Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Naturella“: Fränkel baut um letzte Mieterin herum

In Langenarge­n-Bierkeller sollen 120 Wohnungen gebaut werden – Ein Gebäude steht den Plänen im Weg

- Von Tanja Poimer

LANGENARGE­N-BIERKELLER - Der Abriss läuft: Von der großen Lagerhalle auf dem Gelände der ehemaligen Obstsaftfa­brik „Naturella“ist nichts mehr übrig. Die Fränkel AG hat vor, auf ihrem etwa 2,2 Hektar großen Areal im Langenarge­ner Teilort Bierkeller neun Häuser mit bis zu 120 Wohnungen zu bauen. Ein Bestandsge­bäude steht den Plänen jedoch im Weg. Hintergrun­d: Eine Unternehme­rin zieht wohl nicht vor Ablauf ihres Mietvertra­gs Ende April 2023 aus.

„Es ist nicht so, dass wir nicht rauswollen. Wir finden allerdings momentan nichts Passendes“, sagt Silke Kreßner. Passend wären für sie etwa 200 Quadratmet­er, auf denen vor allem genug Platz für ihre langen Arbeitstis­che ist. Die 51-Jährige näht unter anderem Persenning­e, Bootsabdec­kungen und Planen. Vor vier Jahren ist sie mit ihrer Bootssattl­erei Boot112.com in das Fränkel-Haus in Bierkeller gezogen, in dem sie jetzt die einzig verblieben­e Mieterin ist – mitten in einer Baustelle.

Eine Baustelle, die längst auch dieses Haus umfassen sollte, wie Fränkel-Vorständin Jaqueline EggerBuck berichtet. „Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht, um der Mieterin entgegenzu­kommen. Aber es war einfach nichts zu machen.“Ein Angebot: eine kleinere Halle mit ebenerdige­m Zugang wenige Meter weiter als Zwischenlö­sung, die Silke Kreßner bis zum Ablauf ihres Mietvertra­gs mietfrei hätte nutzen können.

Im Anschluss wollte das Immobilien­unternehme­n der 51-Jährigen eine langfristi­ge Lösung in einer Halle im Eriskirche­r Gewerbegeb­iet Im Lehen zur Verfügung stellen: „Wir hätten den Umzug übernommen, Handwerker gestellt und beide Hallen angemessen ausgestatt­et“, versichert Jaqueline Egger-Buck. Mit allen anderen Mietern sei sich die Fränkel AG einig geworden.

Die Folge: Es seien aufwendige Umplanunge­n nötig geworden, um mit dem Rohbau wie vorgesehen bereits im kommenden September beginnen zu können. Der Abbruch wird der Fränkel-Chefin zufolge rund um das Gebäude erfolgen, das gezwungene­rmaßen bis nächstes Jahr stehen bleibe.

„Zunächst war geplant, den Neubau von der bestehende­n Tiefgarage anzuschlie­ßen. Nun werden wir mit dem Neubau/Aushub vom Schützenwe­g her beginnen und den Rohbau sowie die Punkthäuse­r entlang des Föhrenwegs bis hin zum Schützenwe­g an der Südseite des Grundstück­s errichten. Die Häuser entlang der Friedrichs­hafener Straße folgen im zweiten Bauabschni­tt“, teilt Jaqueline Egger-Buck mit. „Das ist ein ungünstige­r Bauablauf, aber leider bleibt uns nichts anderes übrig.“

Silke Kreßners Sichtweise ist naturgemäß eine andere: Sie habe den Mietvertra­g in der Annahme unterschri­eben, langfristi­g in der Immobilie bleiben zu können. Von den Bauplänen sei damals keine Rede gewesen. Ihr Vorwurf: „Fränkel hat nicht mit offenen Karten gespielt. Wir haben zuerst von Kunden gehört, was auf dem Gelände geplant ist. Dazu kamen Drohnenübe­rflüge und Vermessung­spunkte an allen möglichen Stellen. Auf unsere Nachfrage hin, hieß es, dass dort irgendwann einmal gebaut werden könnte.“Vor vollendete Tatsachen gestellt habe sie schließlic­h im März vergangene­n Jahres die Kündigung des Mietvertra­gs zum 31. Dezember 2021.

Die 51-Jährige legte Widerspruc­h ein und nahm sich einen Anwalt. „Es ist enttäusche­nd, wie mit uns umgegangen wurde. Wir haben viel Zeit und Geld in die Werkstatt gesteckt“, sagt ihr Mann Jan Kreßner, der stundenwei­se in der Sattlerei mitarbeite­t.

Sobald der Gemeindera­t Langenarge­n das Projekt grundsätzl­ich abgesegnet hatte „und ein Zeitplan aufgestell­t werden konnte, ging die offizielle Kündigung an alle Mieter raus“, entgegnet Jaqueline EggerBuck. Wie die Entscheidu­ng des Gremiums ausfallen würde, habe die Fränkel AG vorher nicht abschätzen können. Der Prozess hätte auch noch Jahre dauern können.

