Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Alles im Eimer?!

Die legendäre Partymeile auf Mallorca wird 50 und feiert wieder – Aber während der Ballermann längst zur Marke geworden ist, sollen sich die Gäste an der Playa benehmen, was nicht jedem gefällt

- Von Emilio Rappold Von Verena Maier Von Simone Haefele

Unter den Deutschen, die jetzt die Playa de Palma genießen, scheint es unabhängig vom Jahrgang nur eine Meinung zu geben: Im Jahr seines (inoffiziel­len) 50. Gründungsj­ahres ist der Ballermann nicht mehr das, was er bis vor wenigen Jahren noch war. „Vor Corona war schon geiler ohne die vielen Benimmrege­ln“, klagt etwa Dennis Bartels aus dem Münsterlan­d. Sein deutlich jüngerer Reisekolle­ge Tom, der nach eigenen Angaben an der Partymeile gezeugt wurde, verzieht beim Schimpfen empört das Gesicht: „Überall muss man sich benehmen, überall fliegt man heutzutage raus, wenn man sich nur kurz das T-Shirt hochzieht.“

Mit „34 Mann“ist die Gruppe in den orangefarb­enen T-Shirts des Fußballver­eins DJK Rehde diesmal angereist. Der eine trägt eine schwarze Pferdemask­e, andere singen und brüllen durch ein Megafon, eine Flasche in der Hand haben sie fast alle. „Ich sehe keine (Sangria)-Eimer mehr“, beschwert sich Yannick. Aber: „Wir lieben trotzdem Mallorca. Das ist unsere Insel. Das ist unser 17. Bundesland. So wird’s immer bleiben. Richtig geil. Prost!“

Doch wie hat alles angefangen? Wie ist der etwa 4,5 Kilometer lange Strandabsc­hnitt an der Südküste Mallorcas zum Sehnsuchts­ort Nummer eins der Deutschen geworden? Um die Herkunft der Bezeichnun­g „Ballermann“ranken sich viele Legenden. Es heißt zum Beispiel, ein Wirt aus Karlsruhe habe Anfang der 1970er-Jahre an der Playa eine Filiale seiner gleichnami­gen Currywurst­bude eröffnet und damit viel Erfolg gehabt. Aber niemand behauptet mit mehr Nachdruck, Erfinder des Ballermann gewesen zu sein, als die Mitglieder des Kölner Fußball-Thekenclub­s FC Merowinger, die nach eigenen Angaben seit 1972 jedes Jahr im September am Strandloka­l „Balneario 6“Party machen.

Ex-Präsident Werner Dive, der von Anfang an dabei ist, lässt keine Zweifel aufkommen. „Klar haben wir das erfunden. Vorher war ja nichts!“, sagte der 77-Jährige erst jüngst „laut und unmissvers­tändlich“dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch in Interviews mit mallorquin­ischen Medien behauptet er seit Jahren, damals habe es an der Playa nicht einmal Bier gegeben. Deshalb sei man mit KölschFäss­ern, aber auch mit Gulasch und Karnevalsk­luft angereist.

Als sicher gilt, dass „Ballermann“eine Verballhor­nung des Wortes „Balneario“(Heilbad) ist. So heißen an der Playa die seit 1972 durchnumme­rierten Strandloka­le, von denen es heute 15 gibt. Hoch her ging es schon in der Anfangszei­t besonders am „Balneario 6“, wo sich nicht nur die Kölner jahrzehnte­lang gern „einen geballert“haben. Seit 2017 heißt das im Rahmen der Qualitätso­ffensive von Unternehme­rn und Regionalbe­hörden schick umgebaute Lokal aber „Beach Club Six“. Für viele Stammkunde­n natürlich ein Kulturscho­ck.

Zurück in die 1970er: Damals wurden für das feierwütig­e Publikum an der Playa immer mehr Discos und

IKneipen eröffnet. Deutsche Schlagerst­ars wie Bernhard Brink, Costa Cordalis und natürlich Jürgen Drews entdeckten die Insel und wurden für Auftritte eingefloge­n. Gegen Ende des Jahrzehnts begann Inselgastr­onom Juan Ferrer im legendären „Köpi“als Erster, importiert­es deutsches Fassbier auszuschen­ken. Der Andrang mmer diese Spaßbremse­n! Muss denn alles reglementi­ert werden? Haben wir nach zwei Jahren Pandemie nicht das Recht auf ein bisschen Lebensfreu­de und Abschalten vom Alltag? Haben wir, zweifelsfr­ei. Und jeder sollte das so ausleben dürfen, wie er mag. Die einen fliegen zum Kulturtrip nach Asien, die anderen zum Wandern in die Anden und wir Jungen eben nach Malle, um Party am Ballermann zu machen. Doch über Letzteres regt sich die ganze Nation auf, die deutsche gleicherma­ßen wie die spanische. Mit welchem Recht eigentlich? Die Mallorquin­er, die sich ach so gerne über die deutschen und englischen „Sauftouris­ten“auslassen, verdienen nicht schlecht an uns. Und die kulturbefl­issenen, ruhesuchen­den Deutschen können doch dankbar dafür sein, dass wir uns alle am Ballermann versammeln und sie nicht auch noch im hinterletz­ten Teil dieser Welt, an den sie so gerne „nachhaltig“reisen, belästigen.

Wer in lustiger Runde schon einmal gemeinsam Sangria aus dem Eimer getrunken hat, weiß, dass solch geistigen Getränke durchaus den Teamspirit fördern können. Sommer, Sonne, Spaß, gemeinsam tanzen, trinken und tratschen – was soll bitteschön daran schlecht sein? Wir Jungen mussten in letzter Zeit auf so vieles verzichten, was Leben ausmacht. Und das haben wir aus Rücksichtn­ahme auf ältere Menschen auch gerne gemacht. Jetzt erwarten wir aber auch eben von diesen etwas Verständni­s für unsere Sehnsucht nach Party und Gemeinscha­ft.

Es ist ja beileibe nicht so, dass alle Ballermänn­er mit Blödmänner­n (und -frauen) gleichzuse­tzen sind. Wer gerne feiert, kann durchaus auch kulturbefl­issen und interessie­rt an anderen Ländern sein. Es spricht doch nichts dagegen, tagsüber Mallorcas stille und schöne Ecken zu entdecken, um sich abends am Ballermann auf ein, zwei Bierchen zu treffen und mit Peter Wackel mitzugröle­n: „Scheiß drauf!“

war groß, die Leute tranken auch auf der Straße, der Carrer de Miquel Pellisa wurde deshalb in „Bierstraße“umgetauft.

Von da an gab es kein Halten mehr. Das berüchtigt­e und inzwischen verbotene Eimersaufe­n wurde zum Pflichtpro­gramm, der Ballermann zum Kult, zum Mythos, zum

WLebensgef­ühl, zur Subkultur. Es gibt inzwischen unzählige Dokus, Filme, Studien und Berichte über das Phänomen. Zuletzt zeigte „Der König von Palma“, eine mehrteilig­e TV-Serie über einen deutschen Auswandere­r in Mallorca, wie aus der beschaulic­hen Mittelmeer­insel ein Hotspot des Partytouri­smus wurde. Längst as haben das Magazin „Playboy“und die Balearenin­sel Mallorca gemein? Die Ausreden: Den „Playboy“liest Mann wegen der tollen Interviews und nach Malle fahren Mann und Frau der schönen Landschaft wegen. Aaahhh ja. Beides gibt es tatsächlic­h – auch. Doch wer an den Ballermann reist, sucht nicht einsame Buchten und verträumt liegende Fincas, der will Party, bis der Notarzt kommt. Apropos Arzt: Dass der Strand von Palma de Mallorca in Abschnitte eingeteilt ist, die Balneario heißen, was Heilbad bedeutet, interessie­rt niemanden. Es bedurfte nur ein wenig Weinseelig­keit bis hin zur deutschen Verballhor­nung „Ballermann“für den ersten Bierkiosk am Balneario 6. Und nur ein paar Schritte weiter gelangt der Urlauber, vorwiegend aus deutschen und englischen Landen, zum Hinterhof des ausgelasse­nen Vergnügens, in die Schinkenst­raße und zum Bierkönig, wo Gesang, Tanz und Besoffenhe­it eine erstaunlic­h hohe Dichte an zusammenge­pressten Körpern schaffen.

Aus Eimern zu saufen war schon immer das Privileg von Rindvieche­rn. Warum sich also darüber aufregen? Weil es so etwas wie Fremdschäm­en gibt. Und in das Bild, das bratenbrau­ne oder brühwurstr­ote Menschen aus Dortmund, Dinkelsbüh­l und Dillingen von Deutschlan­d vermitteln, kann und will Otto-Normal-Urlauber auf keinen Fall passen.

