Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Eingesperrt in den eigenen vier Wänden
Birgit Steidl aus Lindau sucht für sich und ihren schwerkranken Mann eine barrierefreie Wohnung
LINDAU - Die Lindauerin Birgit Steidl ist verzweifelt. Seit vier Jahren ist sie auf der Suche nach einer behindertengerechten Wohnung für sich und ihren Mann Matthias. Momentan wohnen die beiden in einer Wohnung im Hochparterre. Sie ist nicht nur zu klein, sondern auch nur über Treppenstufen erreichbar. Doch ihr Mann ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Er kann die Wohnung deswegen nicht mehr verlassen.
„Wir sind eingesperrt“, sagt Birgit Steidl. Ihr Mann leidet an Cadasil, einer seltenen Krankheit, bei der ein mutiertes Gen das Gehirn angreift und für Schlaganfälle, Hirninfarkte und Mikroblutungen sorgt. Er ist auf einen Pflegerollstuhl angewiesen, kann kaum noch sprechen. In der Wohnung liegt er nur in seinem Pflegebett, das im Wohnzimmer steht.
Zu den wenigen Ausnahmen gehört es, wenn eine Krankenschwester kommt, um ihn zu baden. Das Bad ist winzig und hat nur eine Wanne mit einem Sitz, auf den die Krankenschwester den Mann setzt, um ihn zu waschen. Doch schon allein, bis er im Bad ist, dauert es. Die Tür lässt sich nicht ganz öffnen, weil sich dahinter ein Waschbecken befindet. Mit dem Pflegerollstuhl ist an ein Durchkommen gar nicht erst zu denken, dafür verwenden sie den weniger sperrigen Toilettenstuhl. „Wir müssen viel rangieren, bis er um die Kurve kommt“, erzählt Birgit Steidl.
Sie sagt, dass sie vier Jahre lang alles versucht hat, um eine behindertengerechte oder barrierefreie Wohnung zu finden. „Ich war überall und habe es auch mit Anzeigen im Internet probiert“, erzählt sie. Doch bisher ohne Erfolg. Ein Hindernis sei, dass das Ehepaar Grundsicherung erhalte, weil seine Rente so gering sei. „Auf dem freien Markt ist das für viele Vermieter ein Ausschlusskriterium“, sagt sie. Doch auch im geförderten Bereich hatte sie bisher kein Glück. „Laut der Grundsicherung stehen uns bis zu 75 Quadratmeter für 850 Euro Kaltmiete zu“, sagt sie. „Aber die GWG beharrt auf ihrem Punktesystem, laut dem zwei Personen nur Anspruch auf 56 Quadratmeter haben.“
Laut Alexander Mayer, Geschäftsführer der Lindauer Wohnungsgesellschaft GWG, hat das einen anderen Grund. „Das hat rein mit der Förderung zu tun“, sagt er. Wenn die GWG geförderte Wohnungen bauen will, muss sie die Pläne bei der Regierung von Schwaben einreichen. Die wiederum bewilligt die Fördergelder, die dafür sorgen, dass das Wohnen darin später so günstig wird. Doch die Förderzusagen sind an bestimmte Bedingungen gebunden. Konkret heißt das, dass die Größe der Wohnung an die Zahl der Menschen gekoppelt ist, die darin wohnen sollen. Ein Beispiel: Eine Wohnung mit 75 Quadratmetern wird für mindestens drei Menschen gebaut. „Es gibt Ausnahmen“, sagt Mayer. Doch die müssten die Betroffenen gesondert beim Landratsamt beantragen, eben mit der Bewerbung für eine konkrete Wohnung. Der Aufwand sei hoch.
Mayer hat aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Anspruchshaltung von Wohnungssuchenden ein Hindernis sein kann. „Es kommt schon vor, dass Leute gehört haben, dass sie Anspruch auf eine bestimmte Quadratmeterzahl haben und auf dieser Größe beharren“, sagt er. Manchmal passe den Interessenten keine der ausgeschriebenen Wohnungen.
