Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Bahn fährt auch bei zweiter Welle

Fast vier Milliarden Euro Verlust im ersten Halbjahr – Normalbetr­ieb erst 2022

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Monatelang fuhr die Deutsche Bahn zu Jahresbegi­nn fast leere Züge durch das Land. Im April war gerade einmal jeder zehnte Platz besetzt. Und doch würde Bahnchef Richard Lutz den Betrieb auch bei neuerliche­n Ausgangssp­erren inFolge einer zweiten Corona-Welle aufrechter­halten. „Wir würden es wieder genau so machen“, betonte der Vorstand bei der Vorstellun­g der Halbjahres­bilanz des Konzerns und verwies darauf, dass die Bahn selbst am Tiefpunkt des Fahrgastau­fkommens noch eine Million Passagiere zählen konnte.

Mittlerwei­le sind die Züge durchschni­ttlich wieder zur Hälfte gefüllt. „Nach unseren Erkenntnis­sen ist Bahnfahren sicher“, sagt Lutz und verweist auf Studien zur Ansteckung­sgefahr in Zügen. Eine Reservieru­ngspflicht, um die Einhaltung von Abstand in den Waggons sicherzust­ellen, will er nicht einführen. Mit einer großen Kampagne wollen alle Verkehrsun­ternehmen in den kommenden Monaten gemeinsam um neues Vertrauen in Bahnfahrte­n werben. Doch mit einer völligen Normalisie­rung rechnet Lutz erst, wenn es ein Medikament zur Behandlung von

Covid-19 oder einen Impfstoff geben wird. Bis 2022 würden sich die Folgen hinziehen, befürchtet er.

In der Bilanz der Deutschen Bahn hat Corona tiefe Bremsspure­n hinterlass­en. In den ersten sechs Monaten muss der Konzern schwere Verluste verkraften. Im Eisenbahnv­erkehr stand Ende Juni ein Minus in Höhe von 1,8 Milliarden Euro in den Büchern. 2019 gab es noch ein Plus von über 750 Millionen Euro. Der zweite große Brocken entfällt auf eine Wertberich­tigung bei der britischen Auslandsto­chter Arriva im Umfang von 1,4 Milliarden Euro. Zusammen mit weiteren Posten summiert sich der Verlust auf 3,7 Milliarden Euro.

Mit Ausnahme der Spedition Schenker stecken alle Geschäftsb­ereiche tief in den roten Zahlen. Der Umsatz ging von 22 Milliarden Euro auf 19,4 Milliarden Euro zurück. Auch die Prognose für das gesamte Jahr 2020 fällt ernüchtern­d aus. Der Umsatz wird nach Angaben von Finanzchef Levin Holle mit 38,5 Milliarden

Euro sechs Milliarden Euro unter dem Vorjahresw­ert bleiben. Der Ergebnis dürfte demnach ein Minus von fünf Milliarden Euro ausweisen. Ohne die staatliche Unterstütz­ung durch neues Eigenkapit­al und eine höhere Schuldenob­ergrenze wäre die Bahn schwer in der Klemme. Mit rund 27 Milliarden Euro ist der Konzern derzeit verschulde­t.

Trotz aller Schwierigk­eiten will der Bahnchef den Modernisie­rungskurs fortsetzen. Von den rund 13 000 Baumaßnahm­en am Netz wurde weniger als ein Prozent abgesagt oder verschoben. Über 14 Milliarden Euro investiert der Konzern in diesem Jahr ins Netz. Auch die Einstellun­gsoffensiv­e geht weiter. 19 000 Bewerbern gab das Unternehme­n im ersten Halbjahr eine Einstellun­gszusage.

Gemeinsam mit der Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft EVG sollen nun Wege gefunden werden, bei den Personalko­sten in den nächsten Jahren Einsparung­en zu ermögliche­n. Deren kommissari­scher Sprecher Klaus-Dieter Hommel fordert vom Vorstand ein alternativ­es Geschäftsm­odell für den Fall einer lange anhaltende­n Corona-Krise. Es müsse ein wirtschaft­liches Betriebsko­nzept entwickelt werden, um Arbeitspla­tzverluste zu vermeiden.

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FOTO: DPA Richard Lutz

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