Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Je schmutziger das Wasser, desto wertvoller
Warum große Mengen Regenwasser die Arbeit im Klärwerk nicht erleichtern, sondern erschweren
FRIEDRICHSHAFEN - Zwischen acht und zehn Millionen Kubikmeter Abwasser fließen pro Jahr ins Klärwerk im Osten Friedrichshafens – und danach in den Bodensee, den größten Trinkwasserspeicher Europas. Aber kann das, was in Industrie, Gewerbe und den Haushalten von knapp 64 500 Häflerinnnen und Häflern die Abflussrohre hinunter rauscht und im rund 300 Kilometer langen Kanalnetz mit mal mehr, mal weniger Regenwasser verdünnt wird, tatsächlich wieder in Trinkwasser umgewandelt werden? Und was würde eigentlich passieren, wenn bei Starkregen alle Häfler gleichzeitig aufs Klo gingen? Würden die Becken im Klärwerk dann überlaufen und den See verschmutzen? Ein Besuch vor Ort, um Antworten zu finden. Resul Vardar, Leiter der Abwasserreinigung und des Klärwerks der Stadt Friedrichshafen muss bei solchen Fragen ein bisschen schmunzeln. Dass im Klärwerk mehr Wasser ankommt, als es aufnehmen kann, ist praktisch unmöglich. Weil man Anfang der 1960er-Jahre davon ausgegangen war, dass die Stadt aufgrund ihrer Industriebetriebe schnell und stark wachsen würde, sei das Klärwerk, das 1965 in Betrieb ging, in einer Dimension geplant und gebaut worden, die auch heute noch locker ausreicht, sagt Vardar. Egal, wie stark es regnet und egal, wie viele Menschen zeitgleich die Klospülung betätigen.
Letzteres macht ohnehin nur einen sehr kleinen Teil dessen aus, was rund um die Uhr in der Kläranlage ankommt. Sehr deutlich wird das, wenn man sich bei trockener Witterung ans obere Ende des Einlaufhebewerks stellt und hinunter schaut. Von insgesamt fünf Hebeschnecken, die das Abwasser 8,50 Meter in die Höhe pumpen, damit es in freiem Gefälle durch die Anlage fließen kann, ist dann gerade mal eine der beiden kleinsten in Betrieb, mit einer Fördermenge von 400 bis 910 Litern pro Sekunde. Die beiden größten Hebechnecken werden erst bei Starkregen aktiv und könnten dann jeweils bis zu 4200 Liter pro Sekunde nach oben pumpen.
Oben angekommen, wird das Abwasser dann Schritt für Schritt von all jenen Stoffen befreit, die nicht mehr drin sein sollten, wenn es in den Bodensee geleitet wird. Erst mechanisch, dann biologisch, dann chemisch und seit etwas mehr als einem Jahr final durch sogenannte Ozonung.
In den 1960er-Jahren beschränkte sich die Reinigung noch auf die erste, die mechanische Stufe. „Heute sind vier Stufen ,state of the art’“, sagt
Wolfgang Kübler, Leiter des Stadtbauamts. Was allerdings nicht heißt, dass diese vier Stufen bereits überall im Land Standard sind. Im Gegenteil: Klärwerke am Bodensee haben diesbezüglich in den vergangenen Jahren die Vorreiterrolle übernommen. „Da wurde viel Geld in die Hand genommen. Dafür muss man die Politik wirklich loben“, sagt Resul Vardar.
Bei der Ozonung geht es unter anderem darum, Rückstände von Arzneimitteln aus dem Wasser herauszufiltern. Mit bloßem Auge zu erkennen, ist das zwar nicht, im Prinzip geht es aber in allen vier Reinigungsstufen um das Gleiche: unerwünschte Stoffe so zu separieren beziehungsweise „greifbar“zu machen, dass sie herausgefiltert werden können. Was in der ersten Stufe gut sichtbar mittels Rechen und anschließend mithilfe der Physik durch Aufschwimmen oder Absenken passiert, übernehmen in den weiteren Stufen Bakterien und chemische Stoffe.
Die auf den ersten Blick naheliegende Annahme, dass die Reinigung des Abwassers leichter wird, je stärker es auf dem Weg durch die Kanalisation bereits durch Regenwasser verdünnt wurde, ist übrigens falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Um mithilfe von Mikroorganismen Phosphor und Stickstoff im Abwasser zu eliminieren, brauchen diese Mikroorganismen optimale Nährstoffverhältnisse. Wichtig ist etwa eine bestimmte Menge an Kohlenstoff. „Wertvoll für uns ist das schmutzige Wasser“, sagt Resul Vardar deshalb.
Dass Rückstaumöglichkeiten für Regenwasser im Zusammenhang mit Neubaugebieten mittlerweile ebenso obligatorisch sind wie verschiedene weitere Maßnahmen zur Trennung von Schmutz- und Regenwasser, soll in erster Linie zwar die Kanalisation entlasten, dient vor diesem Hintergrund aber auch der Arbeit im Klärwerk. Über die gesplittete Abwassergebühr setzt die Stadt zudem einen finanziellen Anreiz für Grundstücksbesitzer: Je größer die unversiegelte Fläche, auf der Regenwasser versickern kann und deshalb nicht in der Kanalisation landet, desto niedriger die Kosten.
Doch zurück zur Ausgangsfrage: Hat das, was nach etwa acht bis zehn Stunden Reinigung das Klärwerk Richtung Bodensee verlässt, tatsächlich Trinkwasserqualität? „Es hat Badewasserqualität“, schränkt Resul Vardar ein. „Für Trinkwasserqualität fehlen die Mineralstoffe.“Über natürliche Prozesse werde das Wasser mit der Zeit aber wieder entsprechend angereichert.
Wertvoll ist übrigens nicht nur das, was am Ende in den Bodensee fließt, sondern auch das, was auf dem Weg dorthin abgeschöpft worden ist: Aus dem Klärschlamm entsteht im Faulbehälter als Nebenprodukt nämlich Methangas. In einem Blockheizkraftwerk wird dieses Gas in Strom umgewandelt, der knapp 60 Prozent des Eigenbedarfs der Kläranlage deckt. Die Abwärme der Gasmotoren wird zudem zur Beheizung der Betriebsgebäude und Faulbehälter sowie zur Warmwasserbereitung verwendet. Eigenen Strom produziert das Klärwerk zusätzlich auch durch Photovoltaikanlagen, die in den kommenden Jahren kontinuierlich erweitert werden sollen.