Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Zweifel an Graf Eberhard
Warum die Eberhard Karls Universität Tübingen eine Änderung ihres Namens erwägt
TÜBINGEN
- Beliebt im Volk, angesehen bei den Fürsten des Reiches: So wird „Eberhard, der mit dem Barte, Württembergs geliebter Herr“beschrieben in der Landeshymne „Preisend mit viel schönen Reden“. Württembergs letzter Graf und erster Herzog (1445-1496) war ein an Bildung höchst interessierter Mann. In Tübingen gründete er 1477 eine Universität, die bis heute seinen Namen trägt: Eberhard Karls Universität. Der zweite Namensteil geht auf Karl Eugen (1728-1793) zurück, auch er war Herzog von Württemberg.
Fünfeinhalb Jahrhunderte später ist es mit der sprichwörtlichen Beliebtheit des berühmten Bartträgers vorbei, jedenfalls bei den Tübinger Studenten. Der Studierendenrat fordert: Eberhards Name muss weg, und der von Karl Eugen gleich mit.
Einer von denen, die mit den beiden Herzögen nichts mehr am Hut haben wollen, ist Bastian Meyer, Chemiestudent und Mitglied der Juso-Hochschulgruppe. „Es ist ein beklemmendes Gefühl, dass im 21. Jahrhundert eine Universität noch nach einem Judenhasser benannt ist“, sagt er.
Tatsächlich war Eberhard zumindest für die jüdischen Württemberger seiner Zeit alles andere als ein geliebter Herr. Der Herzog betrieb die Gefangennahme oder Vertreibung der Juden in seinem Herrschaftsbereich – auch in Tübingen. „Graf Eberhard im Bart (war) ein überzeugter Antisemit, der die Gründung der Universität erst zuließ, nachdem die Bürger*innen Tübingens sich dafür erklärten, alle Jüd*innen aus der Stadt zu vertreiben“, heißt es in einem Antrag, den die Jungsozialisten in den Studierendenrat eingebracht haben – sprachlich korrekt mit Genderstern. Karl Eugen wird in demselben Antrag vorgehalten, er habe einen ausschweifenden Lebensstil auf Kosten der öffentlichen Hand geführt und Kinder seiner Untergebenen als „Soldat*innen“an ausländische Armeen verkauft.
Tübingens Alma Mater, benannt nach einem Judenhasser und einem prunksüchtigen Menschenhändler? Das darf so nicht bleiben, entschied der Studierendenrat, in dem versprengte christdemokratische und liberale Grüppchen einer breiten linken Mehrheit gegenübersitzen. Darunter Sympathisanten der „Blochifa“, deren Name nicht zufällig an die Antifa erinnert. Sie kämpfen schon länger dafür, dass ihre Hochschule in Ernst-Bloch-Universität umbenannt wird – nach dem Philosophen, auf dessen Schriften sich Teile der 68er-Bewegung beriefen.
Dann passierte, womit Meyer selbst gar nicht unbedingt gerechnet hatte. „Ich hatte schon befürchtet, dass der Beschluss des Studierendenrates einfach so unter den Tisch fallen gelassen wird“, sagt er. Das war aber nicht der Fall. Anfang Mai teilte das Rektorat mit, man habe eine kritische Prüfung des
Namens in Gang gesetzt. Nun soll eine Kommission aus sechs Historikerinnen und Historikern, drei von der Universität und drei von außerhalb, den Herzögen posthum auf den Zahl fühlen. „Aufgabe der Fachleute wird es sein, die Quellenlage zu beiden Persönlichkeiten zu prüfen und zu einer wissenschaftlich
Eberhard im Bart (14451496), Graf von Württemberg und später Herzog von Württemberg und Teck, gründete 1477 die Universität Tübingen. Fünfeinhalb Jahrhunderte später hat er womöglich als Namensgeber ausgedient. Das untere Bild zeigt einen historischen Holzstich der Universität aus dem Jahr 1877. fundierten Bewertung beider Herrscher zu kommen“, erläutert Universitätsrektor Bernd Engler. Dann entscheidet der Senat. Und damit unter anderem auch Bastian Meyer, der vom Studierendenrat in das höchste Gremium der universitären Selbstverwaltung entsandt wurde.
