Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Alles im Eimer?!
Die legendäre Partymeile auf Mallorca wird 50 und feiert wieder – Aber während der Ballermann längst zur Marke geworden ist, sollen sich die Gäste an der Playa benehmen, was nicht jedem gefällt
Unter den Deutschen, die jetzt die Playa de Palma genießen, scheint es unabhängig vom Jahrgang nur eine Meinung zu geben: Im Jahr seines (inoffiziellen) 50. Gründungsjahres ist der Ballermann nicht mehr das, was er bis vor wenigen Jahren noch war. „Vor Corona war schon geiler ohne die vielen Benimmregeln“, klagt etwa Dennis Bartels aus dem Münsterland. Sein deutlich jüngerer Reisekollege Tom, der nach eigenen Angaben an der Partymeile gezeugt wurde, verzieht beim Schimpfen empört das Gesicht: „Überall muss man sich benehmen, überall fliegt man heutzutage raus, wenn man sich nur kurz das T-Shirt hochzieht.“
Mit „34 Mann“ist die Gruppe in den orangefarbenen T-Shirts des Fußballvereins DJK Rehde diesmal angereist. Der eine trägt eine schwarze Pferdemaske, andere singen und brüllen durch ein Megafon, eine Flasche in der Hand haben sie fast alle. „Ich sehe keine (Sangria)-Eimer mehr“, beschwert sich Yannick. Aber: „Wir lieben trotzdem Mallorca. Das ist unsere Insel. Das ist unser 17. Bundesland. So wird’s immer bleiben. Richtig geil. Prost!“
Doch wie hat alles angefangen? Wie ist der etwa 4,5 Kilometer lange Strandabschnitt an der Südküste Mallorcas zum Sehnsuchtsort Nummer eins der Deutschen geworden? Um die Herkunft der Bezeichnung „Ballermann“ranken sich viele Legenden. Es heißt zum Beispiel, ein Wirt aus Karlsruhe habe Anfang der 1970er-Jahre an der Playa eine Filiale seiner gleichnamigen Currywurstbude eröffnet und damit viel Erfolg gehabt. Aber niemand behauptet mit mehr Nachdruck, Erfinder des Ballermann gewesen zu sein, als die Mitglieder des Kölner Fußball-Thekenclubs FC Merowinger, die nach eigenen Angaben seit 1972 jedes Jahr im September am Strandlokal „Balneario 6“Party machen.
Ex-Präsident Werner Dive, der von Anfang an dabei ist, lässt keine Zweifel aufkommen. „Klar haben wir das erfunden. Vorher war ja nichts!“, sagte der 77-Jährige erst jüngst „laut und unmissverständlich“dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch in Interviews mit mallorquinischen Medien behauptet er seit Jahren, damals habe es an der Playa nicht einmal Bier gegeben. Deshalb sei man mit KölschFässern, aber auch mit Gulasch und Karnevalskluft angereist.
Als sicher gilt, dass „Ballermann“eine Verballhornung des Wortes „Balneario“(Heilbad) ist. So heißen an der Playa die seit 1972 durchnummerierten Strandlokale, von denen es heute 15 gibt. Hoch her ging es schon in der Anfangszeit besonders am „Balneario 6“, wo sich nicht nur die Kölner jahrzehntelang gern „einen geballert“haben. Seit 2017 heißt das im Rahmen der Qualitätsoffensive von Unternehmern und Regionalbehörden schick umgebaute Lokal aber „Beach Club Six“. Für viele Stammkunden natürlich ein Kulturschock.
Zurück in die 1970er: Damals wurden für das feierwütige Publikum an der Playa immer mehr Discos und
IKneipen eröffnet. Deutsche Schlagerstars wie Bernhard Brink, Costa Cordalis und natürlich Jürgen Drews entdeckten die Insel und wurden für Auftritte eingeflogen. Gegen Ende des Jahrzehnts begann Inselgastronom Juan Ferrer im legendären „Köpi“als Erster, importiertes deutsches Fassbier auszuschenken. Der Andrang mmer diese Spaßbremsen! Muss denn alles reglementiert werden? Haben wir nach zwei Jahren Pandemie nicht das Recht auf ein bisschen Lebensfreude und Abschalten vom Alltag? Haben wir, zweifelsfrei. Und jeder sollte das so ausleben dürfen, wie er mag. Die einen fliegen zum Kulturtrip nach Asien, die anderen zum Wandern in die Anden und wir Jungen eben nach Malle, um Party am Ballermann zu machen. Doch über Letzteres regt sich die ganze Nation auf, die deutsche gleichermaßen wie die spanische. Mit welchem Recht eigentlich? Die Mallorquiner, die sich ach so gerne über die deutschen und englischen „Sauftouristen“auslassen, verdienen nicht schlecht an uns. Und die kulturbeflissenen, ruhesuchenden Deutschen können doch dankbar dafür sein, dass wir uns alle am Ballermann versammeln und sie nicht auch noch im hinterletzten Teil dieser Welt, an den sie so gerne „nachhaltig“reisen, belästigen.
Wer in lustiger Runde schon einmal gemeinsam Sangria aus dem Eimer getrunken hat, weiß, dass solch geistigen Getränke durchaus den Teamspirit fördern können. Sommer, Sonne, Spaß, gemeinsam tanzen, trinken und tratschen – was soll bitteschön daran schlecht sein? Wir Jungen mussten in letzter Zeit auf so vieles verzichten, was Leben ausmacht. Und das haben wir aus Rücksichtnahme auf ältere Menschen auch gerne gemacht. Jetzt erwarten wir aber auch eben von diesen etwas Verständnis für unsere Sehnsucht nach Party und Gemeinschaft.
Es ist ja beileibe nicht so, dass alle Ballermänner mit Blödmännern (und -frauen) gleichzusetzen sind. Wer gerne feiert, kann durchaus auch kulturbeflissen und interessiert an anderen Ländern sein. Es spricht doch nichts dagegen, tagsüber Mallorcas stille und schöne Ecken zu entdecken, um sich abends am Ballermann auf ein, zwei Bierchen zu treffen und mit Peter Wackel mitzugrölen: „Scheiß drauf!“
war groß, die Leute tranken auch auf der Straße, der Carrer de Miquel Pellisa wurde deshalb in „Bierstraße“umgetauft.
Von da an gab es kein Halten mehr. Das berüchtigte und inzwischen verbotene Eimersaufen wurde zum Pflichtprogramm, der Ballermann zum Kult, zum Mythos, zum
WLebensgefühl, zur Subkultur. Es gibt inzwischen unzählige Dokus, Filme, Studien und Berichte über das Phänomen. Zuletzt zeigte „Der König von Palma“, eine mehrteilige TV-Serie über einen deutschen Auswanderer in Mallorca, wie aus der beschaulichen Mittelmeerinsel ein Hotspot des Partytourismus wurde. Längst as haben das Magazin „Playboy“und die Baleareninsel Mallorca gemein? Die Ausreden: Den „Playboy“liest Mann wegen der tollen Interviews und nach Malle fahren Mann und Frau der schönen Landschaft wegen. Aaahhh ja. Beides gibt es tatsächlich – auch. Doch wer an den Ballermann reist, sucht nicht einsame Buchten und verträumt liegende Fincas, der will Party, bis der Notarzt kommt. Apropos Arzt: Dass der Strand von Palma de Mallorca in Abschnitte eingeteilt ist, die Balneario heißen, was Heilbad bedeutet, interessiert niemanden. Es bedurfte nur ein wenig Weinseeligkeit bis hin zur deutschen Verballhornung „Ballermann“für den ersten Bierkiosk am Balneario 6. Und nur ein paar Schritte weiter gelangt der Urlauber, vorwiegend aus deutschen und englischen Landen, zum Hinterhof des ausgelassenen Vergnügens, in die Schinkenstraße und zum Bierkönig, wo Gesang, Tanz und Besoffenheit eine erstaunlich hohe Dichte an zusammengepressten Körpern schaffen.
Aus Eimern zu saufen war schon immer das Privileg von Rindviechern. Warum sich also darüber aufregen? Weil es so etwas wie Fremdschämen gibt. Und in das Bild, das bratenbraune oder brühwurstrote Menschen aus Dortmund, Dinkelsbühl und Dillingen von Deutschland vermitteln, kann und will Otto-Normal-Urlauber auf keinen Fall passen.
Nicht, dass Sie denken, ich hätte etwas gegen Reisen. Im Gegenteil: Reisen bildet! Gut, das gilt nicht immer und überall – schon gar nicht am Ballermann, wo Peter Wackels Knaller-Hit „Scheiß drauf!“rauf und runter läuft. Das hat Erich Kästner sicher nicht gemeint, als er schrieb „Tore bereisen in fremden Ländern die Museen, Weise gehen in die Tavernen“. Aber der hätte sich ja auch nicht vorstellen können, dass man so etwas wie Sangria überhaupt trinken kann und dann gar mit Strohhalmen aus Eimern! Doch das soll ja jetzt verboten sein. Trotzdem – nüchtern betrachtet ist der Ballermann kein wirklich schöner Ort, um Urlaub zu machen. gibt es auch Ballermann-Musikstars wie Mia Julia und Isi Glück, Ikke Hüftgold, Peter Wackel und Tim Toupet. Und nicht nur auf Mallorca, auch in Deutschland werden inzwischen sogenannte Ballermann-Partys mit Ballermann-Hits und Ballermann-Feeling gefeiert.
Der Hype ging so weit, dass 1993 zwei Bundestagsabgeordnete sogar vorschlugen, Deutschland solle Mallorca für 50 Milliarden Mark kaufen. Einige Mallorquiner waren damals beleidigt, die zunehmenden Auswüchse störten immer mehr. Doch die meisten machten lange Zeit gute Miene zum bösen Spiel. Verständlich. Die Kassen klingelten im Laufe der Jahre immer lauter. Vor der Pandemie sorgte der Tourismus bereits für über 40 Prozent des Volkseinkommens der Balearen. Doch das Treiben an der Playa ist dem Rathaus schon länger ein Dorn im Auge. 2013 gibt es die ersten Benimmregeln. Hoteliers und Gastronomen schließen sich 2016 zur Qualitätsinitiative Palma Beach zusammen. Den Exzessen wird endgültig der Kampf ansagt. „Für die Sauftouristen ist auf unserer Insel kein Platz mehr“, sagte erst jüngst wieder der balearische Regierungssprecher Iago Negueruela.
Man will die Einnahmen des Sektors dennoch weiter steigern. Das sei auch mit weniger Touristen als in den Rekordjahren 2018 und 2019 möglich, als jeweils rund 16,5 Millionen Besucher (mehrheitlich Deutsche und Briten) gezählt wurden, wird beteuert. Mit mehr Naturliebhabern, mehr Kultururlaubern, mehr Luxustouristen. Es ist nicht so, dass es keine Deutschen gibt, die für das Projekt Verständnis aufbringen. „Nüchtern betrachtet ist der Ballermann kein schöner Ort. Gerade im Sommer. Die Sonne brennt, es riecht nach Erbrochenem und Reinigungsmitteln, das Meer ist eine warme Suppe aus Sonnencreme und wer weiß was noch“, schrieb Kolumnist Patrick Schirmer jüngst in der „Mallorca Zeitung“. Und sogar der „König von Mallorca“, Jürgen Drews, räumte vor einigen Jahren ein, er möge den Ballermann nicht und störe sich am „Gegröle und Gesaufe“.
Doch die Ballermänner und -frauen sind anderer Meinung. Wer sich am Strand umhört, vernimmt fast nur Kritik an der Entwicklung: „Mittlerweile finde ich das ein bisschen streng“, „Überall Polizei“, „Die Leute benehmen sich hier alle gut“, ist beispielsweise zu hören. Einige, die jedes Jahr kommen, wie die Düsseldorferin Jeannette, erwägen, wegen „der vielen Gesetze“nicht mehr nach Mallorca zu reisen. Die meisten wollen der Insel aber treu bleiben. Dennis redet Klartext: „Malle ist Malle und dat läuft immer!“