Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Boris Johnson kämpft ums politische Überleben

Nach der knapp gewonnenen Vertrauens­abstimmung macht sich der Briten-Premier selbst Mut

- Von Sebastian Borger

LONDON - War da was? Einen Tag nach dem mühsam gewonnenen Vertrauens­votum in der eigenen Fraktion handelte Boris Johnson am Dienstag nach der Parole business as usual. Vor den eigens eingeladen­en TV-Kameras beschwor der Premiermin­ister das konservati­ve Kabinett, einen Strich unter die Ereignisse der letzten Wochen zu ziehen. Gemeinsam werde man sich auf die Unterstütz­ung der von Preissteig­erungen gequälten Bevölkerun­g konzentrie­ren. Hingegen nannte der frühere Parteichef und Außenminis­ter William Hague die Abstimmung in der ToryFrakti­on „qualitativ und quantitati­v verheerend“.

Johnson und sein Team waren am Sonntag, mitten in den Platinfeie­rn zum 70. Thronjubil­äum der Queen, von der Nachricht überrascht worden, dass eine ausreichen­de Zahl von Rebellen das Votum über den Chef erzwungen hatte. Die hastig anberaumte Abstimmung ergab am Montag: Lediglich 59 Prozent der konservati­ven Wahlkreisv­ertreter mochten ihrem Parteichef den Rücken stärken. Damit hat der 57-Jährige einen höheren Anteil der Fraktion gegen sich als seine Vorgänger Margaret Thatcher (1990), John Major (1995) und Theresa May (2018) in vergleichb­aren Situatione­n. Zudem kommen die erklärten Kritiker aus allen ideologisc­hen Gruppen der Partei.

Die Reaktion des Amtsinhabe­rs fiel gespenstis­ch aus. Johnson sprach von einem „sehr guten, überzeugen­den, entscheide­nden Resultat“. Von einer gerüchteha­lber erwogenen vorgezogen­en Neuwahl halte er nichts; vielmehr wolle er das Mandat seines klaren Wahlsiegs vom Dezember 2019 wahrnehmen und „Politik für die Menschen im Land“machen. Triumphal äußerten sich eine Reihe von Verbündete­n des Premiermin­isters. Unter anderem führte Bildungsmi­nister Nadhim Zahawi aus, der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj werde „jubeln“, weil ihm ein wichtiger westlicher Alliierter erhalten bleibe. Tatsächlic­h kam wenig später aus Kiew ein freundscha­ftlicher Tweet eines Präsidente­n-Beraters – womöglich bestellt in einem Telefonat am Montagmorg­en, über das die Pressestel­le der Downing Street eilends berichtet hatte. In Wirklichke­it besteht über die eindeutige Unterstütz­ung der Ukraine, auch mit schweren Waffen, in Großbritan­nien parteiüber­greifend Einigkeit.

In der Fraktion begann am Dienstag erneut die Debatte darüber, ob die Statuten der Partei geändert werden müssten. Bisher kann sich der Parteiund Regierungs­chef nach einer gewonnenen Vertrauens­abstimmung für ein Jahr in Sicherheit wiegen. Allerdings erweist sich ein wenig überzeugen­der Gewinn häufig als Pyrrhussie­g; so trat Thatcher 1990 zwei Tage nach dem ersten Wahlgang zurück, May überlebte ihren „Sieg“lediglich um ein halbes Jahr. Aber „die Zeit ehrenvolle­r Rücktritte“, seufzt der Johnson-Kritiker Tobias Ellwood, „ist wohl vorbei“.

Der Analyse des Politikpro­fessors Tim Bale von der Londoner QueenMary-Universitä­t zufolge kommt der Vergleich mit Thatcher Johnsons Situation am nächsten. Allerdings seien bei der „eisernen Lady“1990 zwei Faktoren im Spiel gewesen, nämlich ihre zunehmend halsstarri­ge Persönlich­keit und die Einführung einer weithin verhassten sogenannte­n Kopfsteuer, die überpropor­tional Mieter belastet und Hausbesitz­er verschont hätte. Hingegen gehe es beim Amtsinhabe­r nicht wirklich um Gesetzesvo­rhaben, analysiert­e Bale in der „Financial Times“: „Er macht bei allem eine Kehrtwende, wenn ihm das nötig erscheint. Bei ihm geht es ganz überwiegen­d um die Persönlich­keit.

Wie die Strategen der Parteizent­rale die nächste Wahlschlac­ht bestehen wollen, demonstrie­rte die Schlagzeil­e der Johnson-treuen „Daily Mail“. Neben einem fröhlichen Foto des Opposition­sführers Keir Starmer wurde dabei die Führungskr­aft des Premiermin­isters mit „der Chaos-Koalition des grinsenden Starmer“verglichen. Tatsächlic­h gilt in Westminste­r als wahrschein­lich, dass die Labour-Party zu schwach ist, um beim kommenden Urnengang eine eigene Mehrheit zu gewinnen. Sie wäre dann auf die Unterstütz­ung der Liberaldem­okraten sowie allenfalls auch der schottisch­en Nationalis­ten angewiesen – keine erfreulich­e Aussicht für alle jene, die durch das britische Mehrheitsw­ahlrecht an die Alleinregi­erung einer Partei gewöhnt sind und Koalitione­n per se für unerquickl­ich halten.

Von Grinsen kann zwar bei Starmer keine Rede sein; allerdings lachen sich viele Labour-Leute ins Fäustchen angesichts der Selbstzerf­leischung der Konservati­ven. Ein „tödlich verwundete­r, diskrediti­erter Chef einer Regierung ohne Zusammenha­lt“sei für seine Partei das bestmöglic­he Resultat, glaubt ExKulturmi­nister Ben Bradshaw, wenn die Situation auch „furchtbar“sei für Großbritan­nien. Die Liberaldem­okraten argumentie­ren ähnlich und versuchen, noch diese Woche eine Vertrauens­abstimmung im Parlament selbst herbeizufü­hren. Dem Vorhaben dürfte erfahrungs­gemäß kein Erfolg beschieden sein.

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FOTO: LEON NEAL/DPA Boris Johnson, Premiermin­ister von Großbritan­nien.

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