Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die ganze Stadt ist Bühne
Salzburg blickt auf 100 Jahre Festspielgeschichte zurück – Große Landesausstellung bis 1921
SALZBURG (dpa) - Die Salzburger Festspiele werden im Jahr der Corona-Krise 100 Jahre alt. Eine Ausstellung zeigt das Jahrhundert, in dem das Festival Kulturgeschichte schrieb. Das größte Musik- und Theaterfestival der Welt beginnt provisorisch und mitten in einer Krise. In Österreich herrscht eine Hungersnot, Holz gibt es auch nicht. Auf einer aus den Brettern von Gefangenenbaracken gezimmerten Bühne lässt Max Reinhardt am 22. August 1920 seinen ersten „Jedermann“spielen, das berühmte „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“von Hugo von Hofmannsthal. Die Stühle für die Zuschauer sind aus Gasthäusern zusammengekarrt.
100 Jahre später sind die Salzburger Festspiele ein weltweit berühmter Kulturkoloss; aus sechs Vorstellungen 1920 wurden bis zum vergangenen Jahr 191 Vorstellungen pro Sommer, die 270 000 Besucher sahen. Selbst im Jahr der Corona-Krise 2020 schaffen es die Salzburger Festspiele mit einem Kraftakt als eines der wenigen Festivals in Europa auf die Bühnen, wenngleich vom 1. bis 30. August in abgespeckter Form.
Das Jahrhundert dazwischen beleuchtet zum Jubiläum die Ausstellung „Großes Welttheater“auf fast 2000 Quadratmetern im Salzburg Museum. 100 Jahre Festspielgeschichte als 100 Jahre europäische Kulturgeschichte. Mal im Zeitraffer, mal in langen Momenten collagiert die Schau Bilder, Töne und Relikte – eine ebenso einführende wie detailverliebte Tour durch ein bewegtes Kulturjahrhundert. Am Sonntag öffnet die Ausstellung für 15 Monate.
Der Rundgang beginnt bei Max Reinhardts „Jedermann“-Bühne. Sie ist nach Originalskizzen aufgebaut. Dann finden sich Besucher auf dem Domplatz von 1920 wieder. Eine vom ORF produzierte Dokumentation bietet einen Überblick, dann geht es ins Detail, das Gesamtkunstwerk immer im Blick. „Wir haben überlegt, was macht ein Festspiel zum Festspiel“, sagt die Mit-Kuratorin und Dramaturgie-Leiterin der Festspiele Margarethe Lasinger bei einem Rundgang. „Der Raum spielt eine große Rolle, der Klang, Licht, Architektur, Bühnenbild, Kostüme, die Requisite, das Wort.“
Die Ausstellung ist nicht nur eine Rückblende, sondern auch eine Interpretation. Museen und Künstler wurden zum Dialog geladen und setzten teils zwei Jahre lang ihre Ideen um, um eigene Geschichten über die Festspiele zu erzählen, beschreibt Museumsdirektor und CoKurator Martin Hochleitner.
So sind da einerseits die Reliquien der Festspiele, Requisiten, Kostüme und Papiere, die 100 Jahre Geschichte nachzeichnen. Das Original-Regiebuch des „Jedermann“etwa oder die Absage des Dirigenten Arturo Toscanini 1938 vor der nahenden Machtübernahme der Nazis in Österreich. Das rote Kleid, in dem Anna Netrebko 2005 in der Oper „La Traviata“sang – oder ein bitterböses Telegramm aus den 1960er-Jahren, in dem Thomas Bernhard über den verkürzten Namen eines Stücks im Spielprogramm wütete.
Aus Schubladen ertönen 128 TonRelikte, vom ersten Ruf des „Jedermann“bis zum Senken des Eisernen
Vorhangs. In einem Klangraum, oval und braun vertäfelt – „im Bauch eines Cellos“– lässt sich Beethovens Neunte von den Wiener Philharmonikern unter dem legendären Dirigenten Herbert von Karajan ebenso spüren wie hören.
Aber zentral für die Schau nennen die Kuratoren die Begegnung. So entstand mit dem Jüdischen Museum Wien ein Raum, in dem das Schicksal des Festspiel-Vaters Max Reinhardt im Mittelpunkt steht, stellvertretend für andere jüdische Künstler. Durch ein Tor eröffnet sich der Blick auf den Untersberg – wie in der Glasmalerei, die das unscheinbare Grab von Reinhardt in New York schmückt. 1943 starb der Theaterkünstler dort, nachdem er vor den Nazis ins Exil ging und sein geliebtes Schloss Leopoldskron verlor. Für die Festspielpräsidentin der wichtigste Teil der Ausstellung: „Der Gedanke, dass diese in Salzburg ja seit 1870 schwebende Festspielidee letztlich vor allem deshalb endlich realisiert wurde, weil Max Reinhardt das unbedingt wollte und in Salzburg ein erstes Friedensprojekt machte, und dass dieser Mann nicht einmal zwanzig Jahre später davongejagt wurde, das ist eine sehr schändliche Sache.“
Die Festspiele beginnen am Samstag in der Felsenreitschule mit der Strauss-Oper „Elektra“in einer Inszenierung von Krzysztof Warlikowski; die musikalische Leitung hat Franz Welser-Möst. Es folgt die „Jedermann“-Aufführung mit Caroline Peters als Buhlschaft.
Am Sonntag gibt es mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Così fan tutte“(Regie: Christof Loy, musikalische Leitung: Joana Mallwitz) im Großen Festspielhaus eine weitere Opernpremiere, gleich anschließend im Landestheater dann die mit Spannung erwartete Uraufführung des Schauspiels „Zdenec Adamec“aus der Feder von Literaturnobelpreisträger Peter Handke.
Die Ausstellung im Salzburg Museum, Mozartplatz 1, läuft bis 31. Oktober 2021. Öffnungszeiten Di-So 9-17 Uhr (26. Juli bis 30. September 2020: Mo-So 9-17 Uhr)