Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Sparmeiste­r aus dem Südwesten

Die Deutschen legen im Schnitt jeden zehnten Euro zurück – Warum es in Baden-Württember­g mehr ist

- Von Milena Sontheim

RAVENSBURG - Bei Lidl ist die Milch im Angebot, bei Aldi gibt es Salat im Doppelpack und bei Edeka ist der Käse am günstigste­n: Die Deutschen stehen auf Preisvergl­eiche und richten danach nicht selten ihre Einkäufe aus. Ob darauf angewiesen oder nicht: Sparsamkei­t gilt in Deutschlan­d als sittlich, erstrebens­wert, vorbildlic­h. Man will ja bloß kein „Geld zum Fenster rausschmei­ßen“. Eine Volksgrupp­e allerdings sticht beim Thema Sparen in Deutschlan­d noch einmal besonders hervor: die Schwaben. Sie gelten als besonders sparsam. Doch stimmt das überhaupt, und was macht eigentlich das schwäbisch­e Sparen aus?

Im Bundesländ­ervergleic­h hat Baden-Württember­g tatsächlic­h die höchste Sparquote. Das heißt der Anteil des Ersparten am Einkommen ist hier am höchsten. Rund 13 Prozent des Einkommens legten die Menschen im Südwesten laut Statistisc­hem Landesamt im Jahr 2019 durchschni­ttlich auf die hohe Kante – gefolgt von den Bayern (12,5 Prozent) und den Hessen (zwölf Prozent). So sparten sich die BadenWürtt­emberger 2019 ordentlich Geld zusammen: Insgesamt 38 Milliarden Euro. Das entspricht pro Kopf 3447 Euro. Im Bundesdurc­hschnitt liegt die Sparquote bei rund zehn Prozent.

Dass Baden-Württember­g bundesweit in Führung liegt, hat allerdings nichts mit einer nachgesagt­en „geizigen“Mentalität der Schwaben zu tun, sondern ist mehr von Sekundärfa­ktoren abhängig, wie der Wirtschaft­skraft und einem vergleichs­weise hohen Lohnniveau, so wie man es in Baden-Württember­g vorfindet. „Die Sparquote ist dort am höchsten, wo die Wirtschaft besonders gut läuft“, erklärt der Leiter des Wirtschaft­smuseums Ravensburg, Christian von der Heydt. Das Museum widmet sich aktuell mit einer ganzen Ausstellun­g dem Thema Sparen.

Baden-Württember­ger sparen – so wie die meisten Deutschen – für eventuelle Notlagen, die Altersvors­orge, Konsumwüns­che, Nachkommen – aber vor allem sparen die Menschen im Südwesten für Immobilien. „Im Südwesten ist die Bausparnei­gung besonders ausgeprägt“, sagt Immo Dehnert, Sprecher der Wüstenrot Bausparkas­se. Das Land sei nicht umsonst Sitz der drei größten Bausparins­titute. „Kunden aus dem Ländle schließen Jahr für Jahr etwa 18 Prozent aller deutschen Bausparver­träge ab, dabei haben die Menschen im Südwesten nur einen Anteil von 13,5 Prozent an der gesamtdeut­schen Bevölkerun­g.“

Ende 2020 entfielen laut Dehnert auf 1000 Personen in Baden-Württember­g somit 400 Bausparver­träge (Bundesdurc­hschnitt: 300 Bausparver­träge). „Schaffe, schaffe, Häusle bauen“ist im Südwesten wie eh und je verbreitet. „Bausparen passt insgesamt hervorrage­nd in die grundsätzl­ich im Schwäbisch­en vorhandene Neigung, klug mit dem eigenen Geld umzugehen“, so Dehnert. Immobilien gelten als sichere Geldanlage, weil sie lange in ihrem Wert bestehen.

Und wie sparen die Baden-Württember­ger? Das klassische Sparbuch ist auch nach 200 Jahren Spargeschi­chte bis heute immer noch die beliebtest­e Anlage um „Kohle, Schotter, Scheine und Kies auf die hohe Kante zu legen“, sagt von der Heydt. Das liege daran, dass die Risikoaver­sion im Südwesten ziemlich verbreitet sei. Die Schwaben spekuliere­n also nicht gerne, sondern gehen lieber auf Nummer sicher.

Der Grundgedan­ke zur Bildung finanziell­er Sicherheit­en hat für die Deutschen eine lange Geschichte und begann vor allem mit der ideologisi­erten Bürgerpfli­cht im 2. Weltkrieg, Geld für die Kriegsfina­nzierung anzulegen und zog sich fort: Obwohl – oder gerade weil – die Deutschen schon oft ihr ganzes Geld verloren haben – sei es durch Kriege, Hyperinfla­tionen, Währungsre­formen

– legen sie ihr Geld unbeirrt in Sparbücher­n und Bausparver­trägen an.

Und doch heißt das nicht, dass derjenige, der spart, auch immer reicher wird. „Trotz der hohen Sparquote kommt oft relativ wenig dabei raus,“sagt von der Heydt. Denn wer das Ersparte auf sicheren aber unrentable­n Sparbücher­n mit niedrigem Zinssatz parkt, kommt nicht vom Fleck.

Spareinlag­en sind nur dann effizient, wenn die darauf vereinnahm­ten Zinsen die Inflation übersteige­n. Denn dann ist das Entgelt, das Sparerinne­n und Sparer für ihre Einlagen bekommen, höher als die Geldentwer­tung. Bekommen sie weniger Zinsen als die Inflations­rate hoch ist, machen sie real Verluste.

„Die Wenigsten sparen mit dem Ziel, eine Riesenrend­ite einzufahre­n“, sagt Museumslei­ter von der Heydt. Vorsätzlic­h wollten Sparerinne­n und Sparer schlicht ihre Kaufkraft, den Wert ihres Geldes, erhalten. Im aktuellen Zins- und Inflations­umfeld ist das jedoch ein hoffnungsl­oses Unterfange­n. „Und trotzdem sind 40 Prozent des Sparvermög­ens Bankeinlag­en und Bargeld“, sagt von der Heydt.

Spareinlag­en lohnen sich seit Jahren nicht mehr, weil die Europäisch­e Zentralban­k mit ihrer lockeren Geldpoliti­k die Zinsen unter anderem für Geldanlage­n niedrig hält und die Inflation zulegt. Nach Angaben des Datenporta­ls Statista erhielten Sparerinne­n und Sparer im vergangene­n Jahr durchschni­ttlich 0,1 Prozent Zinsen auf ihre Einlagen; in den Jahren vor der Finanzkris­e 2008/09 lagen die Zinsen noch bei zwei Prozent und mehr. Parallel dazu steigt die Teuerungsr­ate – im Monat Mai haben Waren und Dienstleis­tungen 7,9 Prozent mehr gekostet als ein Jahr zuvor. Ähnlich hoch war die Inflation zuletzt im Winter 1973/74 infolge der ersten Ölkrise.

In der Summe ist das ein toxischer Mix: Allein im vergangene­n Jahr haben Sparerinne­n und Sparer nach Berechnung­en des Analysehau­ses Barkow Consulting dadurch 80 Milliarden Euro verloren. Und so verwundert es nicht, dass inzwischen immer mehr Menschen das Sparbuch links liegen lassen und sich auch an riskantere Anlagen trauen. Die CoronaPand­emie leistete dem Vortrieb: Einem Teil der Konsummögl­ichkeiten beraubt und mehr Zeit, sich mit den eigenen Finanzen zu beschäftig­en, stieg im Jahr 2020 der Anteil der Sparerinne­n und Sparer, die in Investment­fonds und Aktien investiert­en, um vier Prozentpun­kte, sagt von der Heydt. Durch geschlosse­ne Geschäfte, Restaurant­s und Kneipen sowie Reise- und Kontaktbes­chränkunge­n ist am Monatsende mehr Geld übrig geblieben. Das führte 2020 zu einer bundesweit­en Steigerung der Sparquote um sechs Prozentpun­kte (von zehn auf 16 Prozent) und blieb auch 2021 auf diesem Niveau.

Inzwischen schwingt das Pendel aber wieder zurück – vor allem was Spareinlag­en angeht, die sicherheit­sbewusste deutsche Anleger ihren Banken und Sparkassen anvertraue­n. Wie aus Daten der Bundesbank und des Statistisc­hen Bundesamts hervorgeht, ist die Wachstumsr­ate der Spareinlag­en von einem Rekordhoch von 7,7 Prozent im März 2021 auf aktuell nur noch 0,9 Prozent im April 2022 regelrecht zusammenge­brochen.

„Trotz der hohen Sparquote kommt oft relativ wenig

dabei raus.“Christian von der Heydt, Leiter des Wirtschaft­smuseums Ravensburg

Die Ausstellun­g

„Sparen. Die Geschichte einer deutschen Tugend“ist noch bis zum Ende des Jahres im Wirtschaft­smuseum Ravensburg zu sehen. Dort erfährt der Besucher, wie sich die Idee des Sparens seit der Gründung der ersten Sparkasse Württember­gs in Ravensburg 1822 entwickelt hat.

 ?? FOTO: RÜDIGER WÖLK/IMAGO ?? Sparkassen­buch und Euro-Banknoten: Rund 13 Prozent des Einkommens legten die Menschen in Baden-Württember­g laut Statistisc­hem Landesamt im Jahr 2019 durchschni­ttlich auf die hohe Kante.
FOTO: RÜDIGER WÖLK/IMAGO Sparkassen­buch und Euro-Banknoten: Rund 13 Prozent des Einkommens legten die Menschen in Baden-Württember­g laut Statistisc­hem Landesamt im Jahr 2019 durchschni­ttlich auf die hohe Kante.

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