Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Bund will deutlich mehr Windräder
Ein Gesetzentwurf soll Abstandsregeln kippen und die Länder zwingen, Flächen für Windräder auszuweisen
BERLIN - Die Bundesregierung zieht den Ländern in Sachen Windenergie die Daumenschrauben an. Sollten sie die vom Bund vorgegebenen Flächenvorgaben für Windräder auf ihrem Gebiet bis 2026 nicht einhalten, droht die Regierung, die in manchen Bundesländern gültigen Abstandsregeln zu Wohnhäusern zu kippen. Das sieht ein Gesetzentwurf aus Robert Habecks (Grüne) Wirtschaftsministerium und dem Haus von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) vor, über den nun die Bundesregierung berät.
Derzeit sind bundesweit 0,8 Prozent der Fläche für Windenergie ausgewiesen, der Bund will diese Marke bis 2032 auf zwei Prozent anheben, bis 2026 soll ein Ziel von 1,4 Prozent erreicht sein. Habeck will dies erzwingen, indem er verbindliche Ziele für einzelne Länder vorschreibt. Da jeweils „unterschiedliche Voraussetzungen für den Ausbau der Windenergie“herrschen, seien die Vorgaben je nach Bundesland verschieden, heißt es in einem Ministeriumspapier, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt.
So müssen in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg nur 0,5 Prozent der Fläche zur Verfügung gestellt werden. Bei Ländern wie Brandenburg oder Niedersachsen hingegen, die günstige Voraussetzungen für Windkraft aufweisen, sind es 2,2 Prozent (2026: 1,8 Prozent). Staaten wiederum, die sich aufgrund ihrer Topografie eher schwertun mit Windrädern, Bayern und Baden-Württemberg etwa, müssen 1,8 Prozent ihrer Fläche (2026: 1,1) ausweisen. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, dürfen
Windräder auch auf nicht dafür ausgewiesenen Flächen gebaut werden. Die Mindestabstände von Windrädern zu Wohnhäusern würden dann ebenfalls fallen. Bisher sei es oft so, dass Länder zwar Windkraftflächen ausweisen, diese würden dann aber von Regeln beschnitten, die einen Abstand von 1000 Metern zu Wohnbebauung vorschreiben, so etwa in Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg.
Von den derzeit bundesweit 0,8 Prozent ausgewiesenen Flächen seien deswegen nur 0,5 Prozent tatsächlich verfügbar, heißt es aus Ministeriumskreisen. Damit sich das ändert, sollen zukünftig auch Landschaftsschutzgebiete für die Windkraft freigegeben werden. Dabei handelt es sich nicht um Naturschutzgebiete, sondern um besonders geschützte Landschaftsbilder. Einen entsprechenden Reformentwurf hat Steffi
Lemkes (Grüne) Umweltministerium vorgelegt.
Die zweite große Baustelle, die den Ausbau der Windkraft beschleunigen soll, wird darin ebenfalls vorangetrieben: Genehmigungsverfahren sollen vereinfacht werden, indem zukünftig bundesweit einheitliche Standards für artenschutzrechtliche Prüfungen gelten, etwa was die Beeinträchtigung von Vögeln angeht. Nicht mehr jedes einzelne Tier muss dann geschützt werden, stattdessen soll es ausreichen, sich die Entwicklung der Gesamtpopulation in ganz Deutschland anzusehen.
Dementsprechend entgeistert reagieren Naturschützer. „Das bedeutet, dass der Tod des einzelnen Tieres in Kauf genommen wird“, kritisiert der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und warnte, die Senkung von Naturschutzstandards könne zu Schwierigkeiten mit der Europäischen Union führen. So soll die Gesamtpopulation der Vögel anhand der Roten Liste überprüft werden, die Daten darin würden aber nur gefährdete Arten berücksichtigen. Geschützt seien laut EU-Recht aber alle Arten. „Diese Regelung wird zu Rechtsunsicherheit führen und den notwendigen Ausbau der Windenergie ausbremsen“, kritisieren die Umweltschützer.
Habeck hingegen verteidigte die Pläne aus dem fernen Swaimah in Jordanien, wo er am Mittwoch an einer Energiekonferenz teilnahm. Die Reformen seien „Meilensteine“für einen schnelleren Ökostromausbau in Deutschland, sagte er. In der Vergangenheit habe man dies „schlecht genug gemacht“, eine „Verhinderungsplanung“sei nicht mehr akzeptabel.
Hintergrund der Pläne ist das Ziel der Ampel, den Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung von heute gut 40 auf 80 Prozent bis 2030 zu steigern. Ihrem Ausbau wurde deswegen kürzlich der Rechtsstatus des „überragenden öffentlichen Interesses“verliehen: Bei behördlichen und gerichtlichen Abwägungen wird der Windkraftausbau künftig bevorzugt behandelt.