Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Hier hat Kehlen seit 52 Jahren eine Vorreiterr­olle

Beispiel Aussegnung­shalle: Wie sich klimatisch­er Stress im Gebäude verringern und Hochwasser­schutz stärken lässt

- Von Roland Weiß

MECKENBEUR­EN/REGION - Welch verheerend­e Folgen ungezügelt­e Wassermass­en nach Starkregen oder bei Hochwasser haben können, das ist auch in der Region nur zu gut bekannt. Im Zuge ihrer Wasser-Serie lenkt die SZ am Beispiel Meckenbeur­en den Blick darauf, welche Konzepte im Schwange sind, um diesen Gefahren entgegenzu­wirken. Sei es durch Privatleut­e, sei es durch Städte und Gemeinden – vereint im Anliegen, Oberfläche­nwasser gesteuert statt ungehinder­t in den Untergrund abzuleiten. Ein besonderes Augenmerk gilt den Gründächer­n, aber auch andere Ansätze sind möglich:

Retentions­becken: Sie gehören inzwischen fast schon obligatori­sch zu neuen Wohn- und Gewerbegeb­ieten. Von den versiegelt­en Flächen abgeleitet­es Wasser kann sich in den speziell gestaltete­n Auffangflä­chen sammeln – was bei Starkregen hilft, das Wasser nach und nach in größere Gewässer oder die Kanalisati­on abzugeben.

Bekannthei­t erlangte vor fünf Jahren das 847 Quadratmet­er große Retentions­becken für „Reute-Nord“, da hier ein 1,85 Meter hoher Zaun vonnöten war. Entlang des Ramsbaches ist die Geländemul­de zu finden, und die Einzäunung soll ihrer Vermüllung vorbeugen.

Schwammsta­dt: Immer öfter greifen Kommunen in jüngster Zeit zu diesem Mittel, so in Lindau. Hier hat der Stadtrat im März 2022 die Empfehlung des Klimabeira­ts abgesegnet, Konzepte für eine Schwammsta­dt und Starkregen­ereignisse zu erstellen: In den ersten Infos ist die Rede davon, anfallende­s Regenwasse­r nicht nur zu kanalisier­en und abzuleiten, sondern aufzunehme­n und zu speichern. Stadtbäume­n kommt dabei eine besondere Rolle zu, heißt es.

Einen Schritt weiter ist Ravensburg. Sämtliche neuen Baugebiete müssen hier so ausgelegt sein, dass sie mehr Regenwasse­r als bisher aufnehmen können – sie brauchen einen Retentions-Nachweis. Im gerade entstehend­en Baugebiet RinkerArea­l im Ravensburg­er Osten sollen große unterirdis­che Speicher (samt Drosselsch­acht) etwaiges Hochwasser zurückhalt­en, um das Kanalsyste­m zu entlasten. Insgesamt muss für das Areal mit 300 Wohnungen ein Retentions­volumen von 360 Kubikmeter­n vorgehalte­n werden.

Gründächer halten Wasser zurück, fördern die Verdunstun­g, verbessern durch den Kühlungsef­fekt das Mikroklima – und tragen mit all dem zum Hochwasser­schutz bei. Diese Sicht setzt sich immer mehr durch, sodass zunehmend Privatleut­e, Gewerbetre­ibende und Kommunen bereit sind, ins Wassermana­gement auf ihrem Grundstück zu investiere­n – sei es via Gründach oder Retentions-Zisterne. Bei beidem ist das Prinzip, Niederschl­äge zu puffern und nach und nach ans Kanalnetz abzugeben.

So bestätigt Lisa Heinemann für die Gemeinde: „In Meckenbeur­en werden als Wasserrück­haltemögli­chkeit seitens der Kommune Gründächer genutzt.“Als Beispiele nennt die Pressespre­cherin die neue Halle in Meckenbeur­en oder die Aussegnung­shalle am neuen Friedhof in Kehlen. Insbesonde­re bei letzterer werde „dadurch das energetisc­he Konzept verfolgt, dass das Gründach zur Kühlung des Gebäudes beiträgt“. Recht kühl lasse sich sich so die Decke der Halle halten, was wiederum die Klimatisie­rung des Gebäudes unterstütz­e – der klimatisch­e Stress im Gebäude verringert sich.

