Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Gescheiterte Söldner vor Gericht
Achim A. und Arend-Adolf G. wollten eine private Kampftruppe aufbauen und mit ihr in den Jemen-Krieg ziehen. Das ging schief. Wollten die Männer am Töten verdienen – oder spielen andere Motive eine Rolle?
STUTTGART - Sie wollten in den Krieg ziehen, aber sie landeten vor Gericht. Zwei Männern aus Bayern und Baden-Württemberg wird seit Donnerstag am Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gemacht. Der Vorwurf klingt abenteuerlich: Gemeinsam sollen die beiden ehemaligen Fallschirmjäger der Bundeswehr versucht haben, eine Söldnertruppe aufzubauen und mit ihr in den JemenKrieg einzugreifen. Um viel Geld zu verdienen, so die Anklage. Aber auch, weil eine Wahrsagerin sie dazu getrieben haben soll.
Achim A., 52 Jahre, und ArendAdolf G., 60 Jahre, betreten den Saal in Handschellen. Justizwachtmeister führen die beiden zu ihren Sitzplätzen, die durch Sicherheitsglas von Richtern, Staatsanwälten und den eigenen Verteidigern abgetrennt sind. Zwei stämmige, nicht sehr große Männer, denen der Generalbundesanwalt schwere Vorwürfe zur Last legt. Die Anklage lautet auf versuchte Gründung einer terroristischen Vereinigung.
Ein Vorwurf, der weder zu dem Münchner Achim A. zu passen scheint, einem wortgewandten Mann mit grau meliertem Haar und hellblauem Hemd, mit hochgekrempelten Ärmeln, der eine Bibel mit in den Gerichtssaal bringt, sich fleißig Notizen macht und dem Richter freundlich jede Frage beantwortet. Noch zu Arend-Adolf G., geboren in Bad Cannstatt, wohnhaft in Bad Liebenzell und in seiner Bundeswehrzeit mehrere Jahre bei der Hubschraubertruppe in Laupheim tätig, der zunächst schweigend dasitzt und vor allem seine Hände oder die leere Tischplatte vor sich betrachtet. Der dann aber, als er Angaben zur Person machen soll, in breitem Schwäbisch unter anderem davon berichtet, dass es seine Frau ist, die ins Büro geht und dem Ehepaar das Geld verdient, während er dafür sorgt, dass bei ihrer Heimkehr ordentliches Essen auf dem Tisch stehe.
Diesen beiden Männern nun legt der Generalbundesanwalt zur Last, spätestens Anfang 2021 den gemeinsamen Entschluss gefasst zu haben, eine bis zu 150 Mann starke Söldnertruppe zu gründen, die unter ihrem ausschließlichen Kommando hätte stehen sollen. Dafür wollten sie ehemalige und womöglich auch aktive Angehörige von Polizei und Bundeswehr rekrutieren. Mit dieser Truppe wollten sie in den Bürgerkrieg im Jemen eingreifen, und zwar auf der Seite Saudi-Arabiens.
Den Tod von Zivilisten sollen die Angeklagten in Kauf genommen haben. Mehr noch: Er sei unausweichlich erschienen, um einen Waffenstillstand zu erzwingen. Dazu stellten sich die beiden Männer laut Anklage vor, ein ganzes Gebiet auszuhungern und von der Wasserversorgung abzuschneiden. Eine weitere Idee war es, ein ganzes Gebiet „mit Gas zu kontaminieren“, so die Anklage – sprich: Die beiden Deutschen sollen den Einsatz von Giftgas geplant haben.
