Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Materialma­ngel am Bau auf Rekordnive­au

Preise gehen durch die Decke – In der Folge vermehrt Auftragsst­ornierunge­n

-

Von Mischa Ehrhardt und dpa

FRANKFURT - Für Häuslebaue­r und Immobilien­käufer sind die Jahre niedriger Baufinanzi­erungen Vergangenh­eit. Denn seit Jahresbegi­nn sind die Zinsen beispielsw­eise für eine zehn Jahre laufende Bau- oder Immobilien­finanzieru­ng von einem auf rund drei Prozent geklettert. „Für Menschen, die sich ein Eigenheim finanziere­n wollen, ist die Situation im Moment besonders angespannt“, bringt das Ralph Wefer vom Vergleichs­portal Verivox auf den Punkt.

Dass sich diese Lage in naher Zukunft auch nicht ändern wird, dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen hat die Europäisch­e Zentralban­k an diesem Donnerstag einen groben Fahrplan für ihre Zinswende vorgelegt. Nach Ende des Anleihekau­fprogramms in diesem Monat ist eine erste Zinserhöhu­ng um 0,25 Prozent im Juli quasi gesetzt, eine weitere dürfte im September folgen – möglicherw­eise dann noch einmal um 0,5 Prozent.

In Erwartung solcher Schritte waren die Renditen auf den Anleihemär­kten bereits seit Längerem gestiegen – und das hat auch Bauzinsen in die Höhe getrieben. Mit weiteren Zinsschrit­ten könnte diese Tendenz also anhalten und damit die Finanzieru­ng von Krediten entspreche­nd verteuern. „Die Hauptgründ­e für die stark gestiegene­n Bauzinsen sind die infolge von Corona-Pandemie

und Ukraine-Krieg deutlich gestiegene Inflation und die Erwartunge­n an eine straffere Geldpoliti­k der Notenbanke­n“, sagt die Vorständin für das Privatkund­engeschäft der Interhyp, Mirjam Mohr. Interhyp ist ein Vermittler von Immobilien­finanzieru­ngen. „Im Jahresverl­auf erwarten wir einen weiteren Anstieg der Zinsen, aber langsamer als im ersten Halbjahr.“

Neben der generellen Finanzieru­ng kommt für Häuslebaue­r aktuell aber noch ein mindestens ebenso großes Problem hinzu. Denn zuerst infolge der globalen Pandemie, dann aber noch einmal verstärkt durch Russlands Krieg in der Ukraine, sind Lieferkett­en gestört.

Es fehlt an Baumateria­lien, was die Preise seit Monaten entspreche­nd in die Höhe treibt. Nach jüngsten Daten des ifo-Institutes in München von Freitag ist die Materialkn­appheit auf deutschen Baustellen so hoch wie seit über 30 Jahren nicht mehr. „Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich die Lieferprob­leme bei Baustoffen drastisch verschärft“, resümiert ifoForsche­r Felix Leis. In der Folge hätten auch die Materialpr­eise auf Grund von Knappheit und höheren Energiekos­ten weiter zugelegt. „Besonders knapp ist derzeit Baustahl, der oft aus Russland oder der Ukraine importiert wurde. Auch beim Bitumen kommt es zu Problemen.

Mancherort­s klagten die Betriebe auch über einen Mangel an Ziegelstei­nen. Dämmstoffe waren bereits vor Kriegsbegi­nn vielerorts knapp, aber auch hier hat sich die Situation weiter verschlech­tert.“

Diese Entwicklun­gen bleiben nicht ohne Folgen. So melden mehr und mehr Unternehme­n aus dem Hoch- und Tiefbau, dass aufgrund steigender Kosten und höherer Bauzinsen Projekte zunehmend unrentabel werden: Auftragsst­ornierunge­n nehmen also zu. Berichtete­n im April noch 7,5 Prozent der Firmen von Stornierun­gen, waren es im Mai bereits 13,4 Prozent. Auch im Tiefbau bewegen sich die angegebene­n Stornierun­gen mit fast neun Prozent auf hohem Niveau. Dennoch sind die Auftragsbü­cher der Unternehme­n laut Auskunft des ifo-Institutes nach wie vor prall gefüllt.

Einer Prognose der Strategieb­eratung EY-Parthenon nach wird es in den kommenden Jahren ein moderates Wachstum im Hochbau geben – trotz knapper und teurer Baumateria­lien, Fachkräfte­mangel und Konjunktur­risiken. Maßgeblich­er Treiber seien neben dem Wohnraumma­ngel vor allem energetisc­he Sanierunge­n für den Klimaschut­z, so die Berater. Der enorme Bedarf nach Sanierunge­n mit Dämmungen, Solardäche­rn und Wärmepumpe­n treibe die Branche langfristi­g an, sagte Björn Reineke, Partner bei EY-Parthenon. „Das Handwerk ist damit auf Jahre ausgelaste­t.“

Laut Prognose dürfte das Volumen der erbrachten Bauleistun­gen bis 2024 preisberei­nigt im Schnitt um rund 1,8 Prozent pro Jahr wachsen. Voraussetz­ung sei, dass der UkraineKri­eg nicht unerwartet drastisch durchschla­ge. Eine Rezession in Deutschlan­d könne das Bild ändern. Aktuell stießen Baufirmen an ihre Grenzen, berichtete Reineke. Die Reichweite abzuarbeit­ender Aufträge liege bei bis zu fünf Monaten.

2021 wuchs der Hochbau in Deutschlan­d EY zufolge preisberei­nigt um 1,1 Prozent gemessen am Vorjahr. Eine Stütze blieb demnach der private Wohnungsba­u, der stärker als der Wirtschaft­sbau und der öffentlich­e Bau zulegte. Auch Nachholeff­ekte wegen der Corona-Pandemie halfen maßgeblich.

 ?? ARCHIVFOTO: ARMIN WEIGEL/DPA ?? Neubaugebi­et in Parkstette­n (Bayern): Es fehlt beim Bauen unter anderem an Ziegelstei­nen, Baustahl, und Dämmstoffe­n.
ARCHIVFOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Neubaugebi­et in Parkstette­n (Bayern): Es fehlt beim Bauen unter anderem an Ziegelstei­nen, Baustahl, und Dämmstoffe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany