere Herabsetzu­ng. „Ich bin überzeugt davon, dass junge Leute mit 16 sehr wohl in der Lage sind, eine verantwort­liche Wahlentsch­eidung zu treffen“, sagte Bundesfami­lienund Jugendmini­sterin Franziska Giffey in Berlin. „Wir sollten ihnen diese Möglichkei­t geben.“Unterstütz­ung erhielt die SPD-Politikeri­n von den Vorsitzend­en von SPD, Grünen und Linken, Saskia Esken, Robert Habeck und Katja Kipping.

Die SPD fordere die Absenkung des aktiven und passiven Wahlalters auf 16 Jahre für alle Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahl­en, sagte Esken. „Wir müssen jungen Menschen die Möglichkei­t geben, mitzubesti­mmen und mitzugesta­lten.“Habeck sagte: „Wir leben in einer Zeit, in der die Mündigkeit der jungen Generation schon viel früher einsetzt. Es wäre schön, wenn der Gesetzgebe­r das sehen könnte und nachziehen würde.“16-Jährige seien nicht weniger interessie­rt und informiert als 18-Jährige, sagte Linken-Chefin Kipping. „Es ist höchste Zeit, Jugendlich­e ab 16 mitentsche­iden zu lassen.“

CSU-Generalsek­retär Markus Blume zeigte sich dagegen skeptisch. „Es hat sich bewährt, dass Wahlrecht und Volljährig­keit gekoppelt sind“, sagte er. Die volle Strafmündi­gkeit, der Führersche­inbesitz und andere

Rechte und Pflichten knüpften an die Volljährig­keit mit 18 an. „Das ist auch der richtige Maßstab für das Wahlrecht als oberstes Recht in der Demokratie.“Eine Entkoppelu­ng wäre inkonseque­nt. „Die Jugend ist heute so engagiert wie lange nicht. Die Klimabeweg­ung hat gezeigt, dass politische Teilhabe in vielfältig­er Weise möglich ist, ohne dass dafür das Wahlrecht verändert werden müsste“, sagte Blume.

Vor 50 Jahren, am 31. Juli 1970, war eine Grundgeset­zänderung in Kraft getreten, die das Wahlalter für Bundestags­wahlen um drei Jahre senkte. In Artikel 38 heißt es seitdem: „Wahlberech­tigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat (…).“Diesen Schritt hatte SPD-Kanzler Willy Brandt in der Regierungs­erklärung zum Amtsantrit­t 1969 unter der Überschrif­t „Mehr Demokratie wagen“angekündig­t. „Junge Menschen wollen mitreden, beteiligt sein und selbst gestalten. Das ist gut und belebt die Debatten in unserem Land“, sagte Giffey. „Ihre Sicht auf politische und gesellscha­ftliche Entwicklun­gen muss ernst genommen und berücksich­tigt werden.“

Habeck sagte, das Wahlalter 16 solle möglichst schon bei der Bundestags­wahl 2021 gelten. Bei vielen Kommunal- und Landtagswa­hlen sei dies bereits möglich. „Damit werden viele junge Leute früh in die demokratis­che Willensbil­dung eingebunde­n.“Die Erfahrunge­n dabei seien gut. „Es wird Zeit, das auf der Bundeseben­e auch zu tun.“Auch die Jungen Liberalen wollen nun den nächsten Schritt gehen: „Es ist überfällig, dass das Wahlalter überprüft und mindestens auf 16 gesenkt wird“, sagte die Vorsitzend­e des FDP-Nachwuchse­s, Ria Schröder. Es gebe heute „einen ganz großen Mangel in der

Generation­engerechti­gkeit der politische­n Entscheidu­ngen“, bemängelte sie. „Bislang gibt es in der Politik gar kein Interesse, jungen Menschen gute Angebote zu machen, weil die einfach für die Wahlentsch­eidung nicht so relevant sind.“

Dass sie mitentsche­iden würden, wenn sie könnten, hält der Wahlforsch­er Matthias Jung für ausgemacht. „Wir können sehen, dass es eine Art Neugiereff­ekt gibt, wenn man das erste Mal wählen darf, egal in welchem Alter“, sagte der Vorstand der Forschungs­gruppe Wahlen. „Schon vor 20, 30 Jahren hatten wir den Effekt, dass Erstwähler einen Tick häufiger zur Wahl gehen.“Beispiel Bundestags­wahl 2017: Hier lag die Beteiligun­g in der Gruppe der 18bis 20-Jährigen bei 69,9 Prozent, in der nächsten Altersgrup­pe (21 bis 24 Jahre) bei 67,0 Prozent.

Eine am Donnerstag veröffentl­ichte Studie „Wählen mit 16?“der Otto Brenner Stiftung kommt zu dem Ergebnis: Es gibt wenig, was gegen eine Absenkung des Wahlalters spricht. Die Autoren haben die Landtagswa­hlen 2019 in Brandenbur­g und Sachsen untersucht – in Brandenbur­g durften 16- und 17-Jährige bereits wählen, in Sachsen nicht.

Sie stellten fest, dass es zwar möglich sei, durch ein niedrigere­s Wahlalter junge Menschen zu Hause oder in der Schule mit Politik in Verbindung zu bringen, allerdings vor allem „in privilegie­rten heimischen oder schulische­n Kontexten“. Man müsse aufpassen, dass mit dem Senken des Wahlalters nicht die soziale Ungleichhe­it steige.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Noch ist das Wahlrecht an die Volljährig­keit gekoppelt. Das wollen SPD, Grüne und Linke ändern.

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