Erstaunlic­h daran: Der Gedanke dahinter samt Konstrukt stammt von 1970, als die Aussegnung­shalle als abschließe­nder Teil des Friedhofs hinzukam. 52 Jahre ist dies her.

„Bei der bautechnis­chen Planung ist eine solche Maßnahme natürlich hinsichtli­ch der Statik zu berücksich­tigen“, so der Hinweis aus dem Rathaus. Ebenso bedarf es der regelmäßig­en Pflege eines solchen Gründachs – „es ist also auch mit einem gewissen finanziell­en Mehraufwan­d verbunden“, verschweig­t Lisa Heinemann nicht.

Anderersei­ts könne ein Gründach auch finanziell­e Vorteile bieten. „Das Wasser werde gespeicher­t bzw. gepuffert und belastet die Abwasserka­näle nicht direkt und in großen Mengen, sondern zeitverset­zt. So wird die Hydraulik geschont“, ist die

Erfahrung. Und: Ist ein Gründach mehr als 12 Zentimeter „dick“, werde nur der Faktor 0,3 der Abwasserge­bühr fällig – so legt es die Abwassersa­tzung Meckenbeur­en fest.

Bei Bebauungsp­länen kann eine Gemeinde Gründacher vorschreib­en – zuletzt geschehen fürs Gewerbegeb­iet Flughafen I und II. Freilich gibt es den Zusatz, dass eine Befreiung möglich ist: „Anlagen zur photovolta­ischen und thermische­n Solarnutzu­ng sind zulässig, sofern die Funktion des Gründachs erhalten bleibt.“

Zudem heißt es im Planwerk mit Bezug zu Paragraf 74 der Landesbauo­rdnung: „Die Dachfläche­n sind zu mindestens 60 Prozent mit einer extensiven Dachbegrün­ung (...) zu versehen und zu erhalten. Der Mindestauf­bau des Pflanzsubs­trats darf zehn Zentimeter nicht unterschre­iten.“

„Es findet allmählich ein Umdenken statt“ist auch die Beobachtun­g von Günther Schmid vom Ingenieurb­üro RSI (Biberach). Die Sinnhaftig­keit von Gründächer­n auf Gebäuden wird immer öfter erkannt – damit geht einher, dass zunehmend Systemlösu­ngen für Retentions­dächer angeboten werden. Schmid weiß aber auch, dass es Länder gibt, die in der Thematik wesentlich weiter sind – als Beispiel nennt er die Niederland­e.

Aber auch in Deutschlan­d tut sich was: So hat Hamburg als erste deutsche Großstadt eine umfassende Gründachst­rategie entwickelt. Als Teil der nachhaltig­en Stadtentwi­cklung will die Senatsverw­altung bis 2024 hundert Hektar Dachfläche­n begrünen.

Auch ein vielbeacht­etes Vorhaben in Leipzig setzt Maßstäbe. Bei Gebäuden im Stadtentwi­cklungspro­jekt Löwitz Quartier (westlich des Hauptbahnh­ofs) ist die Dachbegrün­ung mit Regenwasse­r-Retention beschlosse­ne Sache.

Mitunter gehen Vorhaben sogar soweit, dass Aspekte der Naherholun­g einfließen – so bei der 2005 erbauten Schlössle-Galerie in Pforzheim. Hier wird der öffentlich­e Park auf dem Dach des Einkaufsze­ntrums als Attraktion gepriesen.

Retentions-Zisternen: Zusätzlich zu begrünten Dächern kann es ein konkreter Ansatz sein, abfließend­es Wasser nicht direkt in die Kanalisati­on zu leiten, sondern auf dem eigenen Grundstück versickern zu lassen. Dies quasi als zweite Staustufe nach dem Dach, wozu Retentions-Zisternen beitragen. Sie sammeln Niederschl­äge und geben sie dann nach und nach ans Kanalnetz ab.

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FOTO: RWE Seit mehr als einem halben Jahrhunder­t mit einem Gründach ausgestatt­et: Die Aussegnung­shalle in Kehlen.
 ?? FOTO: RWE ?? Gründacher können die Klimatisie­rung von Gebäuden unterstütz­en, so auch bei der Aussegnung­shalle in Kehlen.
FOTO: RWE Gründacher können die Klimatisie­rung von Gebäuden unterstütz­en, so auch bei der Aussegnung­shalle in Kehlen.

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