Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Özdemir plant weiteres Tierhaltun­gskennzeic­hen

Der Landwirtsc­haftsminis­ter will die Eckpunkte vorstellen – FDP fürchtet steigende Preise

-

Von Dominik Guggemos und dpa

BERLIN - Am Dienstag stellt Cem Özdemir (Grüne) die Eckpunkte für das Tierhaltun­gskennzeic­hen vor. Künftig sollen Verbrauche­r im Supermarkt sehen können, unter welchen Bedingunge­n das Tier gehalten wurde. Zuerst wird das Label auf Schweinefl­eisch zu finden sein, geplant ist die Einführung schon für 2023. Für das ambitionie­rte Projekt verhandelt­e Özdemirs Landwirtsc­haftsminis­terium (BMEL) bis zuletzt auch mit dem Finanzress­ort von FDP-Chef Christian Lindner.

Das Papier, mit dem Özdemir in diese Verhandlun­gen gegangen ist, zeigt, worauf sich die Verbrauche­r einstellen können – und welche Konflikte innerhalb der Regierung noch gelöst werden müssen. Das BMEL möchte zwischen fünf Haltungsfo­rmen unterschei­den. „Stall“beschreibt die gesetzlich­en Mindestanf­orderungen, „Strukturst­all“im Vergleich 20 Prozent mehr Platz. „Offenstall“ermöglicht den Schweinen dauerhafte­n Kontakt zum Außenklima, bei „Freiluftha­ltung“haben die Tiere mindestens acht Stunden am Tag Auslauf im Freien.

„Biohaltung“soll nach dem Willen von Özdemir die fünfte Haltungsfo­rm werden, doch hier regt sich Widerstand in der FDP. „Ein Tier kann konvention­ell mit genauso viel Tierwohl oder sogar besser gehalten werden als biologisch“, sagt der agrarpolit­ische Sprecher der Liberalen, Gero Hocker.

Klar ist, dass die Landwirte nicht auf ihren Investitio­nen für größere Ställe und mehr Spielzeug für die Tiere sitzen bleiben wollen. „Ich kann den Bauern nicht sagen, dass sie die Kosten für eine artgerecht­ere Tierhaltun­g und mehr Klimaschut­z vom einen auf den anderen Tag selbst über den Markt erlösen sollen“, sagt Özdemir. Den Bedarf für staatliche Fördermitt­el sieht das BMEL für die Schweinema­st bei einer bis zwei Milliarden Euro für die Jahre 2023 bis 2027. Würden alle wesentlich­en Nutztierar­ten gefördert, rechnet Özdemir mit 1,8 bis 3,2 Milliarden Euro Kosten – pro Jahr.

Finanziert werden soll das nach den Vorstellun­gen des Ministeriu­ms entweder durch die Abschaffun­g des ermäßigten Mehrwertst­euersatzes für tierische Produkte, also dann 19 statt sieben Prozent, oder durch eine Tierwohlab­gabe. Das Problem ist:

„Eine solche Zwangsfina­nzierung trägt die FDP-Fraktion nicht mit“, sagt Hocker. Sie würde die Preise für Fleisch in Zeiten galoppiere­nder Inflation weiter deutlich steigen lassen. „Wir wollen stattdesse­n eine freiwillig­e Vereinbaru­ng von Marktteiln­ehmern, also den Landwirten und dem Lebensmitt­eleinzelha­ndel, auf deren Grundlage in einen eigenständ­igen Fonds eingezahlt wird.“

Ein solcher Fonds hätte allerdings aus Sicht des BMEL gravierend­e rechtliche und technische Umsetzungs­probleme. Viel zu tun also für Özdemir, der sich allerdings demonstrat­iv optimistis­ch gibt. Bei der Frage der Finanzieru­ng habe er die „wesentlich­en Akteure“auf seiner

Seite. Allerdings, so viel ist klar: die FDP-Fraktion (noch) nicht.

Auch der Bauernverb­and fordert Klarheit über eine gesicherte Finanzieru­ng. „Wenn man es ernst meint mit der Weiterentw­icklung einer tierwohlge­rechteren Haltung, dann muss man diesen Schritt tun“, sagte Bauernpräs­ident Joachim Rukwied. „Es braucht eine staatliche Mitfinanzi­erung und Investitio­nsförderun­g. Es braucht aber auch einen Mehrpreis an der Ladentheke. Wir müssen beides machen.“

Meldungen aus Bayern vom Wochenende könnten der Debatte neuen Schwung verleihen. Fast eine Million Schweine, etwa 220 000 Rinder und zwei Millionen Hühner sind demnach im vergangene­n Jahr in Bayern schon vor der Schlachtun­g verendet oder anderweiti­g ums Leben gekommen. Dies geht aus einer Antwort des Umweltmini­steriums auf Anfrage der Grünen im Bayerische­n Landtag hervor.

„Jedes fünfte Schwein und jedes fünfte Rind in den bayerische­n Betrieben ist somit vor der Schlachtun­g verendet. Das ist erschrecke­nd“, sagte Paul Knoblach, Sprecher für Tierwohl der Landtags-Grünen. Die Staatsregi­erung dürfe hier nicht länger wegsehen.

Tiere, die an den Tierkörper­beseitigun­gsanlagen (TBA) angeliefer­t würden, seien durch Krankheit, Schwäche oder Unfall zu Tode gekommen oder wurden aus diesen Gründen notgetötet. Sie konnten nicht mehr zur Schlachtun­g abgegeben werden oder waren eventuell transportu­nfähig. Bei vielen Tieren müsse daher davon ausgegange­n werden, dass sie gelitten hätten, bevor sie entsorgt worden seien.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Im Ringen um eine Finanzieru­ng für den geplanten Umbau der Tierhaltun­g hin zu höheren Standards wendet sich die FDP gegen Preisaufsc­hläge für die Supermarkt­kunden.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Im Ringen um eine Finanzieru­ng für den geplanten Umbau der Tierhaltun­g hin zu höheren Standards wendet sich die FDP gegen Preisaufsc­hläge für die Supermarkt­kunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany