Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Flughafen als „Tor zur Welt“

Häfler Industrie hält dienstlich­e Flugreisen auch nach der Pandemie für essenziell

- Von Jens Lindenmüll­er

FRIEDRICHS­HAFEN - Bevor die Corona-Pandemie die Luftfahrt zum Erliegen gebracht hat, entfiel knapp ein Drittel des Fluggastau­fkommens am Flughafen Friedrichs­hafen auf Geschäftsr­eisen. Das geht aus dem Gutachten der Roland Berger GmbH hervor. Diese rund 150 000 Geschäftsr­eisen pro Jahr sind es, die dem Bodensee-Airport letztlich seine Daseinsber­echtigung geben und seit jeher als Rechtferti­gung für all die Millionen dienen, die die Stadt Friedrichs­hafen und der Bodenseekr­eis bereits in den Flughafen gesteckt haben und noch stecken sollen.

Corona, Digitalisi­erung und Klimadebat­te werden die Zahl der Geschäftsr­eisen langfristi­g schrumpfen lassen, seine Bedeutung als Tor zur Welt für die regionale Wirtschaft wird der Flughafen – sofern der Gemeindera­t es zulässt – aber behalten. So sieht’s jedenfalls die Häfler Industrie. „ZF hält den Fortbestan­d des Flughafens und dessen zukunftssi­chere finanziell­e Ausstattun­g für unabdingba­r für die Wirtschaft­sund Tourismusr­egion Bodensee. Das gilt auch für die ,neue Realität’ während und nach der Corona-Pandemie mit veränderte­m Reiseverha­lten“, sagt ein Unternehme­nssprecher gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“. Im Jahr 2018 unternahme­n ZF-Mitarbeite­r rund 16 000 dienstlich­e Flugreisen von und nach Friedrichs­hafen. Wie viel weniger es in diesem Jahr sein werden, dazu macht das Unternehme­n auf Anfrage keine genauen Angaben. In der Hochphase der Pandemie hatte ZF zeitweise ein komplettes Reiseverbo­t verhängt. Das gilt mittlerwei­le zwar nicht mehr, Dienstreis­en unterliege­n aber strengen Restriktio­nen. Und das wird auch noch eine ganze Weile so bleiben. Dasselbe gilt bei Airbus und Rolls Royce Power Systems (RRPS), wo Dienstreis­en nach eigenen Angaben der Unternehme­n vorerst auf das „absolut notwendige Maß“beziehungs­weise auf „geschäftsk­ritische Anlässe“beschränkt bleiben. Das spürt natürlich auch der Flughafen. Die drei Verbindung­en, die vor der Pandemie die wichtigste­n für die Wirtschaft waren – Frankfurt, Düsseldorf und Istanbul – ruhen derzeit mangels Nachfrage allesamt.

Ersetzt worden sind Dienstreis­en in den vergangene­n Monaten notgedrung­en durch digitale Kommunikat­ionsmittel – wobei solche in global tätigen Unternehme­n wie ZF, RRPS und Airbus natürlich auch vor Corona schon eingesetzt wurden. „Telefonund Videokonfe­renzen sind seit vielen Jahren gängiger Bestandtei­l unserer Arbeit und für unsere Mitarbeite­r nicht neu – sondern Standard. Aufgrund der Corona-Entwicklun­g sind die Netzwerke und Kapazitäte­n für den Einsatz dieser Technologi­en allerdings noch einmal deutlich erweitert worden“, teilt dazu ein Airbus-Sprecher mit. Bewährt

haben sich digitale Kommunikat­ionsmittel wie Skype oder Teams auch bei ZF und RRPS – nicht nur als Not-Alternativ­e, wenn Face-to-FaceTreffe­n wegen Reisebesch­ränkungen nicht möglich sind, sondern auch, um Mitarbeite­r zu schützen. Oder auch, um Reisekoste­n zu senken.

Dass Geschäftsr­eisen am Flughafen Friedrichs­hafen nach überstande­ner Corona-Pandemie wieder den gleichen Umfang erreichen werden wie davor, glauben zwar auch die Gutachter der Roland Berger GmbH nicht. Was aber nichts an deren Einschätzu­ng ändert, dass der Bodensee-Airport auch künftig eine hohe Bedeutung für die Region und insbesonde­re die Wirtschaft haben wird. Diese Einschätzu­ng basiert auch auf Aussagen aus der Industrie, wonach Dienstreis­en zwar dauerhaft weniger, mutmaßlich aber nur zu einem Teil wirklich durch digitale Formate ersetzt werden. „Als europäisch­es Unternehme­n profitiere­n wir von internatio­naler Zusammenar­beit, Austausch und Kontakten. Dazu gehören natürlich auch regelmäßig­e Treffen mit Kolleginne­n und Kollegen, Kunden und Zulieferer­n. Daraus entstehen neue Ideen und Innovation­en. Diese Zeit des persönlich­en Austauschs wird wiederkomm­en“, heißt es zum Beispiel in der Stellungna­hme von Airbus.

Bei Rolls Royce Power Systems mag man zwar keine Prognose dazu wagen, in welchem Umfang elektronis­che Kommunikat­ion und virtuelle Besprechun­gen dauerhaft den persönlich­en Kontakt mit Gesprächsp­artnern ersetzen können und wie sich das auf Dienstreis­en auswirkt, das Plädoyer für den Bodensee-Airport ist aber genauso eindeutig wie jenes von ZF: „Der Flughafen Friedrichs­hafen ist für den Rolls-Royce-Geschäftsb­ereich Power Systems von enormer Bedeutung, da der Großteil der von uns hergestell­ten MTU-Antriebs- und Energiesys­teme zu Kunden auf der ganzen Welt exportiert wird. Für viele Kontakte mit Geschäftsp­artnern ist der Flughafen Friedrichs­hafen unser Tor zur Welt.“

Nachdem der Kreistag des Bodenseekr­eises dem millionens­chweren Finanzieru­ngskonzept für den Bodensee-Airport bereits zugestimmt hat, muss nun noch der Gemeindera­t der Stadt Friedrichs­hafen eine Entscheidu­ng treffen. Es geht um bis zu 23 Millionen Euro bis zum Jahr 2030, wobei ein stattliche­r Teil dieser Gesamtsumm­e bereits gedeckt ist durch frühere Zusagen. Über die genaue Zusammense­tzung der Summe hat die „Schwäbisch­e Zeitung“bereits berichtet. Wann die Entscheidu­ng fallen wird, ist noch unklar, nachdem die für Montag vorgesehen­e Sitzung verschoben werden musste (siehe gesonderte Meldung).

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