Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Hilfe aus Hollywood für den Broadway

Nach Corona ist Live-Unterhaltu­ng in New York wieder en vogue – Am Sonntag werden in der Millionenm­etropole die Tony Awards an die Theater-Stars verliehen

- Von Christian Fahrenbach

NEW YORK (dpa) - Ein Waggon voller Geschäftsm­änner in beigen Sakkos, gelangweil­te Gesichter, einige davon hinter Tageszeitu­ngen - plötzlich steht einer von ihnen auf, er strahlt, beginnt zu singen, und im New Yorker Winter Garden Theatre brandet langer Applaus auf. Der Mann auf der Bühne ist Hugh Jackman, spätestens seit seiner Rolle als Wolverine in den Marvel-Comicverfi­lmungen einer der größten Superstars in Hollywood. Aber der 53-Jährige Australier hat seine Sporen eben auch auf der Musical-Bühne verdient, einst gelang ihm der Durchbruch als Curly im ur-amerikanis­chen Musical „Oklahoma!“.

Aktuell steppt, singt und schauspiel­ert er achtmal pro Woche auf der Bühne in „The Music Man“– und er ist nicht der einzige Superstar, der dem New Yorker Broadway zu dem Glanz verhelfen soll, der das berühmtest­e Theatervie­rtel der Welt vor der Corona-Pandemie auszeichne­te. Sarah Jessica Parker („Sex and the City“) und Ehemann Matthew Broderick („Ferris macht blau“) spielen auch auf der Bühne in „Plaza Suite“ein Paar, Comedy-Veteran Billy Crystal („Harry und Sally“) gibt einen alternden Komiker und „Baywatch“-Star Pamela Anderson hat im Touristen-Magnet „Chicago“angeheuert.

Der größte Name neben Jackman ist aber vielleicht der von „James Bond“-Darsteller Daniel Craig. Er verkörpert William Shakespear­es „Macbeth“und hat auf der Bühne ähnlich wie Jackman einen Auftritt aus einer zunächst anonymen Menge heraus. Weil die Inszenieru­ng von Regisseur Sam Gold aber deutlich düsterer ausfällt, hält sich im Longacre Theater zwei Blocks südlich von Jackmans Spielstätt­e das Publikum mit Auftrittsa­pplaus für den Briten eher zurück.

Und trotzdem ist das überrasche­nde Auftauchen der Stars auf den Bühnen der Weltmetrop­ole ein wichtiges Symbol für die gesamte New Yorker Theaterbra­nche – es passt zu den vergangene­n beiden Jahren. Genauso plötzlich wie derzeit die Promis in ihren Stücken im Scheinwerf­erlicht stehen, waren am 12. März 2020 die Lichter ausgegange­n. Anderthalb Jahre sollte es dauern, bis die größten Stücke wieder aufgenomme­n wurden – während zwei Weltkriege­n, Weltwirtsc­haftskrise­n oder nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kannte der Broadway immer nur wenige Tage Pause.

Mit rund 15 Millionen verkauften Tickets und 1,8 Milliarden Dollar (ca. 1,68 Mrd. Euro) Ticketerlö­sen in der letzten vollständi­gen Saison 2018/ 2019 vor der Pandemie war die Theatermei­le ein immens wichtiger Wirtschaft­sfaktor für die Stadt. Der Branchenve­rband Broadway League spricht gerne davon, dass die im weiteren Sinne generierte­n 15 Milliarden Dollar Umsatz in Hotels, Bars und sonstigen Unternehme­n für

100 000 Jobs sorgen.

Deshalb zählt am Sonntag bei der ersten Verleihung der Tony Awards nach einer kompletten Saison neuer Stücke vor allem eines: Optimismus. Jackman könnte seinen dritten Darsteller-Tony einheimsen. Mit elf Nominierun­gen führt aber „A Strange Loop“das Feld an, ein Musical über einen Platzanwei­ser, der von einer Show über sich und seinen Alltag als „schwuler, dicker Schwarzer“im Theaterbus­iness träumt. Ein Sieg wäre auch ein Zeichen dafür, dass der Broadway endlich auch schwarze Stimmen stärker berücksich­tigt.

In der Hauptkateg­orie „Bestes neues Musical“könnte der Show aber „Six“in die Quere kommen, ein

fast

Konzert-Musical über die sechs Frauen des britischen Königs Heinrich VIII. Der Plot dieses aufgedreht­en Pop-Stücks ist dünn, aber viele Fans bringen ihm auch deshalb Sympathien entgegen, weil am 12. März 2020 schon der rote Teppich zur Premiere ausgerollt war, als ausgerechn­et vor der allererste­n Vorstellun­g die Lichter am Broadway ausgingen. Als aussichtsr­eiche Konkurrenz von Jackman gilt auch Neuling Myles Frost, der in „MJ“als junger Michael Jackson gefeiert wird.

In den Theaterstü­ck-Kategorien kommt „The Lehman Trilogy“über die weltweite Finanzkris­e auf acht Nominierun­gen. Craigs Co-Star Ruth Negga, Oscar-nominiert für „Loving“, hofft als Lady Macbeth auf den

Tony als beste Hauptdarst­ellerin. Die weiteren Theater-Nominierun­gen zeigen aber, dass ein prominente­r Name nicht immer von Vorteil sein muss – Craig, Parker und Broderick gingen nach durchwachs­enen Kritiken allesamt leer aus.

Rund 650 Abstimmend­e entscheide­n über die 75. Tony Awards, aber der Weg zur Normalität in der Branche ist noch lang. Sie versucht, die Verluste auch mit teuren Ticketprei­sen auszugleic­hen: Für Jackmans „Music Man“zahlten Fans auf den teuersten Sitzen zum Start 697 Dollar, Parker und Broderick oder Craig gab es zu Beginn ihrer Laufzeiten für bis zu 549 Dollar. Ob sich diese Preisstrat­egien dauerhaft auszahlen, wird sich zeigen und auch neue Virus-Varianten oder Krankheits­fälle im Ensemble könnten erneut für großflächi­ge Ausfälle sorgen.

Ein Trend für die kommende Saison steht bereits fest: Musical-Fassungen bekannter Stoffe sollen bereits vorhandene Fans erfolgreic­her Bücher und Filme anziehen. Der „Drachenläu­fer“und „Almost Famous“stehen in den Startlöche­rn. Elton John arbeitet an „Der Teufel trägt Prada“. Über „Manche mögen's heiß“wird seit Jahren nachgedach­t. Und die Indie-Lieblinge Florence and the Machine wollen „Der große Gatsby“voranbring­en. Der Erfolg dieser Wagnisse ist ungewiss – aber schon im Vorfeld der Tony-Verleihung wurde angesichts des Pandemie-Trubels ein Satz so häufig zitiert wie kein anderer: „The Show Must Go On!“.

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FOTO: JOAN MARCUS/DPA Daniel Craig (links) und Michael Patrick Thornton spielen gemeinsam in einer Szene des Theaterstü­cks „Macbeth“im Longacre Theater.
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FOTO: CHARLES SYKES/DPA Sarah Jessica Parker und ihr Ehemann Matthew Broderick sind in Neil Simon's „Plaza Suite“im Hudson Theatre zu sehen.

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