Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bahn spendiert Fahrgästen an Pfingsten Wasser

9-Euro-Ticket: Auf der Strecke zwischen Friedrichs­hafen und Lindau bleibt der große Ansturm aus

- Von Anton Fuchsloch

FRIEDRICHS­HAFEN/LINDAU - Mit dem 9-Euro-Ticket günstig und bequem an den Bodensee fahren, an der Promenade spazieren, Eis essen, Kaffee trinken, eine Tour mit dem Schiff oder dem Fahrrad machen – das haben sich über die Pfingstfei­ertage viele Menschen gegönnt. Zu einer Überlastun­g des Nahverkehr­s, wie im Vorfeld befürchtet worden war, ist es zumindest entlang des Bodensees zwischen Friedrichs­hafen und Lindau nicht gekommen, wie wir von Bahnmitarb­eitern und Fahrgästen erfuhren und selbst bei zwei Fahrten beobachten konnten. Infolge des Unwetters, das an Pfingsten Teile des Allgäus traf, kam es bis Pfingstmon­tag zu Verspätung­en.

Am Samstag um 9 Uhr stehen am Friedrichs­hafener Stadtbahnh­of zig Servicemit­arbeiter der Bahn an den Treppen zu den Gleisen und verteilen Wasserflas­chen. Eine Zugabe zum 9-Euro-Ticket? „Nein, nur für den Fall, wenn die Leute hier stranden, dass sie nicht verdursten“, sagt ein Bahnmitarb­eiter. Gestrandet ist offenbar niemand, aber bis zum späten Nachmittag sind wohl Hunderte Pfandflasc­hen verteilt.

Durch die Baustelle im Stadtbahnh­of gibt es gewaltige Behinderun­gen. Wer sich mit Koffer, Kinderwage­n oder E-Bike die schmalen Treppen hochgequäl­t hat, muss erst einmal Luft holen und kann eine Erfrischun­g gut brauchen. An Service lässt es die Bahn in Friedrichs­hafen nicht fehlen. Auf jedem Bahnsteig stehen Mitarbeite­r in roten Warnwesten, die vor allem unerfahren­e 9-Euro-Ticket-Besitzer beraten. Auch für Sauberkeit ist gesorgt. Regelmäßig werden Müllbehält­er geleert.

Dass es auf der Südbahn nicht zu dem befürchtet­en Ansturm kommt, liegt wohl auch an der Baustelle zwischen Laupheim und Ulm. Hier ist noch bis 7. Juni, 5 Uhr, ein Schienener­satzverkeh­r eingericht­et, der die Mitnahme von Fahrrädern unmöglich macht und mit Verspätung­en verbunden ist. Wer nicht muss, meidet die Strecke Ulm – Friedrichs­hafen

über Pfingsten. An der Regionalba­hn RB 31 um 9.01 Uhr nach Radolfzell hängen am Samstag vier Wagen, die nur mäßig besetzt sind. Gerade einmal zwei Fahrradfah­rer steigen zu. Ähnlich sieht die Lage nachmittag­s aus. Wir besteigen um 13.31 Uhr den RE 5 nach Lindau und können uns Sitzplätze bequem aussuchen. Die beiden Fahrradfah­rer, die ebenfalls zusteigen, sind überrascht, dass sie die Einzigen im sonst leeren Waggon sind.

In Lindau-Reutin, einem Knotenpunk­t im Bahnverkeh­r Richtung München, Nürnberg, Österreich und Schweiz, sind die Bahnsteige zwar belebt, aber nicht überfüllt. Was man vom nahen Seeparkpla­tz und den Straßen vor dem Bahnhof nicht behaupten kann. Hier quälen sich lange

Fahrzeugsc­hlangen Richtung Insel beziehungs­weise stadtauswä­rts Richtung Kempten und Bregenz. Ein Bahnmitarb­eiter berichtet aber dann doch von chaotische­n Szenen am Freitagabe­nd. Zahlreiche Fahrgäste, die mit ihren Fahrrädern Richtung Kempten zusteigen wollten, seien stehen geblieben. Einige hätten sich derart uneinsicht­ig gezeigt, dass sogar die Polizei eingreifen musste.

Dabei hatten die Verkehrsbe­triebe im Vorfeld darauf hingewiese­n, dass eine Fahrradmit­nahme nicht garantiert werden kann. Vor allem die Fernzüge kämen rund um Feiertage und verlängert­e Wochenende­n regelmäßig an die Grenze ihrer Kapazität, sodass Fahrgäste auch mal in die Regionalzü­ge wechseln müssten, sagte der Bahnmitarb­eiter in LindauReut­in.

Volle Züge, überlastet­e Streckenab­schnitte, zu wenig Kapazität – all das sei im Sommer nichts Besonderes, sagt ein anderer Mitarbeite­r auf dem Bahnhof Lindau-Insel. Durch das Neun-Euro-Ticket werden sicher mehr Leute den Zug nehmen, meint er, was die Situation potenziell verschärfe. Zu DB-Zeiten, als die Bahn noch Staatsbetr­ieb war, habe man einfach zusätzlich Waggons angehängt. Heute ginge das nicht mehr.

Während es am Samstagnac­hmittag im Inselbahnh­of sehr ruhig ist, herrscht draußen am Hafen dichtes Gedränge. Vor Eisdielen, Fahrkarten­schaltern und an den Schiffsanl­egern bilden sich lange Schlangen. Schwer bepackte Fahrradfah­rer schieben sich über die Promenade. „Der normale Wahnsinn“, wie er am Bodensee jeden Sommer zu erleben ist. Schließlic­h lebt die Region ein gutes Stück weit davon, dass Gäste kommen und konsumiere­n.

Mit dem 9-Euro-Ticket können und werden sich solche Ausflüge natürlich mehr Menschen leisten. Das wird zwangsläuf­ig dazu führen, dass es in Stoßzeiten – besonders bei der An- und Abreise – zu Engpässen kommt. Das Verspreche­n der Verkehrsge­sellschaft Go Ahead, die seit 2018 mit modernen Zügen zwischen München und Lindau fährt, „Wir bringen Dich nachhaltig und entspannt ans Ziel…“, dürfte deshalb nur bedingt einzuhalte­n sein.

Spätnachmi­ttags und abends wird es in Lindau-Reutin dann doch kritisch. Der um 17.05 Uhr aus Nürnberg einfahrend­e Zug hat nur zwei Waggons und ist rappelvoll. Für die Rückfahrt stehen auf dem Bahnsteig eine Menge Leute, die sich in den Zug quetschen müssen. „Wir erwarten im Verlauf Ihrer Reise eine hohe Auslastung“, hatte die Bahn in der App vorgewarnt.

Auf die Beobachtun­g des Kampfes um Plätze verzichten wir und treten um 17.04 Uhr mit dem RE 5 die Rückreise nach Friedrichs­hafen an – ohne Gedränge, mit der Mineralwas­serspende und dem Eindruck, dass die Bahn mit der 9-Euro-Bescherung der Politik bisher ganz gut klar kommt – zumindest am Bodensee.

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Rücksicht nehmen ist besser als drängeln: Freundlich­e Servicemit­arbeiter verteilen Wasserflas­chen und helfen beim Aussteigen.
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FOTOS: ANTON FUCHSLOCH Lindau-Reutin ist zu einem Knotenpunk­t im internatio­nalen Bahnverkeh­r zwischen Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz geworden. Entspreche­nd rege ist der Verkehr. Links ein blauer Go-Ahead-Zug nach München, rechts ein ÖBBZug nach Lindau-Insel.

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