Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Klinik-Personal ist nach Corona erschöpft
Rotary-Club dankt den Beschäftigten mit einem Grillfest für den großen Einsatz in der Pandemie
FRIEDRICHSHAFEN - Robert Bauer schwitzt in der Hitze des Imbisswagens. Er ist einer von rund 35 Rotariern, die sich am 3. Juni auf dem Gelände des Klinikums Friedrichshafen beim gesamten Personal des Medizin-Campus Bodensee mit einem Grillfest bedanken – für das, was sie in den zwei Jahren der Coronapandemie für die Bevölkerung geleistet haben. „Eigentlich wollten wir vom Rotary-Club Friedrichshafen ja einen Weihnachtsspende fürs Klinikum machen“, sagt Baur. „Aber dann kam die Idee auf, stattdessen ein Grillfest zu organisieren.“Zur Seite stehen den Häfler Rotariern die RotaryClubs Friedrichshafen-Tettnang und Friedrichshafen-Lindau. Hinzu kommen Sponsoren wie die Brauerei Meckatzer, Früchte Jork und die Metzgerei Buchmann.
Dieses Dankeschön kommt gut an. Nie halten sich weniger als 250 Klinik-Beschäftigte auf dem Grillfest auf, und immer wieder kommen neue, je nach Dienstzeit. Für 160 Mitarbeiter, die unabkömmlich sind, wird das Essen auf die Stationen geliefert. OP-Manager Winfried Dotterweich ist vom Einsatz der Rotarier angetan. „Sie klatschen nicht nur für uns, sondern tun auch was“, sagt er in Anspielung auf die öffentlichen Beifallsbekundungen, mit denen die Bevölkerung den Menschen im Gesundheitswesen für ihren Einsatz dankte.
Dotterweich ist nicht der einzige mit gemischten Gefühlen. „Von diesem Applaus bleibt wenig hängen“, meint ein Assistenzarzt, und ähnlich auch Volker Wenzel, Chefarzt und Zentrumsdirektor. „Beeindruckender als diesen Beifall auf dem Balkon fand ich Leute, die am Eingang des Klinikums spontan eine Torte vorbeigebracht haben“, sagt er. Eine Intensivkrankenschwester bemerkt schließlich: „Es wurde einmal in die Hände geklatscht, und das war’s. Aber davon kannst du deine Miete nicht bezahlen.“
Der Frust beim Rückblick auf die Pandemie ist bei diesem Grillfest offensichtlich. Viele reden frei von der Leber weg – vorausgesetzt, ihr Name taucht nicht in der Zeitung auf. „Die Belastungen in der Pandemie waren extrem. Wir sind an unsere Grenzen gekommen“, sagt eine Intensivkrankenschwester. Da sei insbesondere die psychische Belastung wegen der vielen Sterbefälle durch die Virusinfektionen. „In psychologischer Hinsicht bekommen wir keine direkte Unterstützung“, sagt sie. „Ich kann mich zwar online an den Psychologischen Dienst wenden.“Aber da bekomme man erst zwei Monate später einen Termin. „Dann brauche ich das Gespräch auch nicht mehr.“
Letztlich blieben die Kolleginnen und Kollegen, um über herbe Erfahrungen zu sprechen – wenn man etwa vergebens bis zuletzt um ein Leben gekämpft hat oder weil viele Überstunden geschoben werden mussten. Jeder, mit dem man beim Grillfest spricht, sagt irgendwann, dass die Teams auf den Stationen in der Pandemie stark zusammengerückt seien. Aber irgendwann komme man trotzdem an die eigene Belastungsgrenze. „Mitten in der Pandemie hat aus Solidarität niemand gekündigt“, sagt eine Krankenschwester. „Aber jetzt können wir aufatmen, und sehr viele Pflegekräfte bewerben sich weg.“
Für den Onkologen Helmut Oettle ist das kein Wunder. Das medizinische Personal sei unterbezahlt. „Eine
