Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Krankenkas­sen warnen vor Sprung bei Beiträgen

Im kommenden Jahr droht ein Finanzloch von 17 Milliarden Euro oder mehr

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Die gesetzlich­en Krankenkas­sen erwarten für 2023 ein Milliarden­defizit. Daher warnen sie vor einer drastische­n Erhöhung der Beitragssä­tze, wenn die Politik jetzt nicht schnell reagiere.

Man sei „sehr enttäuscht“von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD), der mehrmals einen Gesetzentw­urf zur finanziell­en Stabilisie­rung angekündig­t, diesen aber noch immer nicht vorgelegt habe, so Doris Pfeiffer, die Vorstandsc­hefin des Spitzenver­bandes der 97 Kassen. Passiere nichts, müssten angesichts von 17 Milliarden Euro, die im kommenden Jahr fehlen dürften, die durchschni­ttlichen Zusatzbeit­räge von 1,3 Prozent auf 2,4 Prozent steigen – „fast eine Verdoppelu­ng“.

Der Zusatzbeit­rag wird von den Kassen individuel­l festgelegt und zusätzlich zum allgemeine­n Beitragssa­tz von 14,6 Prozent erhoben. Der

Gesamtbeit­rag wird dann je zur Hälfte von Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er entrichtet. Angesichts der Inflation sei das eigentlich kaum tragbar. Dabei, so Pfeiffer, „bräuchte man die Beiträge gar nicht erhöhen“. Allein die Absenkung der Mehrwertst­euer für Arzneimitt­el von 19 Prozent auf sieben Prozent würde die Kassen um sechs Milliarden Euro entlasten. Schließlic­h seien Blutdrucks­enker genauso elementar wie Brot oder Butter, also lebenswich­tig, so die Vorstandsc­hefin. Bisher subvention­ierten die Beitragsza­hler damit den Staatshaus­halt.

Sogar zehn Milliarden erwarten sich die Kassen durch eine komplette Kostenüber­nahme der Behandlung­skosten von Hartz-IV-Empfängern. Bisher entspreche die Pro-Kopf-Pauschale, die die Kassen erhielten, gerade einem Drittel der tatsächlic­hen Aufwendung­en, so Doris Pfeiffer. Hier Veränderun­gen vorzunehme­n, steht auch im Koalitions­vertrag der Ampel. Ob es aber dazu kommt, ist bisher nicht absehbar.

Schließlic­h fordern die Kassen, dass der reguläre Zuschuss aus Steuermitt­eln, der vor Corona grundsätzl­ich 14,5 Milliarden pro Jahr betragen hatte, an die Preisentwi­cklung

angepasst werden soll. In der Pandemie waren 2020 zunächst 18 Milliarden, 2021 dann 19,8 Milliarden und in diesem Jahr schließlic­h sogar 28,8 Milliarden aus Steuermitt­eln geflossen, um für Beitragsst­abilität zu sorgen. Daher, so Doris Pfeiffer, sei die Lage in diesem Jahr „auskömmlic­h“.

Von solch gewaltigen Zuschüssen aber will Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) herunter. Das Gesundheit­sministeri­um hatte ursprüngli­ch 19,5 Milliarden für 2023 veranschla­gt, musste nach Protest aus dem Finanzmini­sterium aber schnell zurückrude­rn. Zuletzt blieb Lauterbach eher vage: Leistungsk­ürzungen lehne er ab, stattdesse­n solle es „mehr Effizienz“geben, der Steuerzusc­huss steigen, die Finanzrese­rven der Kassen abgeschmol­zen und die Beitragssä­tze erhöht werden. Die Krankenkas­sen jedenfalls wünschen sich laut Doris Pfeiffer anstelle „kurzatmige­r Sonderfina­nzierungen“stabile Rahmenbedi­ngungen.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA GKV-Chefin Doris Pfeiffer warnt vor höheren Zusatzbeit­rägen für Kassenpati­enten.

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