Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Boykott der EU tritt in Kraft
Russland will Angriffe auf Ukraine weiter fortsetzen
KIEW (dpa) - Auch 100 Tage nach Russlands Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar tobt der Krieg in dem Land unvermindert weiter. Der Kreml kündigte am Freitag eine Fortsetzung seiner „militärischen Spezialoperation“bis zum Erreichen aller Ziele an. Das russische Militär meldete weitere Angriffe und die Tötung von Hunderten ukrainischen Soldaten. Der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk forderte bei einem Besuch in Berlin indes Tempo bei Waffenlieferungen. Die 27 EU-Staaten beschlossen das sechste Sanktionspaket gegen Russland, das unter anderem ein weitgehendes Öl-Embargo vorsieht.
Laut Vereinten Nationen hat der Krieg massive globale Auswirkungen. Etwa 1,4 Milliarden Menschen könnten von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein, wenn Exporte von Getreide aus der Ukraine und Dünger aus Russland weiter ausblieben, sagte der UN-Krisenkoordinator für die Ukraine, Amin Awad, am Freitag bei einer Online-Pressekonferenz der UN. Es sei deshalb unbedingt notwendig, dass die Handelsrouten über das Schwarze Meer nicht länger blockiert bleiben.
„Warten und Zögern kostet Menschenleben. Ein Tag kostet um die 100 Leben der Soldaten und 500 und mehr Verwundete“, sagte Ukraines Parlamentspräsident Stefantschuk am Freitag nach einem Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Berliner Kanzleramt. Er forderte auch die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern
und Marder-Schützenpanzern aus Deutschland.
Mit dem am Freitag beschlossenen sechsten Sanktionspaket der EU wird unter anderem die größte russische Bank, die Sberbank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk
Swift ausgeschlossen und es werden mehrere russische Nachrichtensender in der EU verboten. Nach dem Beschluss dürften die Sanktionen noch am Freitag im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden. Dann sind sie in Kraft. Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öllieferungen aus Russland zielt darauf ab, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Öl mehr in die EU zu lassen. Ungarn setzte durch, dass auf Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill verzichtet wird.
Der Kreml betonte am Freitag, er werde die von ihm so bezeichnete „militärischen Spezialoperation“in der Ukraine bis zum Erreichen aller Ziele fortsetzen. Es seien bereits einige Ergebnisse erzielt worden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Als ein Ziel gilt die komplette Kontrolle über die ukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk. Nach Einschätzung britischer Geheimdienste kontrolliert Russland mittlerweile mehr als 90 Prozent der Luhansk-Region. Es sei wahrscheinlich, dass Moskau dort in den kommenden zwei Wochen vollständig die Kontrolle übernehme, hieß es in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums.