Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Gemeinschaftswerk auf Eichenstämmen
Das Pfahlbauten-Museum in Unteruhldingen wird in diesem Jahr 100 Jahre alt – Am Anfang steht ein Verein aus Fischern, Bauern und Wirten – Heute wird nur ein Museum im Bundesland von mehr Menschen besucht
Klimawandel? Ja klar: Vor etwa 2500 Jahren endet am Bodensee die Pfahlbauer-Kultur, als eine Kalt- die bis dahin vorherrschende Warmzeit ablöst. Und heute plant das Pfahlbauten-Museum in Unteruhldingen einen Neubau für Veranstaltungen, weil „die Leute ab 30 Grad Hitze nicht mehr so gerne durchs Museum gehen, sondern lieber im Kühlen sitzen“, erklärt Museumsleiter Gunter Schöbel vor der Wand mit den Bauplänen des Stuttgarter Büros Ackermann + Raff. Die zwei nebeneinanderliegenden, länglichen Baukörper sollen, wie zwei Lungenflügel, dem Museumskomplex frischen Atem einhauchen.
Noch existieren die ehrgeizigen Pläne nur auf Papier. Und so steht in diesem Jahr das Jubiläum im Mittelpunkt: Seit 100 Jahren besteht die Anlage mit ihren 23 Nachbauten historischer Häuser auf den Holzpfählen im See (und manchmal, wie jetzt, wenn der Pegel niedrig steht, auf dem Trockenen). Eine Erfolgsgeschichte: Mit seinen rund 300 000 Besucherinnen und Besuchern im Jahr, wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, wird das Museum in Baden-Württemberg nur noch vom Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart getoppt. Seit Bestehen haben fast 16 Millionen Menschen den Weg an die Unteruhldinger Strandpromenade gefunden.
Museumsleiter Gunter Schöbel – pardon: Professor Schöbel, Archäologe, Ur- und Frühgeschichtler, nebenbei eloquenter Pfahlbauten-Enthusiast – führt ein Unternehmen mit etwa 50 Mitarbeitenden in der Hauptsaison, im Winter sind es weniger. Hinter dem Museum steht ein eingetragener Verein, der, außer bei Corona-Hilfen, ohne staatliche Zuwendungen auskommt und sich frei finanziert. Das macht es einerseits schwer – andererseits verschafft diese Situation aber auch eine Freiheit und Flexibilität, auf die Schöbel nicht verzichten will. Dabei legt er Wert auf die Feststellung, dass im Gelände am See nicht nur ausgestellt wird – hier wird auch von Wissenschaftlern ganz seriös und ernsthaft geforscht.
Im Umgang mit Krisen kennt sich das Pfahlbautenmuseum aus. Schon die Gründung fällt in eine solche Zeit: wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, kurz vor der Inflation, auf den Straßen Kämpfe zwischen Rechts und Links, Spanische Grippe – das ist das Umfeld, als sich der Museumsverein am 12. März 1922 gründet. Doch es ist auch eine Zeit des Aufbruchs, der Reformpädagogik, der Moderne in der Kunst, man ist offen für Experimente, schildert Gunter Schöbel die Situation.
In Unteruhldingen, überhaupt am Bodensee, auch in Oberschwaben, in der Schweiz, ja, im ganzen Alpenraum kennt man da schon die Pfahlbauten. Mitte des 19. Jahrhunderts werden die ersten Überreste entdeckt. Fischer haben sich da schon lange geärgert, wenn sich ihre Netze in merkwürdigen Holzpfählen verhakt hatten. Jetzt aber werden Funde gesichert, dokumentiert – und geklaut: Immer wieder landen Fundstücke vom See oder aus den oberschwäbischen Seen und Mooren als Raubgut in Sammlungen großer Städte, etwa Sankt Petersburg. Und ja, kann sich Schöbel nicht verkneifen zu sagen, Berlin sei beim Kulturdiebstahl auch dabei gewesen.
