Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Schock in Bätzings Bistum
Priester soll sich umgebracht haben – Zuvor war er vom Bischof freigestellt worden
Von Christoph Driessen und KNA
LIMBURG - Der Leiter des Priesterseminars im Bistum Limburg ist tot aufgefunden worden. Das teilte das Bistum am Freitag mit, ohne Details zu den Todesumständen des Geistlichen zu nennen. Der Priester sei am Mittwoch von Bischof Georg Bätzing im Zusammenhang mit Vorwürfen wegen übergriffigen Verhaltens angehört und vorläufig von seinen Ämtern freigestellt worden. Dies sei von den kirchlichen Ordnungen so vorgesehen, um die Vorwürfe prüfen und aufklären zu können. Das Bistum nannte keine Details zu den erhobenen Vorwürfen.
Einen Tag später sei der ranghohe Priester dann tot entdeckt worden. Zuvor hatten mehrere Medien unter Berufung auf eine interne E-Mail des Bistums über den Tod von Regens Christof May berichtet.
Die Ermittler gehen davon aus, dass sich der Priester das Leben genommen hat. Der tragische Tod des 49-Jährigen, für den es nach Angaben der Staatsanwaltschaft Limburg keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden oder eine strafbare Handlung gibt, verstärkt die tiefe Krisenstimmung in der katholischen Kirche in Deutschland.
Im Bistum Limburg herrschten am Freitag, als die Todesnachricht bekannt wurde, Bestürzung, Fassungslosigkeit und Trauer. Auch für Bischof Georg Bätzing muss die Nachricht ein großer Schock gewesen sein, denn er hat jahrelang eng mit dem Geistlichen zusammengearbeitet. Außerdem dürfte er ahnen, dass man zumindest hinter vorgehaltener Hand darüber reden wird, ob er vielleicht allzu hart mit dem Mitarbeiter ins Gericht gegangen sein könnte.
Dabei ist Bätzing gerade als verständnisvoller und empathischer Chef bekannt und keineswegs als Hardliner. Kürzlich war ihm sogar vorgeworfen worden, im Umgang mit einem anderen Priester zu lax gehandelt zu haben. Der Geistliche hatte zwei Frauen belästigt, war Jahre später aber gleichwohl von Bätzing zum Bezirksdekan befördert worden. Bätzing rechtfertigte dies damit, dass die Übergriffe des Priesters keine Straftaten dargestellt hätten und er sein Verhalten bereut und sich entschuldigt habe.
Als der Fall vor zwei Wochen bekannt wurde, führte dies zu einer Welle der Kritik an Bätzing. Ihm wurde vorgeworfen, die betroffenen Frauen bei seiner Entscheidung nicht ausreichend im Blick gehabt zu haben. Der Priester bot daraufhin seinen Rücktritt vom Amt des Dekans an, was Bätzing akzeptierte.
Der 61 Jahre alte Bischof von Limburg ist seit 2020 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und eine der treibenden Kräfte hinter dem derzeitigen Reformprozess der deutschen Katholiken. Dieser „Synodale Weg“strebt konkrete Änderungen an, so eine Beteiligung der Gläubigen an der Bischofswahl, die Segnung homosexueller Paare und möglichst auch das Diakonat der Frau.
Der Vatikan verfolgt die deutschen Erneuerungsbemühungen mit größtem Misstrauen. Konservative Bischöfe aus aller Welt haben sich bereits mit harschen Erklärungen dagegen in Stellung gebracht. In Deutschland gehören Konservative wie der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und der Regensburger Bischof
Rudolf Voderholzer zu Bätzings Gegenspielern. Er selbst ist jedoch der Überzeugung, dass der Reformprozess die letzte Chance der katholischen Kirche in Deutschland ist, denn längst wenden sich auch die Treuesten der Treuen in Scharen ab.
Der nun tot aufgefundene Leiter des Priesterseminars, Christof May, war selbst ein bekannter Reformer, der sogar noch weit schärfer und entschiedener formulierte als Bätzing. Im Jahr 2020 erzielte der begabte Redner 165 000 Abrufe mit der Videoaufzeichnung einer Predigt, in der er sich unter anderem für die Segnung homosexueller Paare, für die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion und für die Öffnung des Priesteramts für Frauen aussprach. „Theologen und Theologinnen, die Argumente bringen für das Weiheamt der Frau, werden mundtot gemacht“, kritisierte er. Das sind Töne, die man so nur sehr selten von hohen Geistlichen hört.
Bezeichnend ist die Tatsache, dass sich kürzlich sogar der Generalvikar von Speyer, Andreas Sturm, – der Stellvertreter des Bischofs – von der Kirche abgewandt hat. „Ich habe im Lauf der Jahre Hoffnung und Zuversicht verloren, dass die römischkatholische Kirche sich wirklich wandeln kann“, sagte er.
Offen gab er zu, den Zölibat verletzt und Liebesbeziehungen gelebt zu haben. Sturm war zur alt-katholischen Kirche gewechselt und fängt im August als Seelsorger an. Er übernimmt dann als Geistlicher die Seelsorge in den alt-katholischen Gemeinden Singen und Sauldorf im Süden Baden-Württembergs.
Am Montag wird in Münster ein neues Missbrauchsgutachten vorgestellt, und Ende dieses Monats werden die Austrittszahlen aus der katholischen Kirche für das vergangene Jahr veröffentlicht. Es wird mit einem neuen Höchststand gerechnet.
Der Leiter des Limburger Priesterseminars hatte noch Anfang dieses Jahres in einer Predigt zugegeben, dass er mitunter selbst an seiner Berufung zweifle und das Gefühl habe, ihr nicht gerecht werden zu können. Es vergehe kein Tag, ohne dass er Gott nicht um Vergebung bitte. „Jeden Abend auf der Bettkante muss ich sagen: ,Christof, du hast es wieder nicht auf die Kette gebracht.’“