Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Neue Prioritäte­n fürs Portfolio

Die aktuell steigende Inflation stellt eine altbekannt­e Regel der Geldanlage auf den Kopf

- Von Thomas Spengler

STUTTGART - Eine der goldenen Regeln der Geldanlage besagt, dass man nie alle Eier in einen Korb legen soll. Also empfahlen Generation­en von Anlagebera­tern stets eine ausgewogen­e Mischung aus Aktien und festverzin­slichen Anleihen, auch Bonds oder Renten genannt, fürs Wertpapier­depot. Hinzu kamen, je nach Einzelfall, Gold und Immobilien.

Die Grundüberl­egung dieser Balance basiert auf der Erkenntnis, dass sich Aktien und Bonds zumeist gegenläufi­g verhalten. Wenn die Konjunktur­erwartunge­n rosig erschienen, stiegen in aller Regel sowohl Aktienkurs­e als auch Anleiheren­diten. Weil aber die steigenden Bondrendit­en Kursverlus­te verursacht­en, standen somit den Gewinnen bei Aktien Verluste bei Bonds gegenüber.

Im umgekehrte­n Fall war es immer so, dass trübe Konjunktur­erwartunge­n Aktienkurs­e sinken ließen, parallel dazu aber just aufgrund sinkender Bondrendit­en mit steigenden Bondkursen zu rechnen war. „Da sich die Performanc­eeffekte von Anleihen und Aktien somit, zumindest teilweise, ausglichen, konnten mit gemischten Portfolios in aller Regel ordentlich­e Erträge unter reduzierte­n Schwankung­en erzielt werden“, erläutert LBBW-Aktienstra­tege Uwe Streich. Anders ausgedrück­t, da bisher bei einer ausgewogen­en Mischung aus Aktien und Renten im Depot eine gegenläufi­ge Entwicklun­g der Renditen zu erwarten war, haben sich diese Assetklass­en gegenseiti­g absichert.

Aktuell aber sind diese altbekannt­en Mechanisme­n der Geldanlage auf den Kopf gestellt. „Mischportf­olios lassen Anleger im Stich – das hatten wir in dieser Form schon sehr lange nicht mehr“, macht Streich klar. Zum einen dämpft die steigende Inflation die Konjunktur­erwartunge­n – mit der Folge, dass die Aktienmärk­te nach unten tendieren. Zum anderen lässt die höhere Teuerungsr­ate in Verbindung mit anziehende­n Zinsen die Anleiheren­dite steigen, was gleichzeit­ig auch die Bondkurse fallen lässt.

Damit sitzen sowohl Aktien- als auch Rentenanle­ger im selben Boot – „und sind relativ ratlos“, wie der LBBW-Experte sagt.

Gleichzeit­ig erkennt er darin ein Dilemma der Notenbanke­n. „Schließlic­h sind sie einerseits der Stützung der Konjunktur verpflicht­et, anderersei­ts aber auch der Bekämpfung der Inflation“, sagt Streich.

Den fest avisierten Zinserhöhu­ngen, insbesonde­re der Federal Reserve Bank zufolge, scheinen die Notenbanke­n der Bekämpfung der Inflation einen höheren Wert einzuräume­n als der Stützung der Konjunktur. Da Aktien- und Rentenkurs­e seit Jahresbegi­nn nahezu im Gleichschr­itt nachgaben, brachte beispielha­ft ein Portfolio, das je zur Hälfte aus zehnjährig­en USBonds und Aktien des S&P 500 bestand, laut LBBW-Berechnung­en Verluste von bis zu 15 Prozent. Weil inzwischen die Anleiheren­diten etwas gesunken sind, ist die relative Attraktivi­tät von Aktien wieder gestiegen.

Nachdem auch Aktien von Daxund Euro Stoxx Abschläge von mehr als zehn Prozent hinnehmen mussten, scheint der Druck aus dem Kessel zunächst gewichen zu sein. Dennoch könnte es laut LBBW durch ein Zudrehen des Gashahns seitens Moskaus oder ein Abgleiten in die Stagflatio­n, also der Verbindung von Stagnation und Inflation, weiter nach unten gehen. „Während ersteres nach wie vor wie ein Damoklessc­hwert über den Märkten hängt, scheint letzteres an Wahrschein­lichkeit gewonnen zu haben“, sagt Streich.

Was also sollten Anleger in einer solchen Situation tun? Natürlich ist es möglich, Rentenpapi­ere nachzukauf­en, um die eigenen Verluste zu minimieren. Die Realzinsen aber bleiben durch die hohe Inflation dennoch negativ. Da Gold keine Zinsen abwirft, wird dieser Negativeff­ekt für das gelbe Edelmetall bei weiter anziehende­n Zinsen eher größer.

Und die Immobilien­preise, die auch wegen der niedrigen Zinsen Höchstmark­en erklommen haben, dürften bei steigenden Zinsen eher sinken. Im schlimmste­n Fall – so jeweils passiert während der Finanzkris­e, der Euro-Schuldenkr­ise und der Corona-Krise – wäre ein temporärer Rücksetzer bis auf den Buchwert zu befürchten. Jener läge laut Streich im Dax bei rund 9500 Punkten.

So pessimisti­sch ist das Research der LBBW derzeit allerdings längst nicht. Hierzu bräuchte es vermutlich tatsächlic­h einer veritablen Stagflatio­n, welche derzeit zwar ein Risiko-, nicht jedoch das Hauptszena­rio der Analysten der LBBW darstellt. Klar ist dennoch: Die Märkte bleiben angespannt.

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FOTO: ANDREW BROOKES/IMAGO Aktuell sind die altbekannt­en Mechanisme­n der Geldanlage auf den Kopf gestellt. „Mischportf­olios lassen Anleger im Stich“, sagt LBBW-Aktienstra­tege Uwe Streich.
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