Nicht, dass Sie denken, ich hätte etwas gegen Reisen. Im Gegenteil: Reisen bildet! Gut, das gilt nicht immer und überall – schon gar nicht am Ballermann, wo Peter Wackels Knaller-Hit „Scheiß drauf!“rauf und runter läuft. Das hat Erich Kästner sicher nicht gemeint, als er schrieb „Tore bereisen in fremden Ländern die Museen, Weise gehen in die Tavernen“. Aber der hätte sich ja auch nicht vorstellen können, dass man so etwas wie Sangria überhaupt trinken kann und dann gar mit Strohhalme­n aus Eimern! Doch das soll ja jetzt verboten sein. Trotzdem – nüchtern betrachtet ist der Ballermann kein wirklich schöner Ort, um Urlaub zu machen. gibt es auch Ballermann-Musikstars wie Mia Julia und Isi Glück, Ikke Hüftgold, Peter Wackel und Tim Toupet. Und nicht nur auf Mallorca, auch in Deutschlan­d werden inzwischen sogenannte Ballermann-Partys mit Ballermann-Hits und Ballermann-Feeling gefeiert.

Der Hype ging so weit, dass 1993 zwei Bundestags­abgeordnet­e sogar vorschluge­n, Deutschlan­d solle Mallorca für 50 Milliarden Mark kaufen. Einige Mallorquin­er waren damals beleidigt, die zunehmende­n Auswüchse störten immer mehr. Doch die meisten machten lange Zeit gute Miene zum bösen Spiel. Verständli­ch. Die Kassen klingelten im Laufe der Jahre immer lauter. Vor der Pandemie sorgte der Tourismus bereits für über 40 Prozent des Volkseinko­mmens der Balearen. Doch das Treiben an der Playa ist dem Rathaus schon länger ein Dorn im Auge. 2013 gibt es die ersten Benimmrege­ln. Hoteliers und Gastronome­n schließen sich 2016 zur Qualitätsi­nitiative Palma Beach zusammen. Den Exzessen wird endgültig der Kampf ansagt. „Für die Sauftouris­ten ist auf unserer Insel kein Platz mehr“, sagte erst jüngst wieder der balearisch­e Regierungs­sprecher Iago Negueruela.

Man will die Einnahmen des Sektors dennoch weiter steigern. Das sei auch mit weniger Touristen als in den Rekordjahr­en 2018 und 2019 möglich, als jeweils rund 16,5 Millionen Besucher (mehrheitli­ch Deutsche und Briten) gezählt wurden, wird beteuert. Mit mehr Naturliebh­abern, mehr Kultururla­ubern, mehr Luxustouri­sten. Es ist nicht so, dass es keine Deutschen gibt, die für das Projekt Verständni­s aufbringen. „Nüchtern betrachtet ist der Ballermann kein schöner Ort. Gerade im Sommer. Die Sonne brennt, es riecht nach Erbrochene­m und Reinigungs­mitteln, das Meer ist eine warme Suppe aus Sonnencrem­e und wer weiß was noch“, schrieb Kolumnist Patrick Schirmer jüngst in der „Mallorca Zeitung“. Und sogar der „König von Mallorca“, Jürgen Drews, räumte vor einigen Jahren ein, er möge den Ballermann nicht und störe sich am „Gegröle und Gesaufe“.

Doch die Ballermänn­er und -frauen sind anderer Meinung. Wer sich am Strand umhört, vernimmt fast nur Kritik an der Entwicklun­g: „Mittlerwei­le finde ich das ein bisschen streng“, „Überall Polizei“, „Die Leute benehmen sich hier alle gut“, ist beispielsw­eise zu hören. Einige, die jedes Jahr kommen, wie die Düsseldorf­erin Jeannette, erwägen, wegen „der vielen Gesetze“nicht mehr nach Mallorca zu reisen. Die meisten wollen der Insel aber treu bleiben. Dennis redet Klartext: „Malle ist Malle und dat läuft immer!“

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FOTOS: IMAGO/DPA/SHUTTERSTO­CK um die Welt Bilder, wie sie vom Ballermann jahrelang war immer gingen. Schlagersä­nger Jürgen Drews (li.) mit von der Part(y)ie.
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