Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Bahn spendiert Fahrgästen an Pfingsten Wasser
9-Euro-Ticket: Auf der Strecke zwischen Friedrichshafen und Lindau bleibt der große Ansturm aus
FRIEDRICHSHAFEN/LINDAU - Mit dem 9-Euro-Ticket günstig und bequem an den Bodensee fahren, an der Promenade spazieren, Eis essen, Kaffee trinken, eine Tour mit dem Schiff oder dem Fahrrad machen – das haben sich über die Pfingstfeiertage viele Menschen gegönnt. Zu einer Überlastung des Nahverkehrs, wie im Vorfeld befürchtet worden war, ist es zumindest entlang des Bodensees zwischen Friedrichshafen und Lindau nicht gekommen, wie wir von Bahnmitarbeitern und Fahrgästen erfuhren und selbst bei zwei Fahrten beobachten konnten. Infolge des Unwetters, das an Pfingsten Teile des Allgäus traf, kam es bis Pfingstmontag zu Verspätungen.
Am Samstag um 9 Uhr stehen am Friedrichshafener Stadtbahnhof zig Servicemitarbeiter der Bahn an den Treppen zu den Gleisen und verteilen Wasserflaschen. Eine Zugabe zum 9-Euro-Ticket? „Nein, nur für den Fall, wenn die Leute hier stranden, dass sie nicht verdursten“, sagt ein Bahnmitarbeiter. Gestrandet ist offenbar niemand, aber bis zum späten Nachmittag sind wohl Hunderte Pfandflaschen verteilt.
Durch die Baustelle im Stadtbahnhof gibt es gewaltige Behinderungen. Wer sich mit Koffer, Kinderwagen oder E-Bike die schmalen Treppen hochgequält hat, muss erst einmal Luft holen und kann eine Erfrischung gut brauchen. An Service lässt es die Bahn in Friedrichshafen nicht fehlen. Auf jedem Bahnsteig stehen Mitarbeiter in roten Warnwesten, die vor allem unerfahrene 9-Euro-Ticket-Besitzer beraten. Auch für Sauberkeit ist gesorgt. Regelmäßig werden Müllbehälter geleert.
Dass es auf der Südbahn nicht zu dem befürchteten Ansturm kommt, liegt wohl auch an der Baustelle zwischen Laupheim und Ulm. Hier ist noch bis 7. Juni, 5 Uhr, ein Schienenersatzverkehr eingerichtet, der die Mitnahme von Fahrrädern unmöglich macht und mit Verspätungen verbunden ist. Wer nicht muss, meidet die Strecke Ulm – Friedrichshafen
über Pfingsten. An der Regionalbahn RB 31 um 9.01 Uhr nach Radolfzell hängen am Samstag vier Wagen, die nur mäßig besetzt sind. Gerade einmal zwei Fahrradfahrer steigen zu. Ähnlich sieht die Lage nachmittags aus. Wir besteigen um 13.31 Uhr den RE 5 nach Lindau und können uns Sitzplätze bequem aussuchen. Die beiden Fahrradfahrer, die ebenfalls zusteigen, sind überrascht, dass sie die Einzigen im sonst leeren Waggon sind.
In Lindau-Reutin, einem Knotenpunkt im Bahnverkehr Richtung München, Nürnberg, Österreich und Schweiz, sind die Bahnsteige zwar belebt, aber nicht überfüllt. Was man vom nahen Seeparkplatz und den Straßen vor dem Bahnhof nicht behaupten kann. Hier quälen sich lange
Fahrzeugschlangen Richtung Insel beziehungsweise stadtauswärts Richtung Kempten und Bregenz. Ein Bahnmitarbeiter berichtet aber dann doch von chaotischen Szenen am Freitagabend. Zahlreiche Fahrgäste, die mit ihren Fahrrädern Richtung Kempten zusteigen wollten, seien stehen geblieben. Einige hätten sich derart uneinsichtig gezeigt, dass sogar die Polizei eingreifen musste.
Dabei hatten die Verkehrsbetriebe im Vorfeld darauf hingewiesen, dass eine Fahrradmitnahme nicht garantiert werden kann. Vor allem die Fernzüge kämen rund um Feiertage und verlängerte Wochenenden regelmäßig an die Grenze ihrer Kapazität, sodass Fahrgäste auch mal in die Regionalzüge wechseln müssten, sagte der Bahnmitarbeiter in LindauReutin.
Volle Züge, überlastete Streckenabschnitte, zu wenig Kapazität – all das sei im Sommer nichts Besonderes, sagt ein anderer Mitarbeiter auf dem Bahnhof Lindau-Insel. Durch das Neun-Euro-Ticket werden sicher mehr Leute den Zug nehmen, meint er, was die Situation potenziell verschärfe. Zu DB-Zeiten, als die Bahn noch Staatsbetrieb war, habe man einfach zusätzlich Waggons angehängt. Heute ginge das nicht mehr.
Während es am Samstagnachmittag im Inselbahnhof sehr ruhig ist, herrscht draußen am Hafen dichtes Gedränge. Vor Eisdielen, Fahrkartenschaltern und an den Schiffsanlegern bilden sich lange Schlangen. Schwer bepackte Fahrradfahrer schieben sich über die Promenade. „Der normale Wahnsinn“, wie er am Bodensee jeden Sommer zu erleben ist. Schließlich lebt die Region ein gutes Stück weit davon, dass Gäste kommen und konsumieren.
Mit dem 9-Euro-Ticket können und werden sich solche Ausflüge natürlich mehr Menschen leisten. Das wird zwangsläufig dazu führen, dass es in Stoßzeiten – besonders bei der An- und Abreise – zu Engpässen kommt. Das Versprechen der Verkehrsgesellschaft Go Ahead, die seit 2018 mit modernen Zügen zwischen München und Lindau fährt, „Wir bringen Dich nachhaltig und entspannt ans Ziel…“, dürfte deshalb nur bedingt einzuhalten sein.
Spätnachmittags und abends wird es in Lindau-Reutin dann doch kritisch. Der um 17.05 Uhr aus Nürnberg einfahrende Zug hat nur zwei Waggons und ist rappelvoll. Für die Rückfahrt stehen auf dem Bahnsteig eine Menge Leute, die sich in den Zug quetschen müssen. „Wir erwarten im Verlauf Ihrer Reise eine hohe Auslastung“, hatte die Bahn in der App vorgewarnt.
Auf die Beobachtung des Kampfes um Plätze verzichten wir und treten um 17.04 Uhr mit dem RE 5 die Rückreise nach Friedrichshafen an – ohne Gedränge, mit der Mineralwasserspende und dem Eindruck, dass die Bahn mit der 9-Euro-Bescherung der Politik bisher ganz gut klar kommt – zumindest am Bodensee.