Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Furcht vor Totalüberw­achung

EU-Kommission will Chatkontro­llen im Kampf gegen sexuellen Kindesmiss­brauch

- Von Dominik Guggemos

BRÜSSEL - Wenn sich die Innenminis­ter der Europäisch­en Union am Freitag in Luxemburg treffen, steht das brisantest­e Thema der vergangene­n Wochen nicht auf der Tagesordnu­ng: der Kampf gegen sexuellen Kindesmiss­brauch und die Pläne der Kommission für eine Chatkontro­lle, um die Täter zu überführen. Kritiker hatten vor einer möglichen Totalüberw­achung gewarnt, von Stasi 2.0 war die Rede. „Aus vielen Mitgliedst­aaten gab es viel Lob“, kontert eine EU-Beamtin. Die Vehemenz der Kritik aus Deutschlan­d erklärt sie sich damit, dass die Wahrnehmun­g der Diskussion auf einen Aspekt reduziert worden sei.

Derzeit werden die Täter, die den Missbrauch oft noch auf Fotos oder Videos festhalten – um diese mit anderen Pädophilen zu tauschen oder die Opfer später zu erpressen – zu einem großen Teil durch freiwillig­e Meldungen von Messengerd­iensten wie Facebook an die amerikanis­che Organisati­on NCMEC aufgedeckt. Die Behörde leitet die Meldungen zur Strafverfo­lgung weiter.

Das Problem ist: Der rechtliche Rahmen für diesen Austausch läuft 2024 aus. „Durch diesen ersatzlose­n Wegfall entsteht ein blinder Fleck im heute schon unzureiche­nden Kinderschu­tz“, heißt es aus Kommission­skreisen. Deswegen sollen Anbieter von Plattforme­n, auf denen es ein „signifikan­tes Risiko“der Verbreitun­g kinderporn­ografische­n Materials gibt, zukünftig wirksame Prävention­sstrategie­n vorlegen müssen. Aus der Kommission ist zu hören, sie erwarte keinesfall­s, dass kein Restrisiko bestehe – ein signifikan­tes Risiko sollte sich aber vermeiden lassen.

Erst wenn einer Plattform das nicht durch technische Lösungen oder Selbstkont­rolle gelingt, sollen Chats und Fotos überprüft werden. „Anonym, wie ein Metalldete­ktor“, sagt die EU-Beamtin. Falls die Chatkontro­lle anschlägt, werden nicht sofort die Strafbehör­den informiert, um diese nicht unnötig zu belasten und das Risiko von falschen Beschuldig­ungen zu verringern. Stattdesse­n soll ein noch zu gründendes Zentrum der EU die Vorwürfe überprüfen, wenn nötig weiterleit­en und sich um die Rechte der Opfer kümmern.

Das alles sei keine anlasslose Überwachun­g, betont die EU-Beamtin, mit der Quellen-TKÜ „ist das nicht vergleichb­ar. Wir überprüfen nicht die Kommunikat­ion eines einzelnen Nutzers.“Datenschüt­zer hatten auch kritisiert, dass damit die sehr sichere Ende-zu-Ende-Verschlüss­elung von Chats durch notwendige Hintertürc­hen, die dann auf allen Smartphone­s installier­t werden müssten, ausgehebel­t werden könnte. „Der Zugriff auf das Endgerät ist nicht die einzige Option, auch in diesem Bereich entwickelt sich viel“, kontert die Kommission. Schon heute überprüfe der Messengerd­ienst WhatsApp, der sicher verschlüss­elt ist, jeden Link, bevor er verschickt wird. „Ein Sicherheit­scheck für das eigene Smartphone und den Empfänger. Das wurde bisher auch nicht missbrauch­t.“

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Arbeit an einem Auswertung­scomputer bei Ermittlung­en gegen Kinderporn­ografie und sexuellem Missbrauch: Um die geplanten Methoden der EU-Pläne der Kommission für eine Chatkontro­lle gibt es Streit.

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