In Unteruhldingen sind es vor einhundert Jahren zwei Männer, die das Museum vorantreiben: Bürgermeister Georg Sulger und Oberamtmann
Hermann Levinger, später Landrat. Vorab hat sich ein Verein gegründet, in dem Bürger aus dem kleinen Ort das Projekt unterstützen. Fischer, Bauern, Bauunternehmer, aber auch Gastwirte und Pensionsinhaber, die das touristische Potenzial erkennen – zusammen ein „geniales bürgerliches Gemeinschaftswerk“, zeigt sich Gunter Schöbel noch heute erfreut über diese Initiative.
Noch 1922 werden die ersten beiden Häuser des Museums gebaut, die fürs Jubiläum hundert Jahre später saniert worden sind. Museumseröffnung ist am 1. August des Jahres. Nach 1933 gerät das Museum in die Fänge der Nazis mit ihren eigenen Vorstellungen von Geschichte und Germanentum. 1945 gelingt schon bald nach Kriegsende der Neustart.
Heute sind es mehr als 20 unterschiedliche Gebäude, die so aussehen wie in der Zeitspanne von 4000 bis etwa 850 vor Christus, als eben jene Kaltzeit einsetzte. Nach wie vor kommt das Holz aus der Region; meist sind es Eichen, auf denen die
Gebäude ruhen, dazu Kiefern und Weißtannen. Schon zu Stein- und Bronzezeiten war die Siedlung ein Handelsplatz – unter anderem für Holz.
Schulklassen kommen, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Österreich, der Schweiz und selbst aus Frankreich. Dazu Busse mit Senioren, Tagestouristen, Radfahrer – touristisch sind die Pfahlbauten einer der Magnete am Bodensee. Immerhin gehört die Anlage gemeinsam mit 111 Orten aus sechs Ländern, überwiegend im Alpenraum, zum Unesco-Weltkulturerbe.
In diesem Jahr, dem ersten nach den schweren Corona-Jahren, wird also Jubiläum gefeiert, dann richtet sich der Blick nach vorne. Auf dem Papier stehen schon die beiden Erweiterungsbauten, die 2018 aus einem Wettbewerb hervorgegangen sind. In der Region gibt es jedoch auch ablehnende Stimmen – wie nahezu überall, sobald es um Geld und Kultur geht.
Eine andere Sorge hat Museumsleiter Schöbel bereits jetzt: Was, wenn die Ausschreibung der Gewerke deutlich über der Kalkulation liegt, die Baukosten weiter explodieren? „Dann müssen wir die Reißleine ziehen“, erklärt er – das Projekt also aufschieben. Dabei sei die Notwendigkeit doch klar: mehr Platz für wissenschaftliche Arbeiten, für Ausstellungen und für Veranstaltungen, wenn’s draußen zu heiß ist. Immerhin: Der Museumsverein kann bei seinem Vorhaben mit einem Bundeszuschuss in Höhe von 1,5 Millionen Euro rechnen.
Immer wieder auf den aktuellen Stand gebracht wird auch das Vermittlungskonzept. Neue Medien kommen zum Einsatz, neue Techniken. So hat Marco Rivardo, Schauspieler am Theater Ravensburg, in einem Film die Rolle von Gründer Georg Sulger übernommen, der seine Ideen erläutert. Aufmerksame Besucher haben allerdings schon festgestellt, dass der junge Mann nicht ganz den badischen, genauer: seealemannischen Dialekt Sulgers trifft, sondern eine oberschwäbische Einfärbung hat. Das hätte in der Steinzeit wohl keine Rolle gespielt.
Das
Pfahlbautenmuseum Unteruhldingen ist in diesem Jahr noch bis 6. November (danach dann nur noch samstags und sonntags) täglich ab 10 Uhr geöffnet. Mehr auf www.pfahlbauten.de. Anfang August ist eine Festwoche zum Jubiläum geplant.