Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Airbus in schweren Turbulenzen
Betriebsrat am Standort Immenstaad protestiert gegen Sparpläne – Hohe Verluste im zweiten Quartal
IMMENSTAAD - Der Betriebsrat am Standort Immenstaad bei Airbus Defence & Space lehnt den angekündigten Abbau von 197 Arbeitsstellen am Bodensee ab. „Wir setzen uns dafür ein, dass so viele betroffene Beschäftigte wie möglich an anderen Projekten am Standort arbeiten können und fordern den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen“, sagt Betriebsratschef Christian Birkhofer auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern hatte Ende vergangenen Jahres für seine Verteidigungsund Weltraumsparte umfangreiche Sparmaßnahmen angekündigt. Europaweit baut Airbus rund 2660 Stellen ab, davon 900 in Deutschland. Die Maßnahmen hat Spartenchef Dirk Hoke mit seit Jahren sinkenden Auftragseingängen im Verteidigungsund Raumfahrtsektor begründet. „Dies hat uns in die außergewöhnliche Lage gebracht, dass unsere kurzfristige Perspektive so kritisch ist wie nie zuvor und einen entscheidenden Turnaround erfordert“, hieß es im Weihnachtsbrief von Hoke an die Belegschaft.
Die Corona-Pandemie bringt nun auch den Bereich der kommerziellen Luftfahrt von Airbus in bedrohliche Turbulenzen. Aufgrund des Zusammenbruchs der gesamten Luftverkehrswirtschaft ist der Konzern im zweiten Quartal tief in die roten Zahlen gerutscht, wie Airbus am Donnerstag in Toulouse mitteilte. Der
Umsatz der Sparte brach im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 65 Prozent auf rund fünf Milliarden Euro ein, der operative Verlust summiert sich auf rund 1,5 Milliarden Euro nach einem Gewinn von 1,7 Milliarden Euro im zweiten Quartal 2019.
Für dem Gesamtkonzern sanken die Erlöse um 55 Prozent auf 8,3 Milliarden Euro, operativ verlor Airbus in den Monaten April, Mai und Juni 1,2 Milliarden Euro. „Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind im zweiten Quartal jetzt deutlich sichtbar. Die Auslieferungen von Verkehrsflugzeugen haben sich im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum halbiert“, sagte Airbus-Chef Guillaume Faury. „Wir haben unser Geschäft angesichts des neuen Marktumfeldes neu kalibriert, und die Lieferkette arbeitet mittlerweile nach der neuen Planung.“Dazu
gehört auch die Maßnahme, dass Airbus die Produktion des Langstreckenjets A350 noch stärker zurückfährt als geplant. Statt sechs sollen nun nur noch fünf Maschinen des Typs pro Monat die Werkhallen verlassen. Das entspricht rund der Hälfte des Vorkrisenniveaus.
Im Gegensatz zu den Kollegen, die Verkehrsflugzeuge bauen, können die Airbus-Mitarbeiter der Sparte Defence & Space auf etwas bessere Quartalszahlen verweisen. Der Umsatz ging im Vergleichszeitraum nur um 16 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro zurück, der operative Gewinn ist nach Angaben von Airbus sogar um 30 Prozent auf 171 Millionen Euro gestiegen. Im gesamten ersten Halbjahr 2020 sanken allerdings auch bei der Sparte Defence & Space Umsatz und operativer Gewinn. Die Auswirkungen der Covid-19-Krise auf das
Verteidigungs- und Weltraumgeschäft seien „teilweise durch Kosteneinsparungen kompensiert worden“, teilte Airbus mit. „Der Restrukturierungsplan der Division wurde angepasst und trägt nun auch den Auswirkungen der Covid-19-PandemieRechnung.“
Für den Betriebsratschef von Airbus Defence & Space in Immenstaad am Bodensee ändert das nichts an der Tatsache, dass er und seine Betriebsratskollegen den Stellenabbau ablehnen. „Die Kollegen sollen nicht um ihre Existenz fürchten müssen“, erklärte Birkhofer weiter. „Die Kollegen sind sehr spezialisiert, wenn sie das Unternehmen verlassen, ist das Wissen für uns verloren.“Nun müsse abgewartet werden, wie sich die Verhandlungen zum Sozialplan entwickeln werden.
Besonders betroffen ist nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen die Abteilung Spacecraft Equipment, die sogenannte Elektronikboxen für Satelliten herstellt. Wie viele der 197 Stellen aus dem Bereich gestrichen werden, wollten weder Unternehmen noch Betriebsrat sagen. Airbus verteidigte die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen am Donnerstag noch einmal. „Nach der Ankündigung kommt nun der Prozess der Umsetzung“, sagte ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. „Klar ist, dass der Satellitenmarkt seit einigen Jahren stark unter Druck ist, die Zahl der Satelliten ist erheblich gesunken.“