Nach fünfeinhalb Jahrhunderten eben mal so den Namen abschütteln: Wenn etwas der „Blochifa“und den Jusos gefällt, dann kann man in Tübingen mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass der Oberbürgermeister dagegen ist. „Jetzt soll schon der Gründer der Universität aus ihrem Namen gestrichen werden“, zürnte Ende Mai der NochGrüne Boris Palmer im Interview mit dem „Schwäbischen Tagblatt“. „Müssen wir dann als Nächstes sein Bild am Rathaus übermalen? Wer sehen will, wohin diese unversöhnliche, jakobinische Feindseligkeit führt, der muss nur in die USA schauen. Präsident Trump war ein Ergebnis davon.“Und Albrecht Schütte, der in der Landtags-CDU für Wissenschaftspolitik zuständig ist, sagt: „Personen, die vor mehreren Hundert Jahren gelebt haben, sollte man sinnvollerweise im historischen Kontext beurteilen. Dabei wird man immer etwas finden, was heutigen Wertmaßstäben nicht entspricht.“
Eberhard und Karl Eugen, zwei Herzöge als Opfer einer zeitgeistigen Cancel Culture, von geschichtsvergessenen Freunden der politischen Korrektheit in die Schmuddelecke gestellt?
Tatsächlich stellt sich die Frage, wie es mit anderen Hochschulen aussehen würde, würde man überall den gleichen Maßstab ansetzen.
Zum Beispiel an der Albert Ludwigs Universität in Freiburg. Albrecht IV. (1418-1463), der erste Namenspatron, erhielt posthum den Beinamen „der Verschwender“, womit er in die gleiche Kategorie fällt wie Karl Eugen. Und Ludwig I. (1763-1830) versuchte fortwährend, die vergleichsweise weitgehenden Rechte des badischen Landtags auszuhebeln – ein unverbesserlicher Autokrat.
Ganz zu schweigen von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der Reformator schrieb in seinen späteren Jahren Schriften wie jene „Von den Juden und ihren Lügen“: Die Juden, heißt es darin, seien blutdürstig, rachsüchtig, das geldgierigste Volk, leibhaftige Teufel, verstockt. Türken mochte Luther auch nicht, er erklärte es geradezu zur Aufgabe der Christen, auf diese „getrost dreinzuschlagen“.
Nein, an einer Martin-LutherUniversität würde er auch nicht unbedingt studieren wollen, sagt Bastian Meyer vom Tübinger Studierendenrat. Ihm persönlich sei der Name Universität Tübingen am liebsten. So wie in Greifswald. Dort entledigte sich die Uni 2018 nach längerem Hin und Her ihres Namenspatrons Ernst Moritz Arndt. Der Lyriker war ein Vorkämpfer für die Demokratie – und den Nationalismus.
Die lokale Wahlkreisabgeordnete im Bundestag, Angela Merkel (CDU), sprach sich vergebens gegen die Umbenennung aus.
Unterstützung bekommen die Tübinger Studenten von Barbara Traub, der Vorsitzenden der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg. Eberhard sei zwar eine prägende historische Gestalt des Landes gewesen, habe aber zugleich enormes Leid über die jüdischen Menschen in Württemberg gebracht, sagt sie. „Im Lichte unseres heutigen Bekenntnisses zu jüdischem Leben als Teil unserer Gesellschaft ist es notwendig und richtig, die Frage nach dem angemessenen Umgang mit dem Erbe von Graf Eberhard im Bart zu stellen.“Der Studierendenrat habe eine berechtigte Frage aufgeworfen. „Die
Herzog Karl Eugen ergänzte den Hochschulnamen 1769 um seinen eigenen – aus der Eberhardina wurde die Eberhardina Carolina.
Antwort wird künftigen Generationen viel verraten, wie es um unsere freiheitlich-demokratischen Werte 500 Jahre nach dem Ableben des Grafen bestellt ist.“
Sabine Holtz, Leiterin der Abteilung Landesgeschichte an der Uni Stuttgart und zuvor selbst lange in Tübingen tätig, widerspricht. „Eberhard war nicht judenfeindlicher als so gut wie alle Landesherrn und reichsstädtischen Magistrate seiner Zeit.“Vielerorts wurden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Juden vertrieben, oft aus wirtschaftlichen Gründen. Weil ihnen fast alle Berufe verboten waren, arbeiteten sie oft als Geldverleiher – wurden die Juden vertrieben, waren auch die Schulden weg. Auch Eberhard profitierte wohl von dieser Art Schuldenschnitt. Für Sabine Holtz ist das kein Grund, den Stab über Eberhard zu brechen. Man könne keine heutigen Wertmaßstäbe an historische Personen anlegen, sondern müsse sie in ihrer Zeit einordnen. Einen Namen einfach zu tilgen, ist für sie „mit einer gewissen Geschichtslosigkeit verbunden. Als Historikerin sehe ich mich nicht als moralische Instanz.“