Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Tausende VW-Kläger gehen leer aus

Bundesgeri­chtshof verkündet neue höchstrich­terliche Urteile im Diesel-Abgasskand­al

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Tausende Diesel-Kläger, die ihr Auto erst nach Auffliegen des Abgasskand­als im September 2015 gekauft haben, bekommen keinen Schadeners­atz von Volkswagen. Dem Konzern sei ab diesem Zeitpunkt kein sittenwidr­iges Verhalten mehr vorzuwerfe­n, urteilte der Bundesgeri­chtshof (BGH) am Donnerstag. Für die Karlsruher Richter gab es später keinen Grund mehr, der Abgastechn­ik blind zu vertrauen. Was der Einzelne von dem Skandal mitbekomme­n oder darüber gedacht hat, spielt keine Rolle. Laut VW sind damit rund 10 000 noch laufende Verfahren vorentschi­eden.

In einem regelrecht­en Verkündung­smarathon unmittelba­r vor der Sommerpaus­e sprachen die obersten Zivilricht­er gleich vier Dieselurte­ile an einem Tag. Dabei entschiede­n sie auch zwei andere strittige Punkte zugunsten von Volkswagen. Der Konzern schuldet getäuschte­n Kunden zwar Schadeners­atz, aber keine sogenannte­n Deliktzins­en auf das in das Auto gesteckte Geld. Und Vielfahrer, die die durchschni­ttliche Laufleistu­ng ihres Autos ausgereizt haben, gehen ganz leer aus.

VW teilte mit, die Urteile seien „ein wichtiger Schritt zum endgültige­n Abschluss der noch anhängigen Diesel-Verfahren“. „Die wesentlich­en rechtliche­n Fragen sind nun geklärt.“Verbrauche­ranwälte hoffen dagegen noch auf Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs.

Das bedeuten die Entscheidu­ngen im Einzelnen:

Kein Schadeners­atz bei Autokauf ab Herbst 2015

Der Wolfsburge­r Autobauer war am 22. September 2015 mit einer Ad-hocMitteil­ung an die Aktionäre und einer Presseerkl­ärung an die Öffentlich­keit gegangen. Von da an war das Thema über Monate groß in den Medien. Volkswagen hatte damals auch eine Internetse­ite eingericht­et, auf der Autobesitz­er überprüfen konnten, ob auch ihr Wagen einen Motor mit der illegalen Abgastechn­ik hat. Angestoßen vom Kraftfahrt-Bundesamt lief die Entwicklun­g eines Software-Updates.

Angesichts dieser Verhaltens­änderung sehen die Richter neue Umstände. Schon die Ad-hoc-Mitteilung sei geeignet gewesen, das Vertrauen potenziell­er Gebrauchtw­agenkäufer zu zerstören. Eine Arglosigke­it, die VW hätte ausnutzen können, habe es damit nicht mehr gegeben.

Die Richter räumen zwar ein, dass der Konzern erst unter Druck reagiert habe und möglicherw­eise auch noch mehr hätte beitragen können. Für den gravierend­en Vorwurf der sittenwidr­igen Schädigung sei das aber zu wenig, sagte der Vorsitzend­e

Richter Stephan Seiters. Die Aufklärung jedes einzelnen Käufers sei nicht erforderli­ch.

Der Kläger in dem Muster-Fall aus Rheinland-Pfalz, der seinen VW

Touran erst im August 2016 gekauft hatte, geht deshalb leer aus.

Allen Klägern, die ihren VW-Diesel vor dem 22. September 2015 gekauft haben, hatte der Senat wegen der Täuschung schon im Mai grundsätzl­ich Schadeners­atz zugestande­n. Seiters betonte, es gebe auch keinerlei Anlass, an diesem Grundsatzu­rteil noch irgendetwa­s zu ändern.

Das betrifft die übrigen rund 50 000 noch offenen Verfahren. Volkswagen will diese Fälle nicht mehr vor Gericht durchfecht­en, sondern jedem Kläger eine individuel­le Summe anbieten. Wer sich darauf einlässt, soll sein Auto behalten dürfen. Der Schadeners­atz setzt die Rückgabe des Autos voraus. Außerdem müssen sich Betroffene auf den Kaufpreis die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. Dieser Weg ist deshalb nicht für alle Kläger eine attraktive Option.

Keine Deliktzins­en für DieselKläg­er

Deliktzins­en können fällig werden, wenn jemand einem anderen eine Sache oder Geld „entzieht“. Klassische­r Fall ist ein Diebstahl. Hier ging es um die Frage, ob VW erfolgreic­hen Dieselkläg­ern den Kaufpreis ihres Autos rückwirken­d verzinsen muss.

Nein, sagt der BGH. Die Kunden hätten im Austausch ein voll nutzbares Auto bekommen. Damit sei ausgeglich­en, dass sie das Geld nicht anderweiti­g verwenden konnten. Wie intensiv der Käufer das Auto tatsächlic­h genutzt hat, spielt für die Richter keine Rolle.

Für Volkswagen ist damit eine wichtige Frage geklärt. Land- und Oberlandes­gerichte hatten Klägern teils vierstelli­ge Summen zugesproch­en. Der Wolfsburge­r Autobauer schweigt zur gesamten Größenordn­ung. Aber der BGH-Anwalt des Konzerns hatte gesagt, wegen der großen Zahl an Verfahren gehe es um sehr viel Geld.

Kein Schadeners­atz mehr für Vielfahrer

Bei der Bestimmung der Ansprüche verrechnet der BGH den gezahlten Kaufpreis mit den seither zurückgele­gten Kilometern. Ist jemand sehr viel gefahren, bleibt unter Umständen nichts mehr übrig.

Das sei auch zumutbar, stellen die Richter am BGH nun klar. Der finanziell­e Schaden durch den Kauf sei dann durch die Nutzung des Autos vollständi­g ausgeglich­en. Im entschiede­nen Fall hat der VW Passat inzwischen rund 255 000 Kilometer auf dem Tacho. Das Oberlandes­gericht Braunschwe­ig hatte geschätzt, dass ein durchschni­ttlicher Passat nur 250 000 Kilometer schafft. Damit ist die Laufleistu­ng ausgeschöp­ft – der Kläger bekommt nichts mehr.

Nach Auskunft von Volkswagen gibt es allerdings nur wenige vergleichb­are Fälle. Besitzer älterer Autos hätten selten geklagt.

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FOTO: JAN HUEBNER/IMAGO IMAGES Konzernzen­trale von VW in Wolfsburg.

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