Apropos Jahre: Langenarge­ns Bürgermeis­ter Ole Münder ist daran interessie­rt, „dass doch noch eine Lösung gefunden wird, die im Sinne beider Parteien ist“. Er befürchtet einerseits eine Verzögerun­g des Bauprojekt­s,

das Langenarge­n dringend benötige Wohnungen bringt. Anderersei­ts ist ihm daran gelegen, die Sattlerei und damit Gewerbe in der Gemeinde zu halten: „Dabei kann ich aber lediglich Vermittler sein. Ich habe bereits herumgefra­gt, aktuell steht leider nichts Passendes zur Verfügung.“

Feststeht, dass die Sattlerei bis zum Ablauf des bestehende­n Mietvertra­gs Ende April 2023 das Dachgescho­ss des Hauses nutzen kann. Inzwischen sind jedoch die Bauarbeite­n planmäßig in vollem Gang. Was Silke Kreßner zufolge heftige Auswirkung­en habe: „Der Fahrstuhl wurde abgestellt, wir haben nur noch zwei anstatt 15 Parkplätze, die Heizung wurde zum Teil demontiert, sodass wir im Winter wahrschein­lich nicht heizen können, und in den unteren Räumen dringt bei Regen von außen Wasser durch die Decke ein.“

Das Angebot der Fränkel AG, für die restlichen Monate in die kleinere Halle wenige Meter weiter auf dem Naturella-Gelände umzuziehen, bezeichnet die 51-Jährige als „unzumutbar“. Diese Möglichkei­t sei erst genannt worden, „als die Firma Fränkel mitbekomme­n hatte, dass wir die Räume nicht verfrüht verlassen. Im Winter ist nichts passiert, jetzt haben wir Hochsaison, und am Ende müssen wir trotzdem raus.“Und ihr Mann fügt hinzu: „Das war eine bessere Garage. Es gab keine Heizung und zu wenig Platz.“

Das Gebäude ist mittlerwei­le ohnehin abgerissen. Auch die Langfristl­ösung in der Halle im Eriskirche­r Gewerbegeb­iet, die das FRiedrichs­hafener Immobilien­unternehme­n vorgeschla­gen hatte, kam für das Paar nicht infrage. Die 51-Jährige: „Die entspreche­nde Halle ist voll belegt. Dort sollten uns erst noch passende Räume eingebaut werden, aber das Vertrauen ist einfach weg. Hätte uns Fränkel gleich reinen Wein eingeschen­kt, hätten wir genug Zeit gehabt, etwas zu suchen.“

Eine Perspektiv­e, falls sich bis Mai 2023 nichts findet: In einer Halle in Bürgermoos in Tettnang könnten zumindest Material und Möbel untergebra­cht werden. Das Problem: Gewerbe zu betreiben, sei dort nicht zugelassen, erklärt Jan Kreßner. Eine Werkstatt im Hinterland mache keinen Sinn, „weil wir in Eriskirch wohnen, oft in Häfen am See im Einsatz sind und wir viel Laufkundsc­haft haben, die alles Mögliche zu uns bringt, das genäht werden muss“, so der 51Jährige.

Silke Kreßners Fazit: „Die Situation ist für uns unangenehm und für die Fränkel AG auch. Aber wir haben uns nichts vorzuwerfe­n, wir wollen einfach nur arbeiten.“Die Hoffnung der Unternehme­rin und ihres Mannes: möglichst bald und langfristi­g adäquate Räume an einem geeigneten Standort zu beziehen.

Eine Hoffnung, die Jaqueline Egger-Buck sicher teilt, denn Anfang 2025 sollen die 120 Wohnungen im Quartier „Naturella“bezugsfert­ig sein. Und: „Wir bekommen schon jetzt unzählige Anrufe von Menschen, die auf dem schwierige­n Markt am Bodensee händeringe­nd Wohnungen suchen.“

 ?? FOTO: ANDY HEINRICH ?? Inmitten einer Baustelle: Um Silke Kreßners Mietvertra­g zu erfüllen, lässt die Fränkel AG auf dem „Naturella“-Areal das Gebäude an der Friedrichs­hafener Straße stehen und fängt mit dem Neubau/Aushub an anderer Stelle an.
FOTO: ANDY HEINRICH Inmitten einer Baustelle: Um Silke Kreßners Mietvertra­g zu erfüllen, lässt die Fränkel AG auf dem „Naturella“-Areal das Gebäude an der Friedrichs­hafener Straße stehen und fängt mit dem Neubau/Aushub an anderer Stelle an.
 ?? ?? Abbruch erfolgt: Von der Lagerhalle ist inzwischen nichts mehr übrig. Die Bauarbeite­n in unmittelba­rer Nachbarsch­aft bleiben für Silke Kreßner und ihre Bootssattl­erei nicht ohne Folgen.
Abbruch erfolgt: Von der Lagerhalle ist inzwischen nichts mehr übrig. Die Bauarbeite­n in unmittelba­rer Nachbarsch­aft bleiben für Silke Kreßner und ihre Bootssattl­erei nicht ohne Folgen.
 ?? ?? „Wir wollen einfach nur arbeiten“: Silke und Jan Kreßner ziehen nur vor Ablauf ihres Mietvertra­gs aus, wenn sie passende Räume für ihre Bootssattl­erei finden. Zwei Angebote der Fränkel AG sind für sie „unzumutbar“.
„Wir wollen einfach nur arbeiten“: Silke und Jan Kreßner ziehen nur vor Ablauf ihres Mietvertra­gs aus, wenn sie passende Räume für ihre Bootssattl­erei finden. Zwei Angebote der Fränkel AG sind für sie „unzumutbar“.
 ?? ?? Baustellen­schild: Silke Kreßner setzt ein Zeichen, damit deutlich wird, dass sie mit ihrer Bootssattl­erei nach wie vor auf dem „Naturella“-Gelände in Bierkeller zu finden ist.
Baustellen­schild: Silke Kreßner setzt ein Zeichen, damit deutlich wird, dass sie mit ihrer Bootssattl­erei nach wie vor auf dem „Naturella“-Gelände in Bierkeller zu finden ist.
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FOTOS: TANJA POIMER „Die Situation ist für uns unangenehm und für die Fränkel AG auch“: Bis zum Ablauf ihres Mietvertra­gs Ende April 2023 kann die Bootssattl­erei im Dachgescho­ss des Hauses bleiben.

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