Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kaltduscher sind klar im Vorteil
Kältereize schützen vor Infekten, chronischer Müdigkeit und depressiven Verstimmungen – Aktuelle Studien bestätigen die Wirksamkeit von Kneipps traditioneller Wassertherapie
Für die einen ist schon die Vorstellung davon schauderhaft, für die anderen ist sie schon lange Routine: die tägliche Dusche mit eiskaltem Wasser. Wissenschaftliche Studien bestätigen nun, dass dieses Ritual tatsächlich gesund halten kann.
„A cold shower a day keeps the doctor away.“Für den Extremsportler Wim Hof – er hält mit sechs Minuten den Weltrekord fürs Schwimmen unter Eis – steht fest: die tägliche kalte Dusche macht den Arzt entbehrlich. So ähnlich wie der Apfel, für den der englische Volksmund ja ursprünglich den Doctor-Away-Spruch erfunden hat. Hof ist zwar Holländer, doch er kennt sich offenbar aus mit englischen Weisheiten. Noch mehr aber mit Kälte, auf die er derzeit in der BBC-Serie „Freeze the fear“(„Friere die Angst ein“) einige Prominente trainiert. Seine Kandidaten frösteln, bibbern und stöhnen, aber Hof hat ihnen eingebläut, dass sie auf diese Weise etwas für ihre Gesundheit tun. So wie seinerzeit Pfarrer Kneipp, der seine Patienten im Storchengang durchs kalte Wasser staksen ließ. Doch was sagt die Wissenschaft zur präventiven Kraft des kalten Duschens?
Die größte Studie dazu stammt aus Hofs Heimat, vom Academic Medical Center in Amsterdam. Darin wurden 3000 Probanden aufgefordert, sich täglich warm zu duschen. Drei Viertel von ihnen sollten das jedoch mit einem kalten Schauer beenden, der – aufgeteilt auf jeweils einem der Viertel – 90, 60 oder 30 Sekunden dauern sollte. Das Experiment dauerte insgesamt drei Monate.
Im Anschluss präsentierten sich die Kaltwassergruppen mit insgesamt 29 Prozent weniger Fehltagen bei ihrer Arbeit. „Interessanterweise war es jedoch dabei ohne Bedeutung, wie lang die kalte Dusche war“, betont Studienleiter Geert Buijze. Die betreffenden Testpersonen berichteten nach 30 Tagen zudem von einer deutlichen Besserung ihrer Lebensqualität, sie fühlten sich vor allem munterer und nicht mehr so schläfrig wie zuvor. Später gab es hier jedoch keine weitere Steigerung mehr. Sprich: Man fühlte sich nach drei Monaten wie nach einem Monat kalten Duschens, hatten sich offenbar daran gewöhnt.
Buijze betont, dass die Daten der Studie zu einer Zeit erhoben wurden, als die Niederlande unter einer massiven Influenzawelle ächzten. Das kalte Duschen schützte also nicht nur vor Schnupfen und harmlosen Atemwegsinfekten, sondern auch vor der vergleichsweise schweren Grippe. Nebenwirkungen wurden hingegen nur selten berichtet, und wenn, dann waren sie harmlos. So klagten 13 Prozent der Kaltduscher über länger anhaltende Kälteempfindungen am Körper, vor allem an Händen und Füßen. Wobei man einschränken muss, dass die Probanden allesamt herz- und lungengesund waren. „Wie sich das kalte Duschen auf ernsthaft vorerkrankte Menschen auswirkt, haben wir nicht untersucht“, erläutert Buijze.
Ebenfalls sei bislang ungeklärt, so der holländische Mediziner, was eigentlich physiologisch hinter dem präventiven Effekt des regelmäßigen Kaltduschens steckt. Eine Theorie lautet, dass es nach etwa zwei bis drei Wochen den Körper dazu bringt, weniger immundämpfende Hormone wie etwa Cortisol und Noradrenalin auszuschütten. Doch die empirischen Belege dafür sind rar. „Die stärksten physiologischen Antworten auf Kältereize haben wir in den ersten 30 Sekunden“, so Buijze. „Und das spricht dafür, dass sie weniger über hormonelle als über neuronale Signalwege vermittelt werden.“
Der Berliner Komplementärmediziner Bernhard Uehleke erklärt, dass sich Viren und Bakterien schlechter im Nasen-Rachen-Raum festsetzen können, wenn dort eine gute Durchblutung herrscht. „Und die hängt aufgrund nervöser Schaltkreise wesentlich von der Durchblutung in den Extremitäten ab“, so Uehleke. Wenn also die Blutgefäße in Händen und Füßen durch systematische Kältereize so trainiert werden, dass sie selbst in nasskalter Jahreszeit gut durchblutet werden, verbessert dies auch die Infektabwehr in den oberen Atemwegen. Wichtig dabei ist jedoch die Dosierung. Sie müsse, so Uehleke, dem jeweiligen Menschen und seinen Empfindlichkeiten individuell angepasst sein: „Ein Kältereiz ist richtig dosiert, wenn sich anschließend ein Wärmegefühl mit einer wohligen Entspannung einstellt.“
Das Wärmegefühl erklärt sich daraus, dass es erst zu einer Verengung der Blutgefäße kommt, um den Körper vor Auskühlung zu schützen, die aber schon wenig später kompensatorisch mit ihrer Weitstellung beantwortet wird. Kalte Duschen könnten daher auch vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck und Durchblutungsstörungen schützen. Doch ob dazu ein paar Sekunden Kälte pro Tag reichen, ist fraglich. Dieselbe Einschränkung gilt für den oft postulierten Effekt auf Übergewicht.
Besser sieht da schon die Datenlage zu den psychischen Effekten aus. So verabreichte man an der Medizinischen Hochschule Hannover 24 Senioren eine klassische KneippBehandlung: nämlich einen zehnsekündigen Gesichtsguss von 10 bis 12 Grad kaltem Wasser und danach für eine Minute einen genauso kalten, nassen Nackenumschlag. Die Probanden zeigten daraufhin deutlich bessere Ergebnisse in kognitiven Tests, und das auch noch eine Stunde nach der Anwendung.
Für Nikolai Shevchuk vom Medical College of Virginia sind kalte Duschen auch eine Behandlungsoption für das Chronique Fatigue Syndrom (CFS), also jene bleierne Müdigkeit, die gerade als Symptom von Long Covid wieder besonders häufig auftaucht. „Wiederkehrende Kältereize aktivieren im Gehirn das Retikuläre System und damit Wachheit und motorische Funktionen“, so der Radiobiologe. Umgekehrt sinke in vielen Hirnregionen die Ausschüttung von müde machendem Serotonin.
Shevchuk hat aber auch eine evolutionäre Erklärung für die psychoaktive Kraft der kalten Duschen. Demnach ist der Mensch von Natur aus auf ständig wechselnde Umgebungstemperaturen eingestellt, die jedoch in unserer modernen Wohlstandsgesellschaft mit ihren klimatisierten Räumen weitgehend ausgeschaltet sind. Als Folge dieser Reizarmut kommt es zur chronischen Müdigkeit, bis hin zur depressiven Verstimmung. Durch wiederkehrende Kältereize könnte man nun diese Reizlücke füllen und damit auch das CFS verhindern. Shevchuk empfiehlt zwei kalte Duschen pro Tag, jeweils für drei Minuten. Was für ihn als gebürtigen Sibirier kein Problem ist. Aber der deutsche Normalbürger muss sich wohl erst daran gewöhnen.