Krankenschwester hat eine hochqualifizierte Ausbildung. Aber wenn du einen Job kriegst, in dem du 500 Euro mehr verdienst, mit nicht annähernd so viel Stress und Verantwortung, dann machst du halt den“, sagt er. Das Gehalt sei fraglos wichtig, meint OP-Manager Winfried Dotterweich. Wichtig seien aber auch Wertschätzung und Anerkennung. Und in dieser Hinsicht wurde vor allem gegenüber dem Pflegepersonal auf den normalen Stationen gegeizt: „Es wurde immer über das Personal auf den Intensivstationen geredet und über beatmete Patienten. Aber dass auf den normalen Stationen die Kolleginnen und Kollegen ohne Teams dastehen, weil auch da das Personal fehlt, wurde in der Breite gar nicht wahrgenommen.“
Das lässt sich auch an dem Maßnahmen der Politik ablesen. So gewährte sie den Pflegekräften auf Intensivstationen eine einmalige Prämie. Pflegekräfte auf Normalstationen bekamen sie dagegen nicht. „Obwohl wir uns genauso aufgeopfert haben wie die Intensivpflegekräfte“, bemerkt einer solche „normale“Krankenschwester. Sie fährt fort: „Wir hatten teilweise mehr Patienten auf einmal zu betreuen und gingen trotzdem leer aus.“
Aber noch etwas anderes nagt an ihr: Die Ausbildung der Pflege-Nachwuchses,
der im hektischen und stressigen Corona-Alltag nicht mehr möglich gewesen sei. Gerade diese Schulungsaufgaben gehören aber zu ihrem Selbstverständnis. Auch für andere Pflegekräfte war es ein großes Problem, in der Pandemie die an sich selbst gestellten Ansprüche nicht mehr zu erfüllen. „Es geht ans Gewissen, wenn man einen Patienten nicht mehr so versorgen kann, wie man selbst versorgt werden möchte“, sagt eine Krankenschwester. „Mit dieser maximalen Unzufriedenheit geht man dann nach Hause“– und am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Es fällt der Begriff, „verheizt“worden zu sein.
Chefarzt und Zentrumsdirektor Volker Wenzel liegt nichts ferner, als die schwierigen Arbeitsbedingungen in den Spitzenzeiten der Pandemie abzustreiten. „Es war ein tägliches Jonglieren. Unser Dienstplan sah teilweise wie eine Bingo-Spielkarte aus: lauter Felder mit durchgestrichenen und überschriebenen Namen, weil wieder jemand erkrankt war oder ausfiel.“Denn gegen die Corona-Unbill war ja auch das Klinikpersonal nicht gefeit. Mitarbeiter, die nicht selbst erkrankten, fehlten aus anderen Gründen: weil der Lebenspartner oder die Kinder erkrankt waren, oder weil der Kindergarten geschlossen war. Unter diesen Umständen die Moral im Team aufrecht zu erhalten, war „schwierig“, sagt Volker Wenzel. Deshalb dankt er den Rotary-Clubs jetzt umso mehr für die Anerkennung des Geleisteten, die sie mit diesem Grillfest zeigen.
Schon vor Corona fehlte es an medizinischem Personal, und unter der extremen Belastung in der Pandemie hat sich daran nichts geändert. OPManager Winfried Dotterweich schaut mit Sorge in die Zukunft. Denn es fehlt auch dort an Nachwuchs, wo man sich bisher keine Sorgen machen musste: „Wir wollten in diesem Jahr neun Operationstechnische Assistenten und neun Anästhesietechnische Assistenten ausbilden“, sagt er. Macht zusammen 18 Lehrstellen, von denen aber erst fünf besetzt seien.
Wie die Corona-Situation im Herbst sein wird, kann mit Gewissheit niemand sagen. Wäre der Medizin-Campus für eine neue brisante Variante gerüstet? Ein Assistenzarzt ist skeptisch: „Das hängt davon ab, wie viele Pflegekräfte es dann auf den Intensivstationen gibt. Derzeit gibt es viele Kündigungen.“
Was auch kommen wird: Die Rotarier wollen das Grillfest für die Beschäftigten wiederholen. Womöglich sogar in jedem Jahr.