Auch Birgit Steidl hat schon GWG-Wohnungen abgelehnt. Sie seien zu klein gewesen, außerdem habe es keine Möglichkeit gegeben, eine Waschmaschine in der Wohnung aufzustellen. Wenn die Waschmaschine aber nur über eine Kellertreppe erreichbar ist, sei das ein Problem, sagt die 62-Jährige, denn sie habe selbst eine Behinderung und könne die Wäsche nicht rauf und runter tragen. Einmal sei ein Grund auch die Aussicht auf eine Betonwand gewesen. „Es ist die letzte Lebensphase für meinen Mann. Ich will nicht, dass das Einzige ist, was er sieht, eine Betonwand ist“, sagt sie.
Vor acht Jahren sind Steidls in ihre jetzige Wohnung eingezogen. Die Diagnose hatte Matthias Steidl zu diesem Zeitpunkt bereits, konnte aber mithilfe des Rollators noch selbstständig gehen. Über die Jahre verschlechterte sich sein Gesundheitszustand stetig, er wurde immer pflegebedürftiger bis die Krankheit ihn ans Bett fesselte. Inzwischen hat der 58-Jährige Pflegegrad fünf, den höchsten Pflegegrad. „Niemals hätten wir gedacht, dass wir nicht mehr aus der Wohnung rauskommen“, sagt seine Frau.
Das ist gar nicht so selten, wie Cathrine Herter von der Fachstelle für pflegende Angehörige berichtet, die an die Lindauer Sozialstation angegliedert ist. „Vor allem bei älteren Menschen kommt das öfter vor“, sagt sie. „Sie sind dann sozial abgehängt.“Dass der Wohnungsmarkt in Lindau und Umgebung angespannt ist, kann sie bestätigen. Vor allem für Menschen, die wenig Geld haben, aber eine größere, barrierefreie Wohnung brauchen würden. Auch die Plätze in Pflegeeinrichtungen seien begrenzt.
„Gerade für Menschen im Rollstuhl ist es schwierig, hier eine passende Wohnung zu finden“, sagt Anton Ziegler, Beauftragter für Menschen mit Behinderung im Landkreis Lindau. Häufig sperrten sich auch die Vermieter dagegen, einen Treppenlift oder einen Aufzug einzubauen. Wer eine barrierefreie oder behindertengerechte Wohnung suche, müsse deshalb noch geduldiger sein als Gesunde. Doch er hat auch die Beobachtung gemacht, dass Beharrlichkeit sich lohnt: „In der Regel findet man schon etwas Passendes.“Schließlich hätten die GWG und die GKWG (Kreis-Wohnbau-GmbH Lindau) in den vergangenen Jahren viele neue Wohnungen gebaut.
Ursprünglich hatte Matthias Steidl ein eigenes Zimmer. Doch dicht vor dem Fenster wachsen Bäume und lassen nur wenig Tageslicht hinein. Also zog er um ins Wohnzimmer. Sein Zimmer ist jetzt eine Art Abstellraum geworden. Vor seinen Bücherregalen stehen Hilfsmittel, die seine Frau für seine tägliche Pflege braucht. Der mobile Patientenlifter, mit dem Birgit Steidl ihn vom Bett in den Rollstuhl setzen kann, ist sperrig und steht mitten im Raum. Auf der Kommode stapeln sich Einlagen und Windeln. Die Enge ist ein Grund, warum die 62-Jährige hofft, doch noch eine größere Wohnung zu finden.
Wegziehen ist für Birgit und Matthias Steidl keine Option. Sie wollen zumindest in der Umgebung von Lindau bleiben. „Die Erkrankung meines Mannes ist so selten, dass sich niemand damit auskennt“, sagt Birgit Steidl. In Lindau sei alles eingespielt. „Nochmal von vorne anfangen, dafür habe ich keine Kraft mehr.“Deswegen hofft sie, doch noch eine Wohnung zu finden, die nicht nur barrierefrei, sondern auch groß genug für das Paar ist. „Wir warten wirklich auf ein Wunder“, sagt sie.