In den Vorbereitungen gingen sie demnach arbeitsteilig vor: ArendAdolf G. soll ihm bekannte Ex-Soldaten angesprochen haben, in mindestens acht Fällen geschah dies auch. Achim A. sollte den Kontakt zur Regierung in Riad herstellen. Dafür schrieb er sogar direkt den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman an, außerdem die Botschaft des Königreichs in Berlin. Aber die Saudis antworteten nicht. Stattdessen flog das Projekt auf. So bizarr der Plan anmutet: In der Welt, in der Achim A. und Arend-Adolf G. sich zeitweise bewegten, war er womöglich gar nicht so abwegig. Beide waren nach ihrem aktiven Dienst „in der privaten Sicherheitswirtschaft“tätig, wie es Achim A. formuliert. Vor allem er hat eine schillernde Vita. Sein Auftreten wirkt seriös, als er auf Bitten des Vorsitzenden Richters Stefan Maier ausführliche Angaben zur eigenen Person macht, seine Haltung zugewandt. Auf seine Zeit bei den Fallschirmjägern folgten unter anderem ein Studium an der Hochschule für Politik in München, später eine Arbeit als freischaffender Dozent für sicherheitspolitische Themen. „Afrika, Südostasien, Naher und Mittlerer Osten, Proliferation, Islam, Islamismus, Counterterrorism“, zählt er als seine Expertise auf. Vorträge hielt er bei Bildungseinrichtungen, vor Bundeswehrsoldaten im Rahmen der politischen Bildung, für die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Bei der CSU war er im Arbeitskreis für Außenund Sicherheitspolitik engagiert. „Das Erfolgreiche an meinen Vorträgen war, dass ich immer den Praxisbezug dabei hatte“, sagt Achim A. Der Praxisbezug: Das waren für ihn auch Berichte von der Front. Mehrmals war er in Somalia und im Irak. Warum, will der Richter wissen. „Das Ziel war es, Kontakte herzustellen, und auch ein bisschen Abenteuerlust.“Im weiteren Verlauf kommt aber auch eine andere Seite des Angeklagten zur Sprache. Ein „Alkoholiker“sei er gewesen, sagt Achim A. über sich selbst. Außerdem habe er manische und depressive Phasen, hege Selbstmordgedanken. Hinzu kam, dass mit der Corona-Pandemie seine Einnahmen als freier Dozent wegbrachen.
Laut Anklage versprachen er und Arend-Adolf G. jedem Söldner bis zu 40 000 Euro im Monat. Bezahlen sollten das die Saudis.
Was auch nicht recht zum Gesamtbild zu passen scheint, ist die Sache mit der Wahrsagerin. Sie soll Achim A. zu dem Jemen-Abenteuer gedrängt haben. A. bezeichnet sich als tie gläubigen Katholiken. Er findet, wer an Gott, den Teufel, Engel und Übersinnliches glaube, sei auch empfänglich für Prophezeiungen. In seinem Fall war die Wahrsagerin eine Türkin namens Sahide. Auf die Frage des Richters, wie er an die Frau geraten sei, hat A. eine simple Erklärung: Es war die Cousine seiner ebenfalls türkischstämmigen Partnerin. Die Seherin habe er nie kennengelernt, sondern nur mit ihr über WhatsApp kommuniziert. Seine Freundin habe die Textnachrichten übersetzt, und er habe der fremden Frau „vier bis sechs Wochen blind vertraut“. Sonst wäre er nicht darauf gekommen, den saudischen Kronprinzen anzuschreiben. Der Richter nimmt es zur Kenntnis.
Immer wieder fällt im Oberlandesgericht an diesem Vormittag der Name eines Unternehmens, das seit Jahren immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Es ist die Sicherheitsfirma Asgaard mit Sitz im westfälischen Hamm. Die ist wegen zahlreicher Aktivitäten in Krisenstaaten mehrfach ins Zwielicht geraten – also genau in dem Bereich, wegen dem Achim A. und Arend-Adolf G. jetzt angeklagt sind. Beide haben sich bei der Firma kennengelernt.
Eine, die sich schon seit Jahren mit der Firma Asgaard beschäftigt, ist die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. Nicht nur wegen der Geschäftspraktiken der Firma. Renner sieht zahlreiche Verbindungen ins rechtsextreme Milieu. „Ich hoffe, dass man die Angeklagten nicht als allein handelnde Täter in den Blick nimmt“, sagt die Thüringerin, zu deren Arbeitsschwerpunkten Innenpolitik und der Kampf gegen Rechtsextremismus zählen. Auch die Verbindung zu Asgaard müsse untersucht werden.
Asgaard – der Name ist der nordischen Mythologie entlehnt und bezeichnet den Sitz eines Göttergeschlechts – mischte bereits 2009 im Bürgerkriegsland Somalia mit, um einem Exilpolitiker, der sich als der rechtmäßige Präsident des Landes sah, an die Macht zu verhelfen. Später war die Firma im Irak aktiv, unter anderem auf Rechnung Saudi-Arabiens. Das Königreich heuerte die Deutschen als Bodyguards für ihr Botschaftspersonal an. Im Dienst bewachten die Asgaard-Männer schwer bewaffnet saudische Diplomaten, die eigenen Büroräume wurden mit einer Reichskriegsflagge dekoriert, so dokumentierten es Aufnahmen des ARD-Magazins „Kontraste“.
Achim A. und Arend-Adolf G. waren für Asgaard im Irak unterwegs. Möglich, dass damals in ihnen der Wunsch reifte, mit den Saudis auch andernorts ins Geschäft zu kommen. Ein Video von 2015, das die „Tagesthemen“veröffentlichten, zeigt sie in feucht-fröhlicher Runde beim Singen des „Kreta-Liedes“, ein Fallschirmjäger-Lied aus der NS-Zeit. Einer der damals auch zu den Sängern gehörte, ist Dirk G., Geschäftsführer von Asgaard, und damit zeitweise Chef der beiden jetzt Angeklagten.
Inzwischen ist Dirk G. auf größtmöglichen Abstand bedacht. Achim A. und Arend-Adolf G. seien zuletzt 2017 für seine Firma tätig gewesen, schrieb der Asgaard-Chef im vergangenen Oktober in einer Pressemitteilung – der einzigen, die auf der Website der Firma überhaupt zu finden ist. Über die Angeklagten heißt es dort weiter: „Beide wurden wegen schwerwiegender Verfehlungen als dienstuntauglich eingestuft und nicht mehr eingesetzt.“Zwar seien die Verdächtigen im August 2021 mit der Idee für ein „humanitäres NGO-Projekt“mit dem Ziel der „Erstellung von Schutzzonen mit robustem Mandat“im Jemen an das Unternehmen herangetreten. Die Firma habe aber jede Unterstützung verweigert.
Diese Auskunft soll Dirk G. offenbar auch dem Stuttgarter Oberlandesgericht geben: Der Asgaard-Chef wird von den Anklagevertretern als Zeuge erwähnt.
Dabei ist Dirk G. für die Strafverfolger selbst kein Unbekannter. Vor wenigen Tagen ist ein Verfahren gegen ihn eingestellt worden, wie eine Sprecherin des Generalbundesanwalts bestätigt. Der Vorwurf lautete auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Laut WDR und NDR hatte die Behörde den Mann verdächtigt, sich auf einen „Tag X“vorzubereiten, an dem es zu einem politischen Umsturz in Deutschland kommen sollte. Der „Tag X“ist ein gängiges Motiv unter Rechtsextremen. Dieser Idee zufolge wird im Untergrund längst ein Putsch vorbereitet, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Umstürzler losschlagen. In dem Zusammenhang wurde der Vorwurf untersucht, Dirk G. habe Todesdrohungen gegen die Linken-Politikerin Renner ausgestoßen.
Die erhofft sich von dem nun beginnenden Verfahren Erkenntnisse zu den politischen Beweggründen der Angeklagten. „Ging es wirklich nur ums Geld? Oder auch darum, an Waffen zu kommen, paramilitärisches Handeln zu trainieren, um das Wissen dann auch in Deutschland an einem ,Tag X‘ anwenden zu können? Sabotage und die Liquidation von Gegnern spielen schließlich auch bei einem Umsturz eine Rolle.“
Am ersten Prozesstag ist davon keine Rede. Womöglich spielt es für die Beweisführung keine Rolle. So oder so stellt sich das Gericht auf ein längeres Verfahren ein. Bis Ende November sind fast 30 weitere Verhandlungstermine angesetzt.