Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Frommer Wunsch des Präsidenten
So dramatisch wie Joe Bidens Rede an die Nation zur Waffengewalt auch war, so sehr bleibt sie Ausdruck der Hilflosigkeit. Der Präsident erinnerte die Amerikaner an die vielen traumatischen Massenschießereien, die dem Trio an Massakern in einem Supermarkt von Buffalo, einer Grundschule in Uvalde und einem Krankenhaus in Tulsa vorangingen. Sein emotionales Crescendo mündet in der Forderung nach einem Bann kriegstauglicher Schnellfeuergewehre und Magazine mit hoher Kapazität sowie dem Ruf nach lückenlosen Personenkontrollen. Diesmal dürfe das Land nicht zur Tagesordnung übergehen. Leider sind die US-Republikaner so weit abgestumpft, ideologisiert oder in der Hand der Waffenlobby, dass genau dies passieren dürfte.
Der mächtigste Mann der Welt kann zur besten Sendezeit von seiner Präsidenten-Kanzel aus appellieren, fordern und flehen, so viel er will. Für die nachhaltige Änderung der Gesetze braucht er im US-Senat eine Mehrheit von 60 Stimmen. Und die hat er nicht. Es gibt überparteiliche Gespräche, aber die kreisen um ein Paket mit marginalen Änderungen. Nicht einmal dafür zeichnet sich bisher die Unterstützung von zehn Republikanern ab, die benötigt würden. Die Partei, die sich als Verteidiger individueller Freiheitsrechte positioniert, nimmt mit ihrer absolutistischen Haltung zum Waffenrecht die Einschränkung der Freiheit einer Mehrheit in Kauf. Dazu gehört die Aufrüstung von Orten des täglichen Lebens wie Schulen, Kirchen, Supermärkte, Krankenhäuser, Bars oder auch Clubs.
Die Konsequenzen der Untätigkeit beim Erlass schärferer Waffengesetze lassen sich an den Statistiken ablesen. Seit dem Massaker in Sandy Hook im Jahr 2012 gab es mehr als 900 Vorfälle in Schulen mit Schusswaffen. Massenschießereien mit mehr als vier Opfern stehen in den USA an der Tagesordnung. In diesem Jahr zählte das „Gun Violence Archive“bereits 233.
Bidens Rede war der Versuch, moralisch an dem Gewissen einer Nation zu rütteln, die es hingenommen hat, mit dieser Gewalt zu leben. Dass sie etwas ändert, bleibt leider nicht mehr als ein frommer Wunsch.
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