Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Normalerweise stehe ich nicht auf Kinder“
Angeklagter sammelt Kinderpornos zur Krisenbewältigung – Traumatische Belastungsstörung führt bei dem Mann zu messihaften Symptomen
BODENSEEKREIS - Ein 57-jähriger Mann aus dem Bodenseekreis hat sich wegen des Besitzes von kinderpornografischen Bildern und Videos vor dem Amtsgericht Tettnang verantworten müssen. Er sammelte über Jahre hinweg Millionen Bilder und Videos mit kinder- und jugendpornografischem Inhalt. Dafür verurteilte ihn nun Richter Oliver Kovatschevitsch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten – ausgesetzt zur Bewährung. Zudem muss der Angeklagte 5000 Euro an den Verein „Frauen helfen Frauen“zahlen und seine bereits begonnene Therapie fortsetzen.
Der 57-Jährige ist strafrechtlich ein unbeschriebenes Blatt und weist eine positive Sozialprognose auf, weshalb die Strafe letztlich zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Auf die Spur des Mannes war die Polizei durch ein anderes Ermittlungsverfahren
gegen einen österreichischen Staatsbürger gekommen. Dieser hatte dem Angeklagten etliche Kinderpornodateien geschickt. Bei einer Wohnungsdurchsuchung im Januar 2019 stellten die Beamten 53 Datenträger mit 2,8 Millionen Bildern und 50 000 Videos mit kinderund jugendpornografischem Inhalt sicher. Neben sogenannten Posingbildern, auf denen Mädchen und Jungen in unnatürlicher Körperhaltung ihre Genitalien zur Schau stellen müssen, fanden sich bei dem beschlagnahmten Material auch etliche Bilder und Videos auf denen schwerer sexueller Missbrauch, darunter auch von Kleinkindern und Babys, zum Teil gefesselt, zu sehen ist. Da der Angeklagte voll geständig war und sich von Anfang an kooperativ verhalten hat, wertete die Kriminalpolizei Friedrichshafen nur 10,6 Prozent des umfangreichen Datenmaterials aus. Sein vollumfängliches Geständnis vor Gericht ersparte auch allen Anwesenden im Gerichtssaal das Betrachten der Bilder. „Die Polizei hat mich befreit. Die Durchsuchung war eine Erleichterung für mich. Ich war in meiner eigenen Welt gefangen. Ich bedauere zutiefst, was passiert ist. Heute weiß ich: Hinter jedem Foto steht ein Missbrauchsfall“, erklärte der Angeklagte. Die Ermittlungen gegen ihn seien wie ein Befreiungsschlag und die Initialzündung dafür gewesen, sich in Therapie zu begeben und Ursachenforschung zu betreiben. Der Flugzeugabsturz von Überlingen wurde dabei als Auslöser herausgestellt. Damals war er als Helfer vor Ort und entwickelte durch dieses dramatische Erlebnis eine posttraumatische Belastungsstörung,
die dazu führte, dass er sich immer weiter aus seinem gewohnten sozialen Umfeld zurückzog. Im Laufe der Jahre driftete er immer weiter in die Welt des Internets ab. Anfangs spielte er nur am Rechner, lud Filme herunter, Musik, ab und zu mal einen „normalen“Porno. Die Beziehung zu seiner damaligen Freundin zerbrach. „Irgendwann habe ich komplett die Kontrolle über mich verloren“, sagte der Angeklagte.
Nach der Arbeit tauchte er sofort ins Internet ab, und irgendwann war da auch die Neugierde, „sich diese Seiten mal anzugucken“. Über einen Chatkontakt bekam er einen Link zugeschickt und dann „wurde es mit der Zeit immer mehr“. Er entwickelte
Der 57-jährige Verurteilte eine regelrechte Sucht, alles zu sammeln. Er entwickelte messihafte Symptome. Dementsprechend sah auch seine Wohnung bei der Durchsuchung aus. Auf die Frage des Richters, welche Bilder ihn erregt hätten, antwortete er: „Anfangs hat es mich geekelt. Dann hat es mir nichts mehr ausgemacht. Ich habe es nicht zur Erregung gebraucht. Zur Erregung hatte ich andere Pornos.“Kinder würden ihn grundsätzlich nicht erregen. Vielmehr hatte er unter dem Zwang gelitten, alles herunterladen zu müssen. Mithilfe einer zweimonatigen Therapie in einer Ravensburger Tagesklinik im vergangenen Jahr konnte der Angeklagte von seiner Internetsucht befreit werden und auch seine posttraumatische Belastungsstörung ist mittlerweile behoben. „Ich habe angefangen, Ordnung in mein Leben zu bringen. Der heutige Tag hilft mir, mit dem Ganzen einen Abschluss zu finden“, erklärte der Angeklagte.
„Die Polizei hat mich befreit. Die Durchsuchung war eine Erleichterung für mich.“