Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Grundidee von Olympia ist schon jetzt gescheitert
Immerhin auf ist Verlass. Mit seinem Doppelpack bewahrte der Norweger Borussia Dortmund vor einer peinlichen Niederlage beim Abstiegskandidaten 1. FC Köln und bewies einmal mehr, welch herausragender Stürmer er im Alter von 20 bereits ist. Im (unvorstellbaren) Fall, dass er noch einige Jahre bei den Westfalen bleiben sollte, ist es bei seiner aktuellen Torquote nur ein Frage der Zeit, bis er zum BVB-Rekordtorschützen aufsteigt. Das ist aber reine Theorie. Angesichts des Interesses zahlreicher Topclubs am norwegischen Kraftpaket und der seit Samstag wieder größeren Gefahr, dass die Borussia in diesem Jahr die Qualifikation für die Champions League verpasst, ist ein Wechsel im Sommer wohl nahezu so wahrscheinlich, wie der Abstieg der benachbarten Schalker am Saisonende – und das nicht erst seit Haalands Frust-Abgang nach dem 2:2 in Köln.
Und so bleibt bis auf weiteres Adi Preißler mit seinen 168 Treffern Rekordtorschütze des BVB. In zweieinhalb Wochen, am 9. April, wäre er 100 Jahre alt geworden. Zwar ist die Vereinslegende 2003 verstorben, eines seiner Zitate hält ihn aber bis heute in Erinnerung: „Grau is alle Theorie – entscheidend is auf´m Platz.“
Auch wenn Preißlers Aussage bis heute nicht an Aktualität verloren hat, hat sie dennoch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. In den vergangenen Wochen stand vielmehr der Grundsatz im Vordergrund: „Entscheidend ist auf der Tribüne.“So hat UEFA-Präsident Aleksander Ceferin in unverschämter Art und Weise von den Ausrichterstädten der EM eine Zusage gefordert, bei der EURO 2021 Zuschauer zuzulassen. In Rostock
und Berlin sind mit Segen der Politik Tests angelaufen, wie Fans in die Arenen zurückkehren könnten.
Für die Olympischen Spiele in Tokio kommen mögliche Erkenntnisse jedoch zu spät, die japanische Hauptstadt hat am Samstag die Entscheidung gefällt, dass zu den Wettbewerben im Sommer keine Zuschauer aus dem Ausland anreisen dürfen. Es gehe um den „Erfolg der Spiele“, sagte Tokios Gouverneurin Yuriko Koike zur Begründung. Aber wie definiert sie Erfolg? Die Spiele irgendwie durch die Pandemie gebracht zu haben, ohne dass jemand krank wurde? Wenn das der Anspruch ist, sind die Verantwortlichen aus Regierungs- und Sportpolitik ihrem Ziel tatsächlich ein Stück näher gekommen.
Die Frage ist aber: Kann das der einzige Anspruch sein? War es nicht die
Grundidee von Pierre de Coubertin, mit der Wiederbelebung der Olympischen Spiele ein Friedensfest zur Völkerverständigung zu schaffen? Natürlich, die Entscheidung gegen die massenweise Einreise von Olympia- und Paralympics-Fans ist nach Stand der Pandemie absolut nachvollziehbar und richtig. Und wenn man wie das Internationale Olympische Komitee vor allem die Bedürfnisse der zahlenden Fernsehsender im Blick hat, kann man es durchaus so sehen wie der erfahrene IOC-Funktionär Dick Pound, der kürzlich meinte, Zuschauer seien „schön, aber kein Muss“. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), sieht die Entscheidung, keine ausländischen Zuschauer zuzulassen, gar als „Opfer, das der Sport bringen muss“. Ein Opfer, das zum Zweck erbracht wird, das angeschlagene Vertrauen in die olympischen Pandemie-Spiele zu stärken. Ob es dazu allerdings die Kraft besitzt, ist mehr als fraglich. Die Mehrheit der Japaner ist gegen die Austragung der Sommerspiele, nach den Infektionen bei der Leichtathletik-EM in Polen und beim Fecht-Weltcup in Ungarn wachsen auch bei den vielen Sportlern die Zweifel.
Von denen will IOC-Präsident Thomas Bach am liebsten gar nichts hören. Für den „Herrn der Ringe“gilt der Leitsatz: „Die Frage ist nicht, ob die Olympischen Spiele stattfinden, sondern wie.“Selbst Geisterspiele, gegen die sich der Herr der Ringe lange ausgesprochen hat, rücken näher. Ein weiteres Opfer. Doch auch dann wäre die Sicherheit, die Bach als oberstes Gebot bei jeder Gelegenheit betont, nicht zu garantieren. „Wenn 11 000 Athletinnen und Athleten sowie deren Betreuer und die Medienvertreter zusammenkommen“, sagte Hörmann, „dann ist die olympische Familie schon mit einer beachtlichen Zahl vertreten.“Und damit auch das Virus und viele seiner Mutationen, die den Schrecken nur noch vergrößern.
Keine Frage, die japanischen Organisatoren tun ihr Bestes, um die meisten Risiken auszuschließen. Aber wie will man ein Weltsportfest retten, das die Welt nicht ins Stadion lassen kann? Diese Spiele sind schon jetzt wegen der Pandemie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Sie werden zu einem sterilen Schauspiel mit Trennwänden, Kontaktverboten und Zugangsbeschränkungen getrimmt. Und so steht schon jetzt fest, dass die Grundidee von Olympischen und Paralympischen Spielen, Menschen zusammenzubringen und Atmosphären der Vielfalt zu schaffen, gescheitert ist.