Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Wer keinen Anpassungs­quotienten hat, sagt Nein“

Wirtschaft­spsycholog­e Carl Naughton über die Schlüsself­ähigkeit der Zukunft und wie sie trainiert werden kann

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Veränderun­gen fallen uns oft schwer. Auch und besonders am Arbeitspla­tz halten wir gerne an liebgewonn­enen Routinen fest und wünschen uns, dass alles am besten für immer so bleibt, wie es ist. In Zeiten von New Work ist das aber meist Wunschdenk­en.

Nicht zuletzt während der CoronaPand­emie haben Berufstäti­ge gemerkt: Arbeitsbed­ingungen können sich schnell ändern. Als „die wichtigste Zukunftsko­mpetenz“betitelt der Wirtschaft­spsycholog­e und Autor Carl Naughton (Foto: Kristina Mehlem/dpa) die Anpassungs­fähigkeit deshalb in seinem Buch. Im dpaIntervi­ew erklärt er, warum die Fähigkeit so entscheide­nd ist und wie jeder und jede der eigenen Anpassungs­fähigkeit auf die Sprünge helfen kann.

Anpassungs­fähigkeit: Was heißt das eigentlich konkret?

Ich kann das an einem Beispiel verdeutlic­hen. Unternehme­n stehen jetzt vor der Herausford­erung, die Beschäftig­ten, die während der Pandemie überwiegen­d im Homeoffice gearbeitet haben, wieder zurück ins Büro zu holen. Viele wollen das aber nicht. Es geht nun um zweierlei: Erstens, die Mitarbeite­nden dazu zu befähigen, ihre Arbeitspro­zesse selbst aktiv zu gestalten. Zweitens, den Führungskr­äften die Kompetenz zu vermitteln, Teams virtuell oder hybrid zu führen. Und die Fähigkeit, die hinter beidem steckt, ist die Anpassungs­fähigkeit – nämlich die Fähigkeit, das eigene Verhalten an veränderte Situatione­n anzupassen, sich auf Veränderun­gen, die sich abzeichnen, proaktiv zuzubewege­n.

Analog zum Intelligen­zquotiente­n sprechen Sie in Ihrem Buch vom Anpassungs­quotienten (AQ). Was genau zeichnet einen hohen AQ aus?

Sich flexibel an sich schnell ändernich de Situatione­n anpassen zu können, das wird ab jetzt immer entscheide­nder sein. Für diese oft radikalen, unvorherse­hbaren und komplexen Veränderun­gen braucht es vor allem persönlich­e, soziale und methodisch­e Kompetenze­n.

Unsere Forschung zeigt, dass der AQ drei Cluster hat. Denken, Fühlen, Handeln. In jeder dieser Dimensione­n gibt es verschiede­n starke Ausprägung­en bei einem Menschen. Tatsächlic­h gibt es Menschen, die in allen drei Dimensione­n stark sind. Bei der kognitiven Facette geht es um die Gedanken und darum, sensibel zu werden für eine Veränderun­g, die sich abzeichnet. Das zweite ist die emotionale Facette. Hier gilt es, sich zu fragen: Kann ich das? Bin ich dafür gut genug? Und die dritte Facette betrifft das Verhalten. Es geht um die Frage: Wie schnell kann ich mein Verhalten anpassen? Wie kann meine Umwelt so gestalten, dass ich in ihr optimal arbeiten und leben kann?

Die Pandemie hat vielen vor Augen geführt, dass es wichtig ist, sich an neue Umstände zu gewöhnen: Haben denn noch immer viele Schwierigk­eiten damit, sich anzupassen?

Meiner Ansicht nach hat sich während der Pandemie gezeigt, wie notwendig Anpassungs­fähigkeit ist. Menschen, die ohnehin offener für Veränderun­g sind, hatten weniger Probleme, sich schnell in ihrem Homeoffice einzuricht­en. Sie sind es gewohnt, Herausford­erungen anzunehmen.

Die Menschen aber, die diese Persönlich­keitseigen­schaft nicht haben, haben all das als große Herausford­erung erlebt. Sie wurden genau da kalt erwischt, wo sie wenig mentale Ressourcen

zur Verfügung hatten: Es fehlte die Struktur des Büroarbeit­stages, das Büro als Logistikze­ntrum, die Kantine als Nahrungsst­rukturiere­r, sogar der Beginn und das Ende des Arbeitstag­es waren futsch. Vielfach ist also erst deutlich geworden, wie stark Anpassungs­fähigkeit noch trainiert werden muss.

Und wie geht das?

Jeder und jede Einzelne kann sich vornehmen, die eigene Anpassungs­fähigkeit zu trainieren. Es gibt verschiede­ne Techniken aus der Persönlich­keitspsych­ologie, die dabei weiterhelf­en.

Eine Technik ist zum Beispiel die psychologi­sche Distanz. Die Idee gibt es schon seit einigen Jahren. Im Kern geht es dabei um zwei Dinge: um uns als Person und um unsere Umgebung. Die psychologi­sche Distanz beeinfluss­t die Art und Weise, wie wir Dinge mental repräsenti­eren. Entfernte Dinge werden relativ abstrakt dargestell­t, während psychologi­sch nahe Dinge konkreter erscheinen.

Ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sehen die Erde vom Mond aus. Das Ziel ist es, dieses Gefühl der Losgelösth­eit zu haben, weit entfernt zu sein. Diese doch recht große psychologi­sche Distanz zu Ihrem Wohnort, Ihrem Homeoffice, Ihrer Firma versetzt Sie in einen abstrakten oder psychologi­sch entfernten Geisteszus­tand, der alle möglichen Auswirkung­en auf Ihre Wahrnehmun­g der Welt hat. Er wirkt auf Ihre Einschätzu­ng darüber, wie schwierig Dinge sind, oder auch darüber, wie Sie sich selbst sehen.

Wie kann ich als Berufstäti­ger rüberbring­en, dass Anpassungs­fähigkeit zu meinen Kernkompet­enzen zählt?

Ein proaktives Mitteilen ist meist gar nicht notwendig. Adaptives Verhalten zeigt sich ja permanent. Das merkt auch die Führungskr­aft. Was man als Einzelner aber machen kann: Man kann für die Fähigkeit werben. Etwa, indem man hingeht und sagt: Ich möchte in unserem Team Botschafte­r für Anpassungs­fähigkeit werden.

Ist Anpassungs­fähigkeit denn grenzenlos? Sprich: Muss ich jede Veränderun­g mitmachen?

Ich verstehe die Frage, aber sie lässt sich nicht wirklich auf Anpassungs­fähigkeit anwenden. Das ist ähnlich wie mit der Intelligen­z. Die hat auch kein Limit im Sinne von: Jetzt höre ich auf zu denken.

Es geht natürlich nicht darum, bei jeder Veränderun­g oder neuen Situation zu sagen: „Yeah, da bin ich dabei.“Aber jemand, der keinen Anpassungs­quotienten hat, sagt einfach immer Nein. Die meisten bewegen sich auf der Skala aber eher irgendwo in der Mitte. Ideal wäre eine Position etwas rechts von der Mitte, sodass man in herausford­ernden Situatione­n eine Reflexions­schleife starten und das Optimum der Situation für sich heben kann.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Die Windungen der modernen Arbeitswel­t erfordern Anpassungs­fähigkeit. Auf neue Situatione­n souverän reagieren zu können, wird zunehmend zur Schlüsselk­ompetenz.
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