Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Neue Prioritäten fürs Portfolio
Die aktuell steigende Inflation stellt eine altbekannte Regel der Geldanlage auf den Kopf
STUTTGART - Eine der goldenen Regeln der Geldanlage besagt, dass man nie alle Eier in einen Korb legen soll. Also empfahlen Generationen von Anlageberatern stets eine ausgewogene Mischung aus Aktien und festverzinslichen Anleihen, auch Bonds oder Renten genannt, fürs Wertpapierdepot. Hinzu kamen, je nach Einzelfall, Gold und Immobilien.
Die Grundüberlegung dieser Balance basiert auf der Erkenntnis, dass sich Aktien und Bonds zumeist gegenläufig verhalten. Wenn die Konjunkturerwartungen rosig erschienen, stiegen in aller Regel sowohl Aktienkurse als auch Anleiherenditen. Weil aber die steigenden Bondrenditen Kursverluste verursachten, standen somit den Gewinnen bei Aktien Verluste bei Bonds gegenüber.
Im umgekehrten Fall war es immer so, dass trübe Konjunkturerwartungen Aktienkurse sinken ließen, parallel dazu aber just aufgrund sinkender Bondrenditen mit steigenden Bondkursen zu rechnen war. „Da sich die Performanceeffekte von Anleihen und Aktien somit, zumindest teilweise, ausglichen, konnten mit gemischten Portfolios in aller Regel ordentliche Erträge unter reduzierten Schwankungen erzielt werden“, erläutert LBBW-Aktienstratege Uwe Streich. Anders ausgedrückt, da bisher bei einer ausgewogenen Mischung aus Aktien und Renten im Depot eine gegenläufige Entwicklung der Renditen zu erwarten war, haben sich diese Assetklassen gegenseitig absichert.
Aktuell aber sind diese altbekannten Mechanismen der Geldanlage auf den Kopf gestellt. „Mischportfolios lassen Anleger im Stich – das hatten wir in dieser Form schon sehr lange nicht mehr“, macht Streich klar. Zum einen dämpft die steigende Inflation die Konjunkturerwartungen – mit der Folge, dass die Aktienmärkte nach unten tendieren. Zum anderen lässt die höhere Teuerungsrate in Verbindung mit anziehenden Zinsen die Anleiherendite steigen, was gleichzeitig auch die Bondkurse fallen lässt.
Damit sitzen sowohl Aktien- als auch Rentenanleger im selben Boot – „und sind relativ ratlos“, wie der LBBW-Experte sagt.
Gleichzeitig erkennt er darin ein Dilemma der Notenbanken. „Schließlich sind sie einerseits der Stützung der Konjunktur verpflichtet, andererseits aber auch der Bekämpfung der Inflation“, sagt Streich.
Den fest avisierten Zinserhöhungen, insbesondere der Federal Reserve Bank zufolge, scheinen die Notenbanken der Bekämpfung der Inflation einen höheren Wert einzuräumen als der Stützung der Konjunktur. Da Aktien- und Rentenkurse seit Jahresbeginn nahezu im Gleichschritt nachgaben, brachte beispielhaft ein Portfolio, das je zur Hälfte aus zehnjährigen USBonds und Aktien des S&P 500 bestand, laut LBBW-Berechnungen Verluste von bis zu 15 Prozent. Weil inzwischen die Anleiherenditen etwas gesunken sind, ist die relative Attraktivität von Aktien wieder gestiegen.
Nachdem auch Aktien von Daxund Euro Stoxx Abschläge von mehr als zehn Prozent hinnehmen mussten, scheint der Druck aus dem Kessel zunächst gewichen zu sein. Dennoch könnte es laut LBBW durch ein Zudrehen des Gashahns seitens Moskaus oder ein Abgleiten in die Stagflation, also der Verbindung von Stagnation und Inflation, weiter nach unten gehen. „Während ersteres nach wie vor wie ein Damoklesschwert über den Märkten hängt, scheint letzteres an Wahrscheinlichkeit gewonnen zu haben“, sagt Streich.
Was also sollten Anleger in einer solchen Situation tun? Natürlich ist es möglich, Rentenpapiere nachzukaufen, um die eigenen Verluste zu minimieren. Die Realzinsen aber bleiben durch die hohe Inflation dennoch negativ. Da Gold keine Zinsen abwirft, wird dieser Negativeffekt für das gelbe Edelmetall bei weiter anziehenden Zinsen eher größer.
Und die Immobilienpreise, die auch wegen der niedrigen Zinsen Höchstmarken erklommen haben, dürften bei steigenden Zinsen eher sinken. Im schlimmsten Fall – so jeweils passiert während der Finanzkrise, der Euro-Schuldenkrise und der Corona-Krise – wäre ein temporärer Rücksetzer bis auf den Buchwert zu befürchten. Jener läge laut Streich im Dax bei rund 9500 Punkten.
So pessimistisch ist das Research der LBBW derzeit allerdings längst nicht. Hierzu bräuchte es vermutlich tatsächlich einer veritablen Stagflation, welche derzeit zwar ein Risiko-, nicht jedoch das Hauptszenario der Analysten der LBBW darstellt. Klar ist dennoch: Die Märkte bleiben angespannt.