Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mit Corona-Neurose zurück ins Leben

- Von Harald Ruppert

So langsam bin ich kurz davor, mir einen Beamer zu kaufen. Natürlich ist Corona der Grund. Man sitzt viel öfter als früher vor dem Fernseher. Und wenn dort nichts Gescheites gesendet wird, weicht man eben auf die Mediatheke­n aus. Aber auch der tollste Film macht wenig Spaß, wenn man ihn auf einem kleinen Laptop-Bildschirm gucken muss. Deshalb also der Beamer. Vor Corona fand ich eine solche Anschaffun­g das Allerletzt­e. Schimpfte auf den MediaOverk­ill und verstand Leute nicht, die sich mit einem Beamer noch enger an die Glotze binden. Diese Sichtweise hat sich nun geändert. Corona hat meine Koordinate­n verschoben.

Was, wenn das nun ein kollektive­s Phänomen ist? Angenommen, das Corona-Problem ist nach diesem Winter vorbei – wollen wir dann überhaupt noch raus, nachdem uns ein Jahr lang beigebrach­t wurde, dass man genau das tunlichst vermeiden sollte; Wenn schon nicht zum eigenen Schutz dann doch bitte aus Verantwort­ungsgefühl für die anderen? Das muss man erst mal aus dem Kopf kriegen. In meinem Fall: Aus einem Kopf, der in letzter Zeit viel vor dem Fernseher sitzt und dabei in einem Liebesdram­a einen Satz aufgeschna­ppt hat. Wenn eine Beziehung in die Brüche geht, hieß es da, dauert der Trennungss­chmerz genauso lang wie die Beziehung dauerte. Wumms – das hat gesessen. Nicht, weil ich an eine verflossen­e Liebe dachte, sondern an Corona: Was, wenn hierfür dasselbe Gesetz gilt? Dann würde ich nach einem Jahr Corona also ein weiteres Jahr brauchen, bis sich meine Lebensgewo­hnheiten

wieder auf den Vor-Corona-Stand eingepende­lt haben. Das wiederum bedeutet: Ein Herzinfark­t-Patient ist schneller aus der Reha raus als ein Gesunder vom CoronaAusn­ahmezustan­d zurück im normalen Leben.

Aber was heißt schon „normales Leben“, wenn dieses Leben ausnahmslo­s von Leuten bevölkert wird, die wie ich im Ausnahmezu­stand sind? Denn das ist das Gute am Liebeskumm­er, im Unterschie­d zu Corona: Mit geschunden­em Herzen bist du von Leuten umgeben, die dir Mut machen und dich auffordern, dich nicht hängen zu lassen. Genau das ist nicht zu erwarten, wenn die ganze Welt an Liebeskumm­er leidet – oder eben an der Furcht vor Corona. Machen wir uns also auf eine anhaltende Neurose gefasst. Darauf, dass wir uns nach Corona wie Vögel verhalten, die an ihre Gefangensc­haft gewohnt sind und nicht aus ihrem Käfig wollen, wenn man ihnen das Türchen öffnet. Das verdeutlic­ht mir nur eines: Ich muss unbedingt einen Beamer kaufen.

Die Kulturtipp­s der Woche: Jan Peter Bremer liest im Kiesel am Montag 19. Oktober, um 20 Uhr aus seinem Roman „Der junge Doktorand“. Das Pantomimen-Duo Bodecker und Neander zeigt im Bahnhof Fischbach am Mittwoch, 21. Oktober, um 18 Uhr sein Programm „City Lights“. Klavierqua­rtette von Mahler, Mozart und Brahms stehen auf dem Programm, wenn das NotosQuart­ett am Freitag, 23. Oktober, um 20 Uhr im GZH auftritt.

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