Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Uf Wiederläse!
In der Regel sind die Leser dieser Sprachglosse sehr kritikfreudig. Wenn ihnen etwas seltsam vorkommt oder gar falsch, dann geben sie Laut. So wären auch nach der letzten Plauderei eigentlich Reaktionen zu erwarten gewesen. Doch sie blieben aus. Niemand monierte, dass Gezerfe – benutzt im Zusammenhang mit dem mühseligen EU-CoronaKompromiss – kein standarddeutsches Wort ist, sondern allenfalls schwäbisch-alemannisch. Ein Grund könnte sein, dass dieser Begriff für eine erbitterte Streiterei im Südwesten sehr oft gebraucht wird, unter anderem quer durch alle Medien. Und damit ist er eben hier lebenden Deutschen aus anderen Gauen durchaus vertraut.
Auch dem Schreiber dieser Zeilen – Alemanne von Geburt, Oberschwabe von Berufs wegen – wurde übrigens der dialektale Hintergrund dieses Wortes erst klar, als er nach dem Erscheinen der Glosse zufällig aus
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
Neugier einmal nachschauen wollte, was eigentlich hinter Gezerfe steckt. Immerhin klingt es ungemein lautmalerisch – man meint fast, das Keifen zu hören. Aber ob bei Duden, Wahrig oder Digitalem Wörterbuch der deutschen Sprache – Fehlanzeige. Im stets mit Gewinn zu konsultierenden Etymologischen Wörterbuch des Schwäbischen von Hermann Wax hingegen wird man fündig: zerfen = streiten, zanken; Gezerf = keifendes Streiten. Und dass es bis auf eine althochdeutsche Wurzel zurückgeht, ist da auch noch zu lesen. Schon wieder etwas gelernt!
Ein ähnlich gelagerter Fall: Lernfähig müssen auch Norddeutsche sein, etwa bei Fahrten durch die Schweiz. Wenn Süddeutsche im Autoradio Verzweigung Zürich Nord hören, so wissen sie normalerweise, dass es sich dabei um ein Autobahndreieck handelt, weil sie eben öfters unterwegs sind bei unseren Nachbarn im Süden. Bei Reisenden von nördlich der Mainlinie sieht das anders aus. Hier nun näher auf die sogenannten Helvetismen einzugehen, müssen wir uns aus Platzgründen leider versagen. Denn das Thema ist sehr komplex. Es gibt – vereinfacht gesagt – zwei Arten von Helvetismen: zum einen rein auf die Schweiz beschränkte Wörter wie Voressen für ein Fleischragout, zum anderen Wörter aus dem Schweizerdeutschen, die ins Standarddeutsche eingegangen sind wie Rösti oder Müsli. Wobei man übrigens korrekt Müesli sagen und schreiben müsste, denn Müsli ist in der Schweiz das Mäuslein – und das mag man eigentlich nicht so gerne auf dem Frühstückstisch. Bleiben wir noch kurz bei Wörtern der ersten Kategorie, die wie im Fall von Verzweigung deutschen Bundesbürgern Schwierigkeiten bereiten können. Da gibt es das Bettmümpfeli (Naschwerk vor dem Schlafengehen) und die Rande (Rote Bete), die Serviertochter (Kellnerin) und das Sackgeld (Taschengeld), die Betreibung (Zwangsvollstreckung) und die Vernehmlassung (Einholung von Stellungnahmen bei einem Gesetzesvorhaben). Und hier noch ein hübsches Beispiel aus dem Straßenverkehr: Unter einem Parkverbotsschild am Basler Rheinufer steht Fehlbare werden für Umtriebe behaftet. Bei uns würde man sagen: Zuwiderhandelnde haften für die entstehenden Kosten. Allerdings wird jeder halbwegs intelligente Autofahrer von der anderen Rheinseite hinter den Sinn dieses Satzes kommen.
Auch der Unterbruch erschließt sich wohl ohne Probleme. Das ist einfach die Schweizer Variante von Unterbrechung. Aber apropos: Wenn ab sofort die halbe Welt Urlaub macht, gönnen wir uns mit dieser Rubrik ebenfalls einen Unterbruch. Geplaudert wird dann wieder im September. Uf Wiederluege! Oder Uf Wiederläse!, um ganz korrekt zu sein.
Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg
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