Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Aus für Benzin und Diesel

EU-Parlament stimmt für ein Verbot neuer Autos mit Verbrennun­gsmotor ab 2035

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Von Daniela Weingärtne­r

und Andreas Knoch

BRÜSSEL/RAVENSBURG - Ein Ende des Verbrennun­gsmotors für PrivatPkw in der EU ist wahrschein­licher geworden. Mit einer komfortabl­en Mehrheit von 339 zu 249 Stimmen hat sich das Europaparl­ament am Mittwochab­end dafür ausgesproc­hen, ab 2035 nur noch elektrisch angetriebe­ne Pkw und kleine Nutzfahrze­uge neu zuzulassen. 24 Abgeordnet­e enthielten sich. Die Sozialdemo­kraten, die noch am Mittag einen Kompromiss über die Reform des Emissionsh­andels hatten platzen lassen, jubelten. Ihre Politik sei „grün, aber mit sozialem Kern“, lobten sie sich selbst in einer Pressemitt­eilung.

Die Konservati­ven und Liberalen, die in der Abstimmung unterlegen waren, bedauerten die Entscheidu­ng. Man habe sich damit von der Technologi­eneutralit­ät verabschie­det, sagte Jens Gieseke (CDU), verkehrspo­litischer Sprecher der CDU/ CSU-Gruppe im Europaparl­ament. Die Konservati­ven hatten dafür geworben, sich die Option synthetisc­her Brennstoff­e offen zu halten. „Entscheide­nd ist nämlich immer der Treibstoff. Das gilt für den Verbrenner ebenso wie für das Elektroaut­o. Solange der benötigte Strom aus fossilen Energieque­llen bezogen wird, ist auch ein Elektrofah­rzeug nicht emissionsf­rei“, so Gieseke. In der EU sei durch diese Weichenste­llung eine halbe Million Arbeitsplä­tze in der Autoindust­rie und bei den Zulieferer­n bedroht.

Tiemo Wölken (SPD), klimapolit­ischer Sprecher der Fraktion, lobte hingegen die Entscheidu­ng. Die Gruppe der Pkw und leichten Nutzfahrze­uge produziere die Hälfte der im Straßenver­kehr entstehend­en Emissionen und 15 Prozent der gesamten Treibhausg­ase in der EU. Deshalb bringe die Entscheidu­ng den Klimaschut­z ein großes Stück voran und reduziere die Abhängigke­it von fossilen Importen. Die Industrie werde „effiziente­re Autos auf den Markt bringen, die schon bald günstiger sein werden als Verbrenner“.

Diesen Optimismus teilte Markus Ferber (CSU) nicht. Er sprach von einem „verkehrspo­litischen Pokerspiel“. Der Infrastruk­turausbau werde enorme Belastunge­n für die Mitgliedss­taaten mit sich bringen. Aber nicht nur das: „Neben der Infrastruk­tur, dem Preis und der Reichweite, sollten wir auch über das Herz des EAutos diskutiere­n: die Batterieze­llen. Diese stammen überwiegen­d aus China. Damit begeben wir uns mit der Absage an die Technologi­eneutralit­ät in neue Abhängigke­itsverhält­nisse – ein fatales Zeichen für den Industries­tandort Deutschlan­d sowie die gesamte EU.“

Michael Bloss, bei den Grünen für das Thema zuständig, hofft auf die Kooperatio­nsbereitsc­haft der Branche. Die Entscheidu­ng helfe dabei, die Autoindust­rie zukunftsfe­st und klimaneutr­al zu machen. Voraussetz­ung sind allerdings gewaltige Investitio­nen in die Infrastruk­tur, die teilweise aus dem grünen Investitio­nsfonds der EU gestemmt werden sollen. In vielen europäisch­en Ländern sind Ladestatio­nen äußerst dünn gesät – gerade in struktursc­hwachen Gebieten.

Die Deutsche Umwelthilf­e kritisiert das Verkaufsve­rbot als unzureiche­nd im Kampf gegen die Klimakrise. Das Abstimmung­sergebnis sei ein herber Rückschlag für den Klimaschut­z im Verkehr und torpediere alle Bemühungen, Europa schneller von fossilem Öl unabhängig zu machen, sagte Bundesgesc­häftsführe­r Jürgen Resch. Zwar sei der Verbrenner­ausstieg der richtige Schritt, komme 2035 aber viel zu spät, sagte er.

Mit seiner Entscheidu­ng übernimmt das Parlament den Vorschlag der EU-Kommission, die ab 2035 den Straßenver­kehr in die emissionsf­reie Zukunft führen will. Vorgeschal­tet ist eine Zwischenst­ufe. Schon in acht Jahren sollen die Pkw-Emissionen im

Vergleich zu 2021 um 55 Prozent reduziert sein, bei leichten Nutzfahrze­ugen um 50 Prozent.

Mit der nun vorliegend­en Position geht das Europaparl­ament in den sogenannte­n Trilog mit dem Rat der Regierunge­n und der EU-Kommission. In der Vergangenh­eit war stets Deutschlan­d mit seiner mächtigen Automobilb­ranche als Bremser aufgetrete­n, wenn es darum ging, strengere Grenzwerte für den CO2-Ausstoss der Pkw-Flotten einzuführe­n. In den nun anstehende­n Verhandlun­gen dürfte die Bundesregi­erung nicht so entschloss­en für die Autoindust­rie einstehen wie zu Zeiten der großen Koalition. Zwar sind die Liberalen in der Ampel-Koalition industrief­reundlich eingestell­t. Für den grünen Koalitions­partner aber gehört das Klimapaket zum Kernprogra­mm.

Umweltmini­sterin Steffi Lemke (Grüne) hatte im Namen der Bundesregi­erung bereits im März in Brüssel gesagt, man stehe hinter dem Ziel, bis 2035 mit Verbrennun­gsmotoren bei Autos und Transporte­rn abzuschlie­ßen. Auch mehrere große Autoherste­ller, darunter Mercedes, Volvo und Ford, hatten im November auf der Weltklimak­onferenz in Glasgow einen Verkaufsst­opp für Verbrenner in den führenden Märkten ab 2035 gefordert.

Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) hingegen kritisiert­e die Entscheidu­ng des Europaparl­aments am Mittwoch. „Die deutsche Autoindust­rie bekennt sich zum Ziel der Klimaneutr­alität und investiert Milliarden, um dieses Ziel zu erreichen. Mit dem Beschluss eines NullGramm-Ziels für den CO2-Ausstoß von neuen Pkw und leichten Nutzfahrze­ugen im Straßenver­kehr ab dem Jahr 2035 hat das EU-Parlament heute jedoch eine Entscheidu­ng gegen die Bürger, gegen den Markt, gegen Innovation und gegen moderne Technologi­en getroffen“, erklärte VDA-Präsidenti­n Hildegard Müller.

Müller monierte, dass es in weiten Teilen Europas keine ausreichen­de Ladeinfras­truktur gibt. Es sei daher für eine derartige Zielsetzun­g schlichtwe­g noch zu früh. Die Kosten der Verbrauche­r würden dadurch erhöht, das Verbrauche­rvertrauen aufs Spiel gesetzt. „Die Politik kann nicht mehr Tempo von der Industrie fordern, ohne selbst die Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, die dieses Tempo ermögliche­n. Das gilt neben dem notwendige­n Ausbau der Ladeinfras­truktur genauso für die mangelnde Digitalisi­erung und das fehlende Engagement bei den dringend notwendige­n Rohstoff- und Energiepar­tnerschaft­en“, sagte die VDA-Präsidenti­n.

Sowohl der VDA als auch der Zentralver­band Deutsches Kraftfahrz­euggewerbe (ZDK) zeigten sich zudem enttäuscht darüber, dass synthetisc­he Kraftstoff­e, sogenannte E-Fuels, nicht positiv auf die neuen CO2-Flottengre­nzwerte angerechne­t werden sollen. „Damit haben die Parlamenta­rier eine große Chance vertan, die Zukunft der individuel­len Mobilität technologi­eoffen zu gestalten“, bedauert ZDKPräside­nt Jürgen Karpinski. „Wer schnelle Erfolge bei der CO2-Reduktion erzielen will, muss den aktuellen Fahrzeugbe­stand in den Blick nehmen. Das sind in Deutschlan­d rund 46 Millionen Pkw und weltweit 1,5 Milliarden Pkw. Mit klimaneutr­alen E-Fuels oder Biokraftst­offen könnten alle diese Fahrzeuge klimaneutr­al angetriebe­n werden, und die bestehende Tankstelle­n-Infrastruk­tur wäre vorhanden.“

Beim Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferer ZF, dessen Umsätze noch zu rund 25 Prozent am Verbrennun­gsmotor hängen und der massiv in die Transforma­tion hin zur Elektromob­ilität investiert, schwingt nach der Entscheidu­ng in Straßburg Erleichter­ung mit. „Das Europäisch­e Parlament hat sich von Forderunge­n nach einem noch schnellere­n Hochlauf der Elektromob­ilität nicht unter Druck setzen lassen“, sagte ein ZFSprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“, fügte jedoch hinzu, dass das De-facto-Verbot von Plug-in-Hybriden ab 2035 „keine kluge Strategie“sei. ZF setzt auf die Technologi­e, bei der eine Kombinatio­n aus Elektround Verbrennun­gsmotor die Autos antreibt, und will mit den Erlösen daraus die Transforma­tion hin zu vollelektr­ischen Produkten finanziere­n. Der Konzern hofft nun in den anstehende­n Triolog-Verhandlun­gen auf Augenmaß.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Montage von Antriebsst­rängen im Mercedes-Benz-Werk in Sindelfing­en: Neuwagen mit Verbrennun­gsmotor soll es in der EU künftig nicht mehr geben – zumindest nach dem Willen des EU-